Berlin, 21.03.2016/cw – Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) muss die Nachforderungen der Deutschen Renten-Versicherung in Höhe von 104.000 Euro plus Säumniszuschlägen hinnehmen. Das hat das Sozialgericht Berlin in einer fast zweistündigen Verhandlung unter dem Vorsitz von Richter Wichner am 16.03.2016 festgestellt (S 28 KR631/14). Im Vereinsorgan Freiheitsglocke (Jan./Feb.2016) hatte der Vorstand noch optimistisch verkündet, man wolle über die Höhe der Zahlungen in der „endlich stattfindenden Sitzung“ verhandeln.

Vor dem Sozialgericht in der Berliner Invalidenstraße trafen sich einstige und aktive Vorstände der VOS zu einer traurigen Verhandlung. – Foto: LyrAg
Einzig in Sachen des vormaligen Geschäftsführers und späteren Bundesvorsitzenden Hugo D. wurde auf Vorschlag des Richters ein Vergleich erreicht: Die Forderungen aus dem seit Jahren umstrittenen „Besorgungsvertrag“ für Büroarbeiten in der VOS wurden wegen Verjährung für die Zeit März 2004 bis Dez.2006 annulliert, wodurch sich die Gesamtforderungen gegen den Verband voraussichtlich auf rund 121.000 Euro an vorenthaltenen Sozialabgaben incl. der Säumniszuschläge reduzieren. Da der Verband lt. eigener Angaben vor Gericht bereits 51.000 Euro beglichen hat, stehen noch rund 70.000 Euro auf der Forderungsseite (siehe Kommentar).
Vertrag mit Verein „selbst gestaltet“
Im Laufe der Verhandlung kamen trotz des richterliche Hinweises, dass das Sozialgericht nicht „für das Waschen schmutziger Wäsche“ zuständig sei, erstaunliche Einzelheiten über die internen Abläufe zur Sprache. So hielt der Geschäftsführer dem anwesenden ehem. stv. Bundesvorsitzenden Ronald L. vor, dieser habe den fraglichen Dienstvertrag „selbst gestaltet“ und diesen sogar später gefälscht, als er der Beratungstätigkeit noch den „Pressesprecher“ zugefügt hätte. Die vertraglich vereinbarte monatliche Vergütung in Höhe von 2.250 Euro sei „Brutto für Netto“ ausgezahlt worden, da der Verein davon ausging, dass Ronald L. Die Abgaben selbst entrichten würde. Wie aus einem Vorhalt des Gerichtes hervorging, war in den fraglichen Arbeitsverträgen keine abzuleistende Arbeitszeit festgelegt worden, die Vertragspartner des Verbandes konnten diese also frei und nach Gutdünken einbringen. Das mindere hingegen nicht die Pflicht des Vereins, die Sozialabgaben einzubehalten und abzuführen, betonte Richter Wichner mehrfach. Schließlich habe der Verein die Verträge unterschrieben.
Dubiose Ausschreibungspraxis
Wegen der „Nichtzuständigkeit für das Strafrecht“ (Wichner) kamen vor dem Sozialgericht auch andere Einzelheiten nicht zur Sprache. So hatte Ronald L. die Ausschreibungen für ursprünglich vier (im Ergebnis zwei) Beraterstellen im Dezember 2010 nicht nur verfasst sondern sich selbst als Adressaten möglicher Bewerbungen eingetragen, obwohl er selbst als Bewerber um die vom Landesbeauftragten bezahlten Beratungsfunktionen auftrat.
