Berlin, 28.11.2015/cw – Fast zentral über dem sogen. Autobahn-Kleeblatt in Berlin-Zehlendorf und unweit des einst weltberühmten Grenzübergangs „Dreilinden“ steht das einzige originäre Denkmal an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in Mitteldeutschland. Nach dem Scheitern des Aufstandes, der ersten Erhebung gegen eine kommunistische Diktatur nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa, trugen aktive Teilnehmer unter großer Anteilnahme der Westberliner Bevölkerung Ende Juni 1953 ein großes Holzkreuz durch die Berliner Bezirke bis nach Zehlendorf. Dort stand seit den Tagen der Kapitulation von 1945 ein sowjetischer Panzer auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Chaussee, aufgestellt auf einem martialischen Steinsockel. Ein ewiges und weiteres Denkmal an den Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland.

Aufstandsteilnehmer und junge Berliner trugen im Juni 1953 ein Holzkreuz durch die Bezirke nach Zehlendorf …
Eben diese Rote Armee stand 1953 bereit, um den Arbeiteraufstand im „Ersten Arbeiter- und Bauern-Staat auf deutschem Boden“ unter den Ketten sowjetischer T-34-Tanks niederzuwalzen. Was lag da näher, als jenes besagte Holzkreuz in Ermangelung anderer Möglichkeiten gegenüber der Panzerkanone dieses im amerikanischen Sektor gelegenen Denkmals aufzurichten? Das sowjetische Ehrenmal nahe dem Brandenburger Tor und gleichzeitig letzte Ruhestätte für tausende Soldaten der Roten Armee, die im Kampf um Berlin gefallen waren, kam aus diesen Gründen für diese demonstrative Erinnerung an die Opfer und Toten des Volksaufstandes nicht in Frage. So wurde dieses schlichte Holzkreuz zum ersten und damit einzigen originären Mahnmal an die Geschehnisse des 16. und 17. Juni 1953 in ganz Deutschland, was dieser Gedenkstätte einen besonderen historischen Rang gibt. Der sowjetische Panzer wurde übrigens 1955 entfernt. Er stand bis zur Wiedervereinigung für Berlin-Besucher weithin sichtbar auf einer Anhöhe am Grenzkontrollpunkt Dreilinden
Seither ehrte das „Komitee 17. Juni“, das am 3. Oktober 1957 unter seinem seitherigen Namen „Vereinigung 17. Juni 1953 e.V.“ in das Berliner Vereinsregister eingetragen wurde, an diesem Ort, viele Jahre unter Teilnahme nahmhafter Politiker aus Berlin und der Bundesrepublik, am Vorabend des einstigen TAGES DER DEUTSCHEN EINHEIT, am jeweiligen 16. Juni um 18:00 Uhr, die Toten der Volkserhebung.
Am 17. Juni 1954 wurde an dieser Stelle unter Teilnahme des ersten und letzten frei gewählten Ministerpräsidenten Russlands, des 1917 durch die Bolschewiki gestürzten Alexander Fjodorowitsch Kerenski (*1881 Uljanowsk, + 1970 New York) der sogen. „Russenstein“ gegenüber dem Holzkreuz errichtet. Kerenski war dazu eigens aus den USA angereist. Nach dem dort eingemeißelten Text sollte mit diesem Denkstein an jene sowjetischen Soldaten erinnert werden, die wegen ihrer Weigerung, auf deutsche Arbeiter zu schießen, standrechtlich erschossen worden waren.
