Berlin, 21.06.2016/cw – Auch in diesem Jahr hatten sich die Reihen der Zeitzeugen weiter gelichtet: zwei waren seit dem letzten Gedenktag verstorben, andere konnten aus Gesundheitsgründen diesmal nicht nach Berlin kommen oder an dem Staatsakt auf dem Friedhof Seestraße im Berliner Bezirk Wedding teilnehmen.
Die freien Plätze in der Reihe der Veteranen, Zeitzeugen oder der Familienangehörigen nahmen zwei Teilnehmer am Volksaufstand ein, die trotz ihres hohen Alters (*1926 und 1934) den weiten Weg nach Berlin nicht gescheut hatten: Klaus Hobrack, aus Jena angereist, und Helmut Schlönvoigt, der jetzt in Heidenheim wohnt. Beide hatten zuvor die Vereinigung 17. Juni kontaktiert, nachdem sie im Bayerischen Rundfunk den TV-Beitrag über den 17. Juni gesehen hatten (8.Juni, 21:00 Uhr, wir berichteten) und waren der Einladung des Vorsitzenden gefolgt. Die Veteranen waren trotz strömenden Regens von dem Staatsakt tief beeindruckt. Sie hatten erstmals außerhalb der zehnjährigen Jubiläen an dieser Veranstaltung teilgenommen.
Die Glocken läuteten den Aufstand ein
Klaus Hobrack hatte als 18jähriger die Glocken in der zerstörten Stadtkirche von Jena geläutet, als die Arbeiter in der Stadt demonstrierten. Sein Bruder Siegfried beteiligte sich indes als 17jähriger am Streik der Zeiss-Arbeiter und war Zeuge, als die Arbeiter die SED-Zentrale im Stadtzentrum stürmten. Nachdem die Demonstrationen durch den Einsatz sowjetischer Panzer aufgelöst worden waren, trafen sich die beiden Brüder auf dem Weg nachhause und beschlossen spontan, an den Ort des Geschehens zurückzukehren. Am Holzmarkt, dem Sitz der SED-Zentrale, stießen sie auf ihren Onkel Ede, der in der Kreisleitung der SED arbeitete. Ein heftiges Wortgefecht führte dazu, dass der eigene Onkel seine Neffen von sowjetische Soldaten verhaften ließ.

2016 – 60. Jahrestag der Revolution in Ungarn – Die Vereinigung 17.Juni drapierte aus diesem Anlass die Kränze Ungarns und der Ukraine vor das Mahnmal auf dem Friedhof – Foto: LyrAg
Klaus wurde als bereits 18jähriger der Prozess gemacht. Das Urteil: Drei Jahre wegen Boykotthetze. Seine Haft verbüßte er im Arbeitslager der Stasi-Strafanstalt Hohenschönhausen in Berlin. Siegfried wurde als Jugendlicher von einem Jugendgericht in Gera zu 5 „freiwilligen“ Arbeitseinsätzen verurteilt. Die Strafe wäre vermutlich ohne den Einsatz seiner Arbeitskollege weit höher ausgefallen. Diese hatten eine Teilnahme am Prozess erzwungen und bei einer Verurteilung mit dem Austritt aus der FDJ gedroht. Siegfried floh nach der Verrichtung der auferlegten Arbeitseinsätze im Februar 1954 in den Westen und lebt heute in der Eifel. Sein Bruder Klaus wohnt wieder in Jena.
Er forderte als Erster die Freilassung politischer Gefangener*
Helmut Schlönvoigt drang im Alter von 27 Jahren als erster Demonstrant in die Stasi-Kreisdienststelle in der Humboldtstraße in Jena ein und forderte ultimativ die Freilassung dort vermuteter inhaftierter politischer Gefangener. Außerdem sicherte er einige Stasi-Akten, die teilweise in den Weste gelangten. Nach der Denunziation und seiner Verhaftung als „Rädelsführer“ hatte der junge Mann Glück: Das nach dem Aufstand völlig überlastete Bezirksgericht in Gera konnte aus diesem Grund seine Rolle bei der Erstürmung der Stasi-Kreisdienststelle nur am Rande beleuchten. So wurde Schlönvoigt „nur“ zu einem Jahr und vier Monate Zuchthaus wegen „Boykotthetze“ verurteilt. Nach seiner Freilassung gelang ihm die Flucht in den Westen.

Seit 7 Jahren ehrt die Vereinigung 17.Juni auch die Opfer des NS-Regimes am Steinplatz. UOKG und VOS, die sich zunächst beteiligten, stiegen zwztl. aus und beschränken sich auf die Ehrung der Opfer des Stalinismus am selben Ort – Foto: LyrAg
Seither bemüht sich der heute Neunzigjährige, die Erinnerung an den 17. Juni besonders in Jena wachzuhalten. So nimmt er so oft wie möglich an entsprechenden Veranstaltungen des Geschichtsvereins in Jena teil und sucht dort im Anschluss regelmäßig das Ehrengrab seines Freundes Walter Scheler auf dem Nordfriedhof auf. Auf dem Rückweg nach Heidenheim fährt der rüstige Veteran über Weimar. Am ehemaligen Gerichtsgefängnis befindet sich seit 1996 eine bronzene Gedenktafel, die an den damals 26jährigen Jenaer Schlosser Alfred Diener erinnert. Diener war am 17. Juni verhaftet und am 18. Juni 1953 durch ein Kommando der sowjetischen Besatzungsmacht standrechtlich erschossen worden. Schlönvoigt legt an jedem 18. Juni dort in Erinnerung an Diener sieben gelbe Rosen nieder. „Ich werde dies so lange tun, wie ich nur kann,“ zitiert ihn am 18.Juni 2013 die OSTTHÜRINGER ZEITUNG. Auch in diesem Jahr führte sein Weg nach dem spontanen und vorher nicht eingeplanten Besuch in Berlin über Weimar.
