Potsdam/Berlin, 26.04.2016/cw – Die Lagergemeinschaften, Opferverbände/- vereine und Aufarbeitungsinitiativen haben am 21. April 2016 in Potsdam zum Bericht der Expertenkommission des Deutschen Bundestages (Drucksache 18/8050) zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BSTU) Stellung genommen. Die Verbände fordern außerdem die Wiederwahl von Roland Jahn zum Leiter der BStU. Der Verein „Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.“ ist von der Versammlung beauftragt worden, die Erklärung dem Bundestag zuzuleiten.

Der Kulturausschuss des Deutschen Bundestages befasst sich erstmals in einer öffentlichen Sitzung am 27.04.2016 ab 15:30 Uhr im Paul-Löbe-Haus mit den Vorschlägen der Expertenkommission sowie den bisher vorgetragenen Einwendungen.

Wir veröffentlichen nachstehend den Wortlaut des von 20 Verbänden und Vereinen unterzeichneten Papiers:

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„Wir, die unterzeichnenden Vertreter/innen brandenburgischer Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen, geben hiermit den Mitgliedern des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages und der Öffentlichkeit unsere Stellungnahme zum Vorschlag der Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des BStU bekannt.

Die Stellungnahme bezieht sich auf die Vorschläge im Expertenvotum, die wir für besonders grundlegend halten.

Wir begrüßen, dass – entsprechend dem Einsetzungsbeschluss – die Kommission vorschlägt, die Unterlagen der Staatssicherheit weiterhin gemäß Stasiunterlagengesetz (StUG) offen zu halten. Dass erstmalig in der Welt Bürgerinnen und Bürgern die Informationen, die eine Geheimpolizei über sie gesammelt hat, zugänglich gemacht wurden, ist ein bedeutendes Vermächtnis der Friedlichen Revolution von 1989. Die Einrichtung einer Stasi-Unterlagen-Behörde war die rechtsstaatliche Antwort auf unsere Revolutionslosung „Meine Akte gehört mir!“. Damit konnte es gelingen, die Struktur und Funktionsweise der Diktatur weitgehend sichtbar und die Verfolgung jedes einzelnen durch die Geheimpolizei nachvollziehbar zu machen. Die Behörde des BStU gibt heute für viele Transformationsländer ein Beispiel und ihre Erfahrungen sind nach wie vor in zahlreichen Ländern gefragt.

Die Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde lehnen wir ab. Sie wäre ein Signal für die Abkehr von der Aufarbeitung als Ganzem.

Die Empfehlung der Expertenkommission, die Behörde des BStU aufzulösen und die MfS-Unterlagen bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode in das Bundesarchiv zu geben, halten wir für kontraproduktiv. Es sind im Expertenvorschlag keine Begründungen angeführt, welche Vorteile in der Aktenübernahme durch das Bundesarchiv zu erwarten wären. Stattdessen spricht manches dagegen. Mängel in der Verfahrenspraxis und der Professionalität der Aktenverwaltung lassen sich innerbehördlich beheben. Für die Spezifik in der Anwendung des StUG gegenüber dem allgemeinen Archivrecht besitzt die BStU-Behörde zweifellos die bessere Expertise. Die Spezifika im Umgang mit den Stasi-Akten, zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Betroffenen und Begünstigten, sind bisher im Bundesarchiv unbekannt. Der hohe Prüfungsaufwand bei der Aktenherausgabe ist dem Persönlichkeitsschutz geschuldet und wird für diesen besonderen Aktenbestand auch unter der Verwaltung des Bundesarchivs bestehen bleiben. Die Schaffung gemeinsamer Standards für die archivalische Arbeit und die Anwendung gleicher Software für den BStU und das Bundesarchiv waren längst überfällig und haben nun endlich begonnen. Der privilegierte Aktenzugang behördeneigener Forscher kann durch Gesetzesänderung oder die Ausgliederung der Forschungsabteilung aus der BStU-Behörde aufgehoben werden.