Moskau verweigert nach wie vor Einblick in Archive
Nach der Wende (Warum nicht früher?) erschienen kritische Medienberichte, die diese standrechtlichen Erschießungen bezweifelten. Die Vereinigung 17. Juni unternahm seither einige Schritte, um der historischen Wahrheit näher zu kommen. Der jahrzehntelange Vorsitzende und einstige Bauarbeiter an der Stalinallee, Manfred Plöckinger (+ 2002) reiste eigens nach Biederitz bei Magdeburg. Dort war ein Massengrab im Wald bei Biederitz entdeckt worden, das mit seinerzeitigen Berichten über standrechtliche Erschiessungen übereinstimmte. Die mit der Untersuchung der aufgefundenen Leichenreste beauftragte Universität Magdeburg stellte nach ersten Erhebungen fest, dass es sich um Tote aus dem „asiatischen Raum“ handele, die offensichtlich „zur Sommerzeit“ den Tod fanden, darauf ließen aufgefundene Blütenpollen schließen. Auf Nachfragen von Plöckinger relativierte dann die zuständige Fakultät diesen ersten Bericht und teilte mit, es sei nicht mehr auszuschließen, dass es sich auch um zu Tode gekommene Kriegsgefangene aus der Zeit des Dritten Reiches handeln könne. Seltsam, daß es nach heutigen Kenntnissen nicht möglich gewesen sein soll, den Zeitraum des Todes näher einzugrenzen. Immerhin geht es hier um eine Zeitdifferenz von mindestens sieben bis acht Jahren.
Die Vereinigung wandte sich nunmehr über das Auswärtige Amt an die Militärstaatsanwaltschaft in Moskau, im Ergebnis vergeblich. Interessant war dennoch der Inhalt der Antwort. Die russische Staatsanwaltschaft behauptete nicht, dass es diese Erschießungen nicht gegeben habe, es sich (z.B.) um eine der Legenden aus der Zeit des Kalten Krieges handeln könnte. Lapidar hieß es, die Staatsanwaltschaft „verfüge über keine derartigen Unterlagen.“
Für Plöckinger-Nachfolger Carl-Wolfgang Holzapfel, der sich schon in den neunziger Jahren über einen ukrainischen Historiker um Aufklärung bemüht hatte, also eine nach wie vor „offene Frage“. Solange die Russen ihre Archive geschlossen halten, bleibt für den jetzigen Vorsitzenden der „17er“ die Frage nach der Authenzität der einstigen Berichte ungeklärt, ist also „weder die standrechtliche Erschießung noch das Gegenteil“ historisch belegt. Und noch einen Grund gibt der einstige Mauerkämpfer, der seit 1963 Mitglied der Vereinigung ist, für die Beibehaltung des Russensteins am Gedenkort an: „In der Hochzeit des Kalten Krieges war dieses Gedenken für uns ein wichtiger Markstein, uns nicht in einem grenzenlosen Hass gegen Russland zu verlieren. Wir nahmen offen zur Kenntnis, dass es nicht einen monolithischen Block des Bösen gab, sondern auch dort Menschen existierten, die sich offen weigerten, an Verbrechen teilzunehmen.“ Dieses Argument leuchtete dann auch jenen ein, die sich für eine Beseitigung des Gedenksteins einsetzten. Seither sind zwar keine Gebinde staatlicher Institutionen mehr am Russenstein niedergelegt worden; die Vereinigung 17. Juni legt dort nach wie vor – und dies seit nunmehr 61 Jahren – einen Blumengruß nieder. „Wir ehren damit die vielen unbekannten Helden der Menschlichkeit, die einem furchtbaren System die Gefolgschaft verweigerten,“ so der Vorstand.

Spurensuche – in der Schrift der Vereinigung zum 50. Jahrestag des 17. Juni wurde die Geschichte des Russensteins ausführlich beleuchtet.
Mit dem Abstand zu den Geschehnissen von 1953 und der Wiedervereinigung vor einem Vierteljahrhundert geriet auch die originäre Gedenkstätte in Berlin-Zehlendorf zunehmend ins Wahrnehmungs-Abseits. So wurde die regelmäßige Pflege der Gedenkstätte „aus finanziellen Gründen“ auf eine einmalige Jahrespflege heruntergefahren, vermoderte das Holzkreuz, fiel die installierte Lichtanlage unbemerkt aus, die das Holzkeuz im Dunkelen anleuchtete, und die Kränze des Gedenkens aus dem Jahre 2013 wurden erst im Juni 2014 beseitigt.