Seit der Wiedervereinigung nimmt Schlönvoigt überdies an den Jubiläumsveranstaltungen an den Volksaufstand (alle zehn Jahre) zusammen mit Klaus Hobrack und anderen noch lebenden Teilnehmern in Berlin teil. Dort wurde er und seine Kameraden 2013 eigens von der Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen (1.127).
* Durch ein redaktionelles Versehen wurden in dem ersten Beitrag Daten aus dem Archiv vertauscht. Wir bitten, das bedauerliche Versehen zu entschuldigen. Die Redaktion
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, berlin, Tel.: 030-30207785
5 Kommentare
30. Juni 2016 um 07:31
Gustav Rust
Danke, lieber Bernd, für Deine Antwort.
Daß unser Kranz mehrmals geschändet wurde, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Dort treiben sich ja auch viele linke Studenten herum…
Ich kann mich aber noch sehr gut daran erinnern, daß von Antifa- und jüdischer Seite ständig quergeschossen wurde. Diese … wollen nicht wahrhaben, daß sogar Kinder in die Sowjet-KZ verschleppt und ermordet wurden. Kamerad Benno Prieß (+) hat in seinen beiden Büchern mehrere Kinder verewigt, die in Sowjet-KZ auf dem Boden der SBZ umkamen.
Ein Beispiel: Werner Friese, Potsdam, 13, Genickschuß 1946! Solche Bücher mit ausführlichen Totenlisten fehlen bis heute für die Ostgebiete. Immer ist nur die Rede von den Sowjet-KZ in Mitteldeutschland.
Nochmals Dank, und kameradschaftliche Grüße,
Gustav Rust
29. Juni 2016 um 12:01
Bernd Stichler
Die Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft hatten es alle in ihren Statuten verankert, dass sie gegen jegliche Art von Diktatur sind . VOS und UOKG sind den NS-Opfern stets mit ausgestreckter Hand entgegengetreten und haben für ein gemeinsames Eintreten gegen Diktatur geworben. Die NS-opfer jedoch haben ihrerseits uns nur als NAZIs beschimpft, verleumdet und beleidigt und jeden Kontakt abgelehnt. Trotzdem haben VOS und UOKG noch weiterhin die NS-Opfer in das Gedenken einbezogen. Als dann aber unsere kleine Gedenkstätte am Steinplatz in Berlin nicht nur einmal geschändet wurde, setzte bei vielen Kameradinnen und Kameraden ein berechtigtes Umdenken ein.
Unverständlich ist , wenn man der Opfer des 17. Juni gedenkt und gleichzeitig verlangt, auch der grausam rachsüchtigen Täter zu gedenken, die für die Ursachen und die schrecklichen Folgen des 17. Juni 1953 verantwortlich sind!
Das ist für mich nicht nachvollziehbar, denn jene NS-Opfer, die nach 1945 in maßgeblichen Staatsfunktionen des SED-Regimes saßen, haben doch an Unschuldigen furchtbare Rache genommen, weil sie der wirklichen NS-Täter nicht habhaft werden konnten und unsere Kameradinnen und Kameraden hier eine leidvolle Stellvertrer-Rolle spielen mussten, um die Rachelust der NS-Opfer zu stillen. So sieht die Realität aus!!!
29. Juni 2016 um 14:04
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Antwort auf den Beitrag von Bernd Stichler (VOS + UOKG):
Da tut man sich bei aller Freundschaft schwer: Was haben die Opfer der NS-Diktatur mit den heutigen Sachwaltern eines „neuen Sozialismus“ zu tun? Diese Sachwalter leben – die NS-Opfer sind tot. Auch die lebenden Leugner der Opfer des Kommunismus können die Toten ihrer Diktatur nicht mehr lebendig machen. Sollen wir auf die Ehrung ihrer ermordeten Opfer verzichten, weil sie uns lebende Opfer beleidigen und kränken?
Glaubwürdig bleiben wir nur, wenn wir die verheerenden Unterscheidungen der Diktatur-Opfer in unterschiedliche Klassen ablehnen. Der Stalinismus war so mörderisch, wie der Nationalsozialismus. Punkt. Wir werden weiterhin die Opfer beider Diktaturen ehren und sind allenfalls traurig darüber, nicht schon viel eher dieser Verpflichtung nachgekommen zu sein. VEREINIGUNG 17.JUNI 1953 e.V.
29. Juni 2016 um 08:58
Gustav Rust
…
Lieber Bernd,
Du schreibst: „Wenn man weiß warum. Dann ist es äußerst unfair, hier bewusst einen falschen Eindruck zu erwecken !!! Keine Wirkung ohne Ursache“.
Stelle Du den Sachverhalt hier bitte richtig dar. Andeutungen helfen nichts! Nur harte Fakten… Du kannst mir zur Sache auch eine Mail senden.
Kameradschaftliche Grüße an Euch in der Heide,
Gustav Rust
28. Juni 2016 um 17:36
Bernd Stichler
„………Seit 7 Jahren ehrt die Vereinigung 17.Juni auch die Opfer des NS-Regimes am Steinplatz. UOKG und VOS, die sich zunächst beteiligten, stiegen zwztl. aus und beschränken sich auf die Ehrung der Opfer des Stalinismus am selben Ort………….“
Wenn man weiß warum.Dann ist es äußerst unfair, hier bewusst einen falschen Eindruck zu erwecken !!!
Keine Wirkung ohne Ursache.