Die Verbände sehen in einer Auflösung der BStU den Untergang ihrer Interessen als Verfolgte der zweiten Diktatur - Foto: LyrAg

Die Verbände sehen in einer Auflösung der BStU den Untergang ihrer Interessen als Verfolgte der zweiten Diktatur – Foto: LyrAg

Die Auflösung der Behörde kann auch nicht durch den Vorschlag kompensiert werden, einen Bundesbeauftragten für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur zu installieren. Stattdessen plädieren wir dafür, die bestehenden Aufarbeitungsinstitutionen und die mit der Aufarbeitung befassten zivilgesellschaftlichen Organisationen zu stärken. Dazu sind die notwendigen Mittel bereit zu stellen, damit sie in der Lage sind, professionell ihre Interessen in Politik und Öffentlichkeit zu vertreten. Aufarbeitung sollte vielfältig bleiben und dezentral verankert sein. In einer Dachorganisation, wie der UOKG, können die Interessen gebündelt und gegenüber den Gremien des Bundes vertreten werden. Uns ist wichtig, dass die Repräsentanten der Opfer der SED-Diktatur von ihnen selbst gewählt werden.

In der vorgeschlagenen Zusammenlegung der Gedenkstätten Normannenstraße / Magdalenenstraße und Hohenschönhausen unter dem Dach einer neu zu gründenden Stiftung sehen wir keinen Vorteil. Beide Gedenkstätten arbeiten sehr erfolgreich und es ist nicht plausibel, sie ihrer Eigenständigkeit zu berauben. Es bedarf keiner neuen Stiftungsgründung, da die bereits bestehenden Stiftungen und der BStU erfolgreich ihren jeweils eigenen Beitrag zur Aufarbeitung der SED-Diktatur leisten und sich einander gut ergänzen.

In den Vorschlägen zeigt sich ein personelles Defizit der Expertenkommission. Die Opferverbände waren unzureichend in der Kommission vertreten. Wir sehen lediglich im Minderheitenvotum von Hildigund Neubert unsere Interessen wiedergespiegelt.

Darüber hinaus votieren wir dafür, dass alle Möglichkeiten der Erhaltung des Stasiaktenbestands genutzt und die Digitalisierung und virtuelle Rekonstruktion von Archivgut fortgesetzt werden.

Außerdem sollte bis spätestens 2019 das geltende Stasi-Unterlagengesetz dahingehend geändert werden, dass die Überprüfungen, wie bisher in den §§ 19, 20 und 21 StUG geregelt, entfristet werden, damit sie weiterhin möglich sind.

In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass es dringend geboten ist, die Antragsfristen der Rehabilitierungsgesetze aufzuheben, um politisch Verfolgten weiterhin die gesetzlichen Möglichkeiten der Rehabilitierung und Unterstützung zu gewähren.

Im Übrigen sprechen wir Roland Jahn unser Vertrauen aus und plädieren für seine Wiederwahl als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.“

Unterzeichner:

Joachim Krüger, Michael Ney, Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 e.V.

Detlef Fahle, DDR-Militärgefängnis Schwedt e.V.

Graf von Schwerin, Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) e.V.

Dieter Dombrowski, UOKG, Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.,

Claus Ladner, Fördergemeinschaft „Lindenstraße 54“

Sylvia Wähling, Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.

Hans-Perter Freimark, DDR-Geschichtsmuseum im Dokumentationszentrum Perleberg e.V.

Jürgen Sydow, Interessengemeinschaft ehem. politischer Brandenburger Häftlinge 1945-1989

Roland Herrmann, Kindergefängsnis Bad Freienwalde / IG ehemaliger Heimkinder Ost

Carl-Wolfgang Holzapfel, Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V.

Jörg Moll, Vereinigug der Opfer des Kommunismus – Deutschland e.V.

Siegmar Faust, Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.

Heinz-Gerd Hesse, Initiativgruppe Internierungslager Jamlitz e.V.

Carla Ottmann, Verein zur Förderung der Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“ e.V.

Wolfgang-Alexander Latotzky, Kindheit hinter Stacheldraht e.V.

Petra Ostrowski, Vereinigung. der Opfer des Stalinismus (VOS), Landesverband Brandenburg e.V.

Manfred Kruczek, Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg e.V.

Dr. Peter Boeger, Checkpoint Bravo e.V.

Carola Stabe, Gemeinschaft der Verfolgten des DDR-Systems Brandenburg“

Dr.Richard Buchner, Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e.V.

Prof. Ines Geipel, Doping-Opfer-Hilfe e.V.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785 (1.113)