Nr.046 – Einigkeit und Recht und Freiheit – 15. 10. 2015
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UOKG: Verfolgte, schart Euch zusammen, ehe Ihr einzeln zerbrecht
Berlin, 15.10.2015/cw – 25 Jahre nach der Wiedervereinigung und 26 Jahre nach dem Fall der Mauer steht der Dachverband der Verfolgten- und Opferverbände UOKG vor einer Zäsur. Am 17. und 18. Oktober wählt er im einstigen Zentrum des DDR-Unterdrückungsapparates vorzeitig einen neuen Vorstand. Bisher ist als einziger Kandidat für den Vorsitz der Brandenburger CDU-Politiker Dieter Dombrowski bekannt. Über weitere Vorstands-Kandidaten sind selbst die Verbandsmitglieder bislang nicht informiert. Der seit 2007 amtierende Vorsitzende Rainer Wagner hatte im April seinen Rücktritt erklärt und damit die Wahlen notwendig gemacht.
Wer aber glaubt, der Dachverband sei erst durch den Rücktritt des umstrittenen evangelikalen Predigers in die Krise gestürzt, verkürzt die seit Jahren angestauten Probleme in unzulässiger Weise. Wagner war es gelungen, den Kreis der Mitgliederverbände im Dachverband stetig zu erhöhen. Kritiker warfen der UOKG allerdings vor, die Erhöhung numerischer Masse „ohne Inhalt“ der qualitativen Gewinnung arbeitsfähiger Vereine vorzuziehen. So bestehen viele der aktuell ausgewiesenen über 30 Mitgliedsverbände häufig nur aus wenigen Mitgliedern, die teilweise noch nicht einmal die Möglichkeit hätten, sich als rechtsfähiger Verein eintragen zu lassen (Minimum sieben Mitglieder). Mit der einer Monstranz ähnlich vor sich her getragenen Mitgliedschaft des Bundes der Vertriebenen wies der Wagner-Vorstand zwar darauf hin, daß die Mitglieder der UOKG immerhin über 2 Millionen Menschen umfassen. Der BdV ließ dagegen schon vor längerer Zeit eine Nachfrage nach seiner Mitgliedschaft in der UOKG unbeantwortet. Nachweislich gehört der Frauenbund im BdV als Verein dem Dachverband an, dessen Vereinsmitglieder aber überschaubar sein sollen.
Im Jahr 2007 und 2008 hingegen hatte die UOKG wichtige Verbände durch Austritt verloren, unter diesen die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), das Bautzen-Komitee und die Vereinigung 17. Juni 1953. Im Zuge der parallelen Wahl von Wagner zum Auch-Vorsitzenden der VOS war zwar der älteste Verband aus Opfern des Kommunismus wieder der UOKG beigetreten, allerdings in einer Zeit und einem Zustand, der nur ein bedauernswertes Spiegelbild einstiger Effizienz abgibt und damit eher eine Belastung als eine echte Bereicherung für die nach wie vor notwendige Arbeit eines Dachverbandes ist.
Die Geburtswehen dieses Dachverbandes im Jahre 1992 waren ohnehin schmerzhaft. Das ursprüngliche Ziel der seinerzeitigen Bundesregierung, über das Innenministerium die Gründung eines Dachverbandes der DDR-Verfolgten und Opfer anzustreben, um statt einer unübersichtlichen Zahl von Vereinen einen kompetenten Gesprächspartner zu haben, scheiterte an der Vielfältigkeit der angesprochenen Vereine und Organisationen. Im Gefolge gründete sich ein Gegenverband, der Zentralrat von Opfern Kommunistischer Gewaltherrschaft. Erst 2004 gelang es unter gemeinsamen Anstrengungen und damals auf beiden Seiten vorhandener Kompromissbereitschaft, den Zentralrat mit seinen Mitgliedsverbänden in die UOKG einzubinden. Unter der Führung des heute 90 jährigen ehemaligen Workutaners und eloquenten Journalisten Horst Schüler gelang der UOKG eine überzeugende und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Allerdings zeigte sich schnell, dass mit dem erfolgreichen Zusammenschluss auch die Konflikte in den Verband getragen worden waren. Weggefährten aus dieser Zeit erinnern sich an die verstörenden und zerstörenden, vor allem aber zeitraubenden Debatten, die durch zersetzende Vorwürfe gegen Personen und Mitgliedsverbände eine nach vorn orientierte Arbeit nahezu unmöglich machten. Diese Auseinandersetzungen gipfelten in dem mehr oder weniger erzwungenen Rücktritt Schülers 2006 in Salzgitter, der viele Anwesende eher an den Ablauf eines Putsches als an eine geordnete Stabübergabe an den Nachfolger erinnerte.