Steglitz-Zehlendorf: Patenschaft durch örtliche Schulen?
Jetzt hat die BVV Steglitz-Zehlendorf auf ihrer letzten Sitzung beschlossen, die „regelmäßige Pflege des originären Denkmals sicherzustellen“ und das „marode Holzkeuz“ zu erneuern. Ferner sollen an den wichtigen Kreuzungen in Zehlendorf und in Wannsee Hinweisschilder zum Denkmal angebracht werden, ebenfalls eine seit zwei Jahrzehnten vorgetragene Anregung des Vereins. Die Annahme des Antrages der CDU-Fraktion, dem auch die Fraktion der SPD beigetreten war, erfolgte einstimmig, d.h. ohne Gegenstimme oder Enthaltung.
Nun hofft die Vereinigung auf eine rasche Realisierung und die letztliche Umsetzung weiterer Vorschläge, die von ihrem Vorsitzenden auf der dem BVV-Beschluss vorausgegengenen Ausschusssitzung vorgetragen worden waren. Als besonders dringlich war die Verlegung der Standspuren am Denkmal dargelegt worden, da ein „gefahrloser und wünschenswerter Besuch der Gedenkstätte“ nur so möglich sei. Auch eine Patenschaft durch örtliche Schulen wäre wünschenswert. Holzapfel war selbst in Zehlendorf zur Schule gegangen und erinnerte die Ausschussmitglieder daran, dass das Denkmal in den fünfziger Jahren ein „fester Bestandteil im Unterrichtsprogramm“ gewesen sei: „Die demographische Entwicklung erfordert ein zeitnahes Handeln in dieser Richtung, denn die Zeitzeugen sterben uns zunehmend weg,“ so Holzapfel in seinem Vortrag (1.061).
V.i.S.d.P.: Vereinigung 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785
2 Kommentare
3. Dezember 2015 um 20:56
Matze
Der letzte Eintrag der UOKG lautet:
Dieter Dombrowski neuer UOKG-Bundesvorsitzender (Dienstag, den 20. Oktober 2015 um 11:29 Uhr). Steht dies für Aufarbeitung und Achtung vor den Verfolgten der damaligen und jetzigen roten Diktatoren? Eine Antwort darauf, wird sich jeder verkneifen, der wähnt, in diesem System noch irgend etwas zu verlieren zu haben. Aussprüche wie: „Für all das bin ich 1989 nicht auf die Straße gegangen und auch nicht vor 25 Jahren in die CDU eingetreten.“ oder „Ich habe mich noch nie – nicht einmal in der DDR – so fremd in meinem Land gefühlt.“ Quelle: https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2015/ich-habe-mich-noch-nie-so-fremd-in-meinem-land-gefuehlt/ werden hingegen nur noch von geradlinigen Personen geäußert. Es gab Zeiten wo Andersdenkende mit Panzern bzw. vorrangig physisch „platt gemacht“ wurden, zwischenzeitlich wurde das „System“ erheblich „verfeinert“ – auch daran sollte man denken oder besser GEDENKEN ! Wer könnte sich vorstellen, ein zum Nachdenken anregendes Denkmal zu entwerfen und mit aufzurichten? Jede historische Epoche benötigt Manifestationen, um wirksam in der Geschichte einzugehen. Jetzt ist die richtige Zeit dafür.
29. November 2015 um 18:31
Bernd Stichler
Angesichts der Linkslastigkeit heutiger Politik kommt es schon einer kleinen Sensation gleich, wenn man diese Epoche deutscher Geschichte noch ernsthaft behandelt. Bei aller Erfreulichkeit darüber würde mich persönlich doch interessieren, wie die einzelnen Fraktionen der BVV zu dieser Thematik stehen. Möge es kein Strohfeuer sein.