Auch die heftig geführten internen Debatten um den Besorgungsvertrag zwischen dem einstigen stv. Bundesvorsitzenden, Schatzmeister und Geschäftsführer (in einer Person) und dem Vorstand kamen aus den gleichen Gründen nicht zur Sprache. Der Geschäftsführer hatte zu diesem Zweck eine „Ich-AG“ gegründet und sich bereits vor Unterzeichnung des Vertrages die erste mtl. anfallende Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro auf sein Konto überwiesen. So konnte im Zuge der Verhandlung auch nicht geklärt werden, ob Hugo D. einstens für die Ich-AG z.B. zusätzliche Fördergelder von der Bundesanstalt für Arbeit eingestrichen hatte. Auch die zusätzliche Aufwandsentschädigung als Mitglied des ZDF-Fernsehrates von mtl. über 500 Euro konnte so nicht einmal angeführt werden. Im Gegenteil machte D. das Gericht darauf aufmerksam, dass er in der fraglichen Zeit „freiwillige Beiträge“ zur Krankenversicherung gezahlt habe. Richter Wichner: „Die können sie ja wegen der bestehenden Beitragspflicht jetzt zurückfordern und dem Verein zur Verfügung stellen, wenn sie dem etwas Gutes tun wollen.“

„Egal, wer unter mir Vorsitzender ist.“ Hugo D. (re. in Friedrichroda 2014) kann auch nach dem jüngsten Termin lachen… – Foto: LyrAg
Buchwald: Der Verein stände vor der Insolvenz
Der amtierende VOS-Bundesvorsitzende und Schatzmeister Rainer Buchwald unterstütze den Geschäftsführer in dessen Bemühen, das Nichtwissen des Verbandes um die Abgabenpflichten zu untermauern. Buchwald: „Es handelt sich um einen gemeinnützigen Verein. Ich selbst habe in Haft gesessen, war in Kinderheimen. Alle Kollegen im Vorstand haben ein ähnliches Schicksal. Wir können nicht so ausgebildete Fachkräfte sein. Der Verein steht vor der Insolvenz, wenn wir dafür verantwortlich gemacht werden.“
Das Gericht wies erneut darauf hin, das ein Anruf bei der Rentenversicherung oder einer Krankenkasse ausgereicht hätte, um die Zahlungspflicht in Erfahrung zu bringen. So wurden im Ergebnis die Forderungen für Hugo D., Ronald L. und eine geringfügig Beschäftigte im Landesverband Sachsen mit der zuvor erwähnten Einschränkung wegen der Verjährung in einem Vergleich bestätigt, dem die Beteiligten nach nochmaliger Verlesung zustimmten. Der entsprechende Schriftsatz wird am 16. April verkündet.
Dem Verband dürfte das Ergebnis mehr als ungelegen kommen, hat er doch seine Mitgliedszahlen in den vergangenen Jahren von ausgewiesenen 20.000 in mehreren Schritten auf jetzt unter 1.000 Mitglieder reduzieren müssen. Unter diesen Umständen sind die augenblicklichen monatlichen Verpflichtungen (900 und 500 Euro) an zwei Krankenkassen ein erhebliche Belastung der Vereinskasse. Neben der aufgewiesenen Möglichkeit, eine Reduzierung dieser monatlichen Raten zu beantragen, nannte Geschäftsführer Hugo D. einen weiteren Weg: „Das müssen wir über die Politik machen, da haben wir gute Verbindungen.“
Warum der Verband seinen Mitgliedern nie „reinen Wein“ eingeschenkt und nicht in der Freiheitsglocke über die wirklichen Verhältnisse berichtet habe, wurde Hugo D. am Ende der Sitzung gefragt. „Dafür war ich nicht zuständig,“ erwiderte der einstige Bundesvorsitzende, Schatzmeister und Geschäftsführer ungerührt. Dann verschwand der jetzige Beirat und amtierende Geschäftsführer mit Begleitung im turbulenten Treiben um den Hauptbahnhof.
Kommentar
Nicht die VOS, sondern (wieder einmal) der alerte Geschäftsführer und sein ehemaliger Vorstandskollege kamen mit einem blauen Auge davon. Wenn der Vergleich überhaupt stimmt. Denn nicht die in dieser Sache mehr als dubios agierenden Funktionäre zahlen die Zeche, sondern der Verein und damit die (verbliebenen) Mitglieder. Es sind deren Beiträge, die hier für die offensichtlichen Verfehlungen ihrer gewählten Vorstände herhalten müssen. Wer das als gerecht empfindet, sollte sich nicht mehr an Demonstrationen für (berechtigte) Entschädigungsforderungen z.B. für die in der DDR praktizierte Haftzwangsarbeit beteiligen.
Der Staat, sprich der Steuerzahler, alimentiert diese Vereine mit beträchtlichen Summen. Allerdings scheint es mit der (sonst vielfach vom Bürger als Belastung empfundenen) Kontrolle der Steuergeldempfänger nicht weit her zu sein. Ansonsten wäre eine derartige Forderungssumme erst gar nicht entstanden.