Dass infolge dieser Auseinandersetzungen die bereits erwähnten Traditionsvereine die UOKG verließen, war nicht Rainer Wagner anzulasten, der sich bis zuletzt redlich mühte, diese Zäsur zu verhindern. Danach allerdings begann ein den grundsätzlichen Zusammenhalt gefährdender Schlingerkurs des deklarierten Christen. Wagner, unter dessen Ägide eine beachtliche Organisationsstruktur mit zeitweilig 25 Mitarbeitern aufgebaut wurde, verlief sich offensichtlich in politisch wohl gewohnte, für den Verband nicht gerade förderliche Taktiererei: Er umwarb einerseits die ausgetretenen Verbände in vielen persönlichen Gesprächen und stellte diverse Zusagen in den Raum. Lesenswert die Protokolle aus dieser Zeit, in denen Wagner über die „andauernde Zusendung der Protokolle an die ausgetretenen Mitglieder“, deren „weitere Antrags- und Teilnahmeberechtigung zu und an den Verbändetreffen“ referierte. Andererseits beauftragte der selbe Wagner Funktionäre der UOKG, Verbindungen zu Kritikern dieser Verbände aufzunehmen, um den einen oder anderen unliebsamen Vorstand ablösen zu können.
Dieses für einen im Hauptberuf tätigen Prediger ungewöhnliche Doppelspiel, das letztlich in einer jüngst gerichtlich untersagten Diffamierung ehemaliger politischer Häftlinge durch einen vom Vorstand zur Abstimmung gestellten „Beschluss“ kulminierte, mußte schlussendlich scheitern. Neben den nun aufzubringenden vermeidbaren Gerichts- und Anwaltskosten aus diesem Verfahren – der Vorstand hat inzwischen eine Abschlusserklärung abgegeben, in der er das ergangene Urteil anerkannte – muß der neue, in wenigen Tagen zu wählende Vorstand die UOKG neu aufstellen, mit den Mitgliedsverbänden neue Arbeits- und Umgangsformen für den internen wie den öffentlichen Auftrag erarbeiten. Muss sich die UOKG gar neu erfinden?
Bundesbeauftragter für die Diktatur-Opfer
Die Vereinigung 17.Juni in Berlin, einer der ausgetretenen Vereine, verneint das: „Die UOKG braucht sich nicht neu erfinden, aber sie sollte sich neu definieren nach dem Motto: Verfolgte, schart Euch zusammen, ehe ihr einzeln zerbrecht. Nach Meinung des zweitältesten Verbandes in der Szene (1953) sollte der Dachverband die „Querelen der letzten Jahrzehnte“ hinter sich lassen und sich den nach wie vor offenen Aufgaben widmen: Um die nicht zufriedenstellende Rehabilitierung von Verfolgten und Opfern der zweiten Diktatur, den Skandal der DDR-Renten-Umwandlung zu Lasten einstiger DDR-Bürger, die Schaffung eines Bundesbeauftragten zur Betreuung und Rechtsvertretung von Diktatur-Opfern, die Beweislastumkehr bei Geltendmachung gesundheitlicher Schäden, um nur die wichtigsten Vorhaben zu erwähnen. Der Vorstandssprecher: „Wir brauchen nicht den 28. Jahrestag der UOKG-Gründung abzuwarten, wie weiland den Fall der Mauer.“ Jedes weitere Jahr des Zuwartens wäre sträflich verschenkt, würde immer mehr Menschen ohne Anerkennung ihrer Leiden sterben lassen und spätestens dann die UOKG überflüssig machen.
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Einstige DDR-Grenzer üben sich ungehindert in der Traditionspflege
Berlin, 15.10.2015/cw – Während regelmäßig an die Morde an der Berliner Mauer und der Teilungsgrenze in Deutschland und Europa erinnert wird (siehe zuletzt DIE WELT, 8.10.2015: http://www.welt.de/geschichte/article147382401/Guenter-Litfin-das-erste-Opfer-des-Schiessbefehls.html) , üben sich die Täter von einst nach wie vor und augenscheinlich vom Gesetzgeber unbehelligt in Traditionspflege.
