Berlin, 3.04.2016/cw – Hildigund Neubert, einstige Landesbauftragte in Thüringen (2003 -20013) und jetziges Mitglied der Expertenkommission für die Zukunft der BStU im Deutschen Bundestag, hat sich jetzt mit einem Minderheitenvotum gegen die Empfehlungen der Kommission gestellt. Die für Rainer Wagner (CDU/UOKG) nach dessen Aufgabe aller politischen Ämter in das Gremium nachgerückte Staatssekretärin in der Thüringer Staatskanzlei (2013 – 2014) und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin übte jetzt harsche Kritik an der offenbar vorliegenden Mehrheitsentscheidung des Gremiums, das in einem Empfehlungskatalog die Auflösung der BstU, die Überführung der Akten in den Bestand des Bundesarchivs und die Schaffung eines Bundesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur aufgelistet hat.
„Es gibt meines Erachtens keine zwingenden sachlichen Gründe, das Stasi-Unterlagen-Gesetz aufzuheben, die damit gegründete Behörde zu zerschlagen und das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen abzuschaffen. Die Aufklärung über die kommunistische SED-Diktatur wird verschwimmen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für das Thema schwinden und das Bildungsniveau der Schüler und Studenten weiter absinken,“ kritisiert Neubert und stellt abschließend fest:
„In einer Zeit, in der Deutschland vor großen Herausforderungen steht, in der viele Bürger um ihre Identität in ihrem Land besorgt sind, in der neue totalitäre Regime und Ideologien uns herausfordern, ist es das falsche Signal, diese Institution der Freiheit zu schleifen.“
In dem der Redaktion vorliegenden vierseitigem Konvolut begründet die CDU-Politikerin ausführlich ihre Kritik an der Kommissions-Empfehlung, die offenbar vom geschäftsführenden Leiter der BstU, Roland Jahn, geteilt wird. Dieser hatte erst kürzlich davor gewarnt, das Ministerium für Staatssicherheit in den Fokus der Aufarbeitung zu stellen und sich eher auf die generelle Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu konzentrieren. Die empfohlene Übergabe des MfS-Aktenmaterials an das Bundesarchiv wäre aus seiner Sicht richtig.

Neubert (li.) neben UOKG-Chef Dombrowski erläuterte in Potsdam vor der UOKG die voraussichtliche Stellungnahme der Kommission. – Foto: LyrAg
Handlungsbedarf statt Auflösung
Neubert dagegen sieht anstelle einer Auflösung eher Handlungsbedarf für die bestehende Behörde. Zweifellos gäbe es „berechtigte Kritik an der Praxis der Behörde und am Stand einiger der gesetzlichen Regelungen“. So habe die „einseitige Orientierung einiger der Experten auf die Abschaffung des StUG (Stasiunterlagengesetz) und des Amtes des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen (BstU) den Blick dafür verstellt, dass die beklagten Mängel nicht systemischer sondern organisatorischer Art“ seien.
Vorhandene Mängel, die nach Neubert allerdings “untergesetzlich” behoben werden könnten, sind danach u.a. die Wartezeiten für Betroffene bei der Akteneinsicht, der unverhältnismäßig große Verwaltungsapparat , die Erschließung von Unterlagen und die notwendige Digitalisierung. Die Zahl und der Zuschnitt der Außenstellen, deren technischer Zuschnitt und Zustand und die Fortsetzung der „Virtuelle Rekonstruktion vorvernichteter Unterlagen“ könne über entsprechende Haushaltsregeln entschieden werden.
Eine gesetzliche Regelung sei dagegen notwendig, um die „unterschiedlichen Zugangsrechte für Wissenschaftler in- und außerhalb der Behörde“ und die Zweckbindung der Aktenverwendung durch die Behörde auf MfS-Forschung zu regeln. Der hohe Prüfungsaufwand bei Herausgabe i.S. des Opfer- und Persönlichkeitsrechtsschutzes und der „daher auch eingeschränkte Zugriff auf Findmittel“ bedürfe ebenfalls einer gesetzlichen Justierung.