Und wer fragt jetzt noch nach der Verantwortlichkeit der Täter? Wer bittet jetzt diese zur Kasse, verlangt gar Schadenersatz für den derart düpierten Verein und seine Mitglieder? Schließlich wurden die vorenthaltenen Sozialabgaben genüsslich selbst verbraucht, der Verein also nachhaltig geschädigt. Schöne Grüße vom Rechtsstaat.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785 (1.089)
4 Kommentare
23. März 2016 um 18:19
Springer
Wo bleibt mein Beitrag von gestern, fragt Manfred Springer aus Hamburg. –
Hier ist er (Die Redaktion):
Nachdem damals diese ominöse Gesetzgebung (der Ich-AG) durch den damaligen Kanzler Schröder heraus kam gab es viele Insolvenzen.
Solch eine Aussage,“ man musste sich ja nur tel. erkundigen “ ist einfach zu billig und auch nicht verantwortbar. (Alle Naselang bekamen wir (in der Versicherungsbranche“ wieder und wieder „Neueste Erkenntnisse“!!!!) sagt Manfred Springer aus Hamburg.
Ps: Ich fiel deshalb nicht darunter, weil „vor 1948 geboren“!!!!-und wer von den Betroffenen – und von den Lesern – hätte das nur alleine „tel. erfahren“????!!!!
Ob diese „Gesetzgebung“ etwas positives gebracht hat – ….?!
22. März 2016 um 10:21
Gustav Rust
Danke, lieber Kamerad Stichler! Die Delegierten sind schuld… Sie nicken meist alles ab, was vom Podium verkündet wird. Ich verstehe auch nicht, warum die VOS wieder der UOKG beitrat. Genauso verhält es sich mit den einst vom NKWD verschleppten Kameraden, die ehrenamtlich jahrelang Zeit opferten für die Gedenkstätte Leistikowstraße in Potsdam-Neuer Garten. Erst werden sie vom VEB Aufarbeitung beiseite geschoben, es wurde eine Menschenkette gebildet, und es rauschte kurz im Blätterwald. Und dann? Dann, ganz plötzlich, vertrug man sich wieder mit den hauptamtlichen Historikern um den dubiosen Dr. Morsch und seinen Kollegen. Wozu dann erst Proteste? Nur, um einmal namentlich in den (Verblödungs-)Medien genannt zu werden? Nur, um einmal im Licht der Öffentlichkeit zu stehen? Ich bereue noch heute, mich bis Potsdam-Neuer Garten hinausgequält zu haben. Mit Rad und S-Bahn mit zwei dicken Beinen und Thrombose-Gefahr… Jeder sollte sich den Ausspruch von Dr. Knabe merken: „Der Feind des Historikers ist der Zeitzeuge“.
Kameradschaftliche Grüße, Gustav Rust
21. März 2016 um 23:27
kaiheidi1
Ist ja nicht der einzige Verein der Gelder unterschlagen hat. Als das Geld die Rückführung an ein Mitglied beantragt hatte, wurde vom Vorsitzenden Insolvenz für den Verein am Gericht beantragt. Hoffe das nicht alle Vereine und alle aus der DDR unter Generalverdacht gestellt werden. Denn der große Teil von SED und Stasiopfern sind aufrecht und ehrlich. Schwarze Schafe gibt es leider überall.
21. März 2016 um 20:16
Bernd Stichler
……..Warum der Verband seinen Mitgliedern nie „reinen Wein“ eingeschenkt und nicht in der Freiheitsglocke über die wirklichen Verhältnisse berichtet habe,…..
Als ehemaliger, aber für diese Zustände nicht verantwortlicher Bundesvorsitzender der VOS muss ich wohl etwas gerade rücken. Nicht der Verband hat seine Mitglieder getäuscht sondern der amtierende Bundesvorstand ab 2007. Der Versuch, allen Mitgliedern reinen Wein einzuschenken, wurde unternommen von zwei Berliner VOS-Mitgliedern. Sie bekamen jedoch nicht die geringste Gelegenheit, bei der Generalversammlung 2010 die Delegierten über die tatsächlichen Verhältnisse zu informieren. In einem für mich unfassbaren Akt horrender Dummheit und Ignoranz wurden diese beiden Berliner VOS Kameraden aus dem Versammlungsraum verbannt – von den Delegierten selbst! Und vor diesem Hintergrund vermag ich keinerlei Mitgefühl für die jetzt als Betrogene dastehenden VOS-Mitglieder zu empfinden. Vielmehr haben sie es sich selbst zuzuschreiben, dass sich jetzt der Spruch: „Dummheit muss bestraft werden“ in drastischer Weise realisiert. An rechtzeitiger Warnung hat es nicht gefehlt!!!