Der Vortrag Neuberts dürfte für einige Diskussionen sorgen, zumal dieses Minderheiten-Votum der bisher als treue Anhängerin der CDU geltenden einstigen Behördenleiterin innerhalb der Union noch immer Seltenheitswert hat. Im Gegensatz zu ihren Ausführungen vor der UOKG im März, die vielfach und wie sich jetzt herausstellt fälschlich als verdeckte Zustimmung zu den durchgesickerten Plänen der Kommission gewertet wurden, listet die Theologen-Gattin nunmehr akribisch die Fehlentwicklungen auf und gibt auch mögliche verheerende Signale nach Außen durch eine Auflösung der bisherigen Behörde zu bedenken:
Kleinbüro ohne eigene Aktivitäten
„Ebenso fiktiv ist die Annahme, der neue Beauftragte werde der Ansprechpartner für internationale Aufarbeitungsinstitutionen sein. Die internationalen Partner werden sich an die Institutionen wenden, die Kompetenzen und Kooperationsmöglichkeiten bieten, kaum an ein Kleinbüro ohne eigene Aktivitäten. Vielmehr ist das StUG Vorbild für viele andere postdiktatorische Gesellschaften. Vor allem die Unabhängigkeit und die Rechtssicherheit werden hoch geschätzt, da sie vor politischer Instrumentalisierung schützen. Ein weisungsgebundener Abteilungsleiter im Bundesarchiv würde das so wenig darstellen können wie ein Beauftragter ohne Akten.“
Die mögliche Bundestagskandidatin (2017) sieht „mit Schrecken, wie stark das Abgrenzungssyndrom des Mauerstaats, das Freund-Feind-Denken, der zentralistische Etatismus und der Sozialpopulismus der marxistischen Ideologie, sogar der Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten noch fortwirken.“ Auch dies sind für Neubert gewichtige Argumente „gegen das Versenken des Flaggschiffs der Aufarbeitung.“
Die Experten-Kommission wird Mitte April ihre Empfehlungen an den Deutschen Bundestag übergeben. In einer ersten Stellungnahme sprach die in Berlin ansässige Vereinigung 17. Juni 1953 ihre Hoffnung aus, dass „die bemerkenswerten und unsererseits zustimmungsfähigen Kritikpunkte Hildigund Neuberts bei kritikfähigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages über Parteigrenzen hinweg zumindest Beachtung finden und zu einer intensiven und letztlich zielführenden Debatte in dieser nicht nur für die Verfolgten und Opfer der zweiten deutschen Diktatur wichtigen Frage führen.“ Von anderen Verbänden oder dem Dachverband (UOKG) lagen bei Redaktionsschluß noch keine Stellungnahmen vor.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785 (1.095)
4 Kommentare
4. April 2016 um 22:49
J.Staadt
Da sind wir ganz anderer Meinung. Das Archiv ist nach Milliardenausgaben für den BStU noch immer ineinem unakzeptablen Zustand. Es gehört schnellstens ins Bundesarchiv. Die Bahauptung, dort lägen nur Akten, die nur für Historiker interessant seien, ist ignorant. Der gesamte SED-Bestand wurde und wird nach wie vor von Opfern des SED-Regimes genutzt und ist für die Repressierten vom 17. Juni 1953 absolut unersetzlich.
MfG J.-Staadt
4. April 2016 um 22:47
Robby Basler
Wem gehören die Stasiakten?
Die Stasiakten sollen in das Bundesarchiv?! Wie bitte???? Stasiakten sind Informationen über Opfer von Überwachung eines Unrechtssystems. In dem Moment, wo ein Bundesarchiv sich der Akten annimmt, handelt es sich um rechtmäßig geführte Akten. Das geht nicht. Die Informationen in den Akten sind prekär, oft verfälscht dargestellt und dienten einem Verbrechen. Die darin gesammelten Informationen obliegen eigentlich der Urheberschaft jener Personen, die da observiert wurden. Es sind ihre Handlungen, ihre gesprochenen Wörter, es sind ihre Stimmen und ihre verfassten Briefe und Schreiben, die heimlich kopiert, mitgehört, mitgeschnitten wurden. Das Urheberrecht gehört den Opfern. Dem Bund geht es nichts an, wie Opfer hießen, aus welchen Familien sie stammten, wer davon noch lebt. All das lässt sich aber aus diesen Akten filtern. Dies muss einem Staat aber verboten sein, darüber Akteneinsicht zu erhalten. Dies ist in einem Bundesarchiv nicht gesichert. Zur Schutzpflicht des Staates gehört, Beweismaterialien über Verbrechen zu sichern. Da die Urheberrechte den Opfern gehören, kann das Material aber nicht einfach der Polizei überreicht werden, sondern bräuchte strafrechtliche Verfolgungsaufträge, um dieses Beweismaterial zu sichern. Auch das geht also nicht. Daher muss es eine unabhängige Aufbewahrungsstätte für diese Unterlagen geben, und zwar in der Form, wie sie bereits existiert. Es ist Teil der Schutzpflicht des Staates, auch finanziell, so lange die unabhängige Stasiunterlagenbehörde zu erhalten, bis der letzte DDR- Jahrgang tatsächlich verstorben ist. Das dürfte dann frühestens 2089 sein. Der Staat verstößt also gegen völkerrechtliche Vereinbarungen, wenn er diese Schutzpflicht nicht gewährt. Jedes Opfer der Stasi sollte daher Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn der Bund das Archiv auflöst oder es in seine Archive eingliedern will.
Mit besten Grüßen
Robby Basler
3. April 2016 um 16:40
Bernd Stichler
……..„In einer Zeit, in der Deutschland vor großen Herausforderungen steht, in der viele Bürger um ihre Identität in ihrem Land besorgt sind, in der neue totalitäre Regime und Ideologien uns herausfordern, ist es das falsche Signal, diese Institution der Freiheit zu schleifen.“……
Das unterschreibe ich !!!
3. April 2016 um 15:56
Felix Heinz Holtschke
Der Hauptinteressent für die Auflösung der BstU ist die Linke als Nachfolge-Organisation der Mauerbau-Partei SED/PDS. Allein aus diesem Grunde ist diese Behörde am Leben zu erhalten und die Aufarbeitung fortzusetzen. Insbesondere warten noch hunderte Säcke geschredderten Materials, wieder zusammengefügt zu werden. Haben westdeutsche Politiker etwa Angst davor? Und wo sind eigentlich die Vertreter der Stasi-Opferorganisationen in der sogenannten Experten-Kommission?