So ruft die Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e.V. (GRH) zum Jubiläumstreffen der „Grenztruppen der DDR“ auf. Am 24.Oktober wollen die einstigen Mauerschützen zu ihrem „ 30. Grenzertreffen“ in der „Landkostarena“ Goethestraße, 15741 Bestensee, zusammenkommen. Das Treffen wird organisiert von der Arbeitsgruppe Grenze, Franz-Mehring-Platz 1 in 10243 Berlin in der vorgen. Gesellschaft. Deren Leiter, Günter L., war in einem Mauermord-Prozess 1998 wegen „Totschlags in zwei Fällen“ verurteilt worden. Der Prozess erregte damals aber auch Aufsehen, weil Günter Bazyli, seinerzeit Oberst der Grenztruppen, schonungslos seine Mitschuld an den Mauermorden eingeräumt hatte. Bazyli war dafür von Mitangeklagten und früheren Untergebenen als „Verräter“ gebrandmarkt worden. „Er hat seine Ehre verkauft, weil er nicht den Mut hatte zu sagen: Mein Kommandeur ist kein Mörder“, hieß es verächtlich nach der Urteilsverkündung über Bazyli. Der aber hielt die offenen Anfeindungen durch. Einem früheren Offizierskollegen, der Bazyli wegen seiner Haltung beschimpfte, hielt er entgegen: „Auch du wirst dort ankommen, wo ich jetzt bin.“
Das war wohl zu optimistisch, denn die Mehrzahl der einstigen „Kameraden“ organisiert sich nach wie vor in Traditionsvereinen, hält unerschütterlich an der Richtigkeit der einstigen Mord-Befehle ihrer obersten Führung fest. So schreibt denn auch Günter L., seinerzeit Stabschef und Oberst im Grenzkommando (1989) in seiner Einladung: „Wir freuen uns auf Deine Teilnahme, weitere Freunde und Interessenten sind herzlich willkommen.“ Und: „Wir schlagen einen Blick ins INTERNET unter http://www.ddr-grenztruppen.de vor. Mit kameradschaftlichen Grüßen, gez. Günter L.“
Schmerzliche Retraumatisierung ehemaliger Verfolgter
Zum 25 Jahrstag der Wiedervereinigung stand allerdings der Jubel im Vordergrund. Mit den kalten Realitäten, wie der ungehinderten Traditionspflege ehemaliger DDR-Kader und der damit einhergehenden schmerzlichen Retraumatisierung ehemaliger Verfolgter oder Angehörigen von Mordopfern an der Mauer ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der zweiten Diktatur mochte sich offensichtlich kein Politiker auseinandersetzen.
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ARD-Hauptstadtstudio:
Hohenecker Frauen waren auch Lastenträger der Einheit
Berlin, 13.10.2015/cw – Im Foyer des ARD-Hauptstadtstudios fanden sich am vergangenen Dienstag erfreulich viele Gäste zur Eröffnung der Ausstellung „Das Frauengefängnis Hoheneck: 25 Portraits ehemaliger politischer Häftlinge“ ein. Die von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin geförderte Ausstellung mit hervorragenden Portrait-Fotos des Fotografen Dirk von Nayhauß ist seit 2012 im gesamten Bundesgebiet unterwegs und wird jetzt aus Anlass des 25. Jahrestages der Wiedervereinigung in Berlin an diesem prominenten Ort unweit des Reichstages gezeigt. Tatjana Sterneberg, ehemalige Hoheneckerin, hat die sehenswerte Dokumentation (Texte von Maggie Riepl) an das ARD-Hauptstadtstudio vermittelt. Die Ausstellung basiert auf dem Buch DER DUNKLE ORT (bebra-Verlag Berlin, 19,90 Euro).
Auch zahlreiche portraitierte Frauen waren neben anderen ehemaligen Hoheneckerinnen der Einladung gefolgt, um den Gästen für Anfragen und Gespräche zur Verfügung zu stehen. Wolfgang Holzapfel, Redaktion Hohenecker Bote, hielt die Einführung, nachdem Eva Marock von der ARD-Abteilung Kommunikation die Gäste herzlich begrüßt hatte. Detlef Jablonski, selbst ehemaliger politischer Gefangener und heutiger Barde, sang zu Beginn zu seiner Gitarre das Lied von „Anna und Giovanni„, einer dem Schiksal Sternebergs nachempfunden Liebesgeschichte zu Zeiten der Mauer.
Er wolle bewußt die Besucher nicht mit Ausführungen zur Historie dieser furchtbaren DDR-Einrichtung im Erzgebirge malträtieren, führte der freie Journalist zu Beginn aus. Sicherlich ließen sich mit derlei Historien auch gut vorgegebene Zeiten überbrücken, allerdings kämen dann die betroffenen Personen, Sinn dieser Ausstellung, zu kurz. Die Hohenecker Frauen seien mit den weiteren über 200.000 politischen Gefangenen der zweiten Diktatur die eigentlichen Lastenträger der deutschen Einheit gewesen. Ihnen solle dieser Abend gewidmet sein.
Der Referent erinnerte dann seine erste Begegnung mit dem Thema Hoheneck, das ihm bereits 1962 im Alter von 18 Jahren von der ehemaligen Hoheneckerin Anneliese K. nahegebracht worden sei. Anneliese, damals 30 Jahre alt, hatte bereits 10 Jahre ihres Lebens in der Hölle von Hoheneck verbracht. Dieses Schicksal habe ihn schließlich veranlasst, sich für die Freilassung der politischen Gefangenen in der damals sowjetisch besetzten Zone einzusetzen.
Viele Hoheneckerinnen hätten sich ihre Leidenszeit aber auch in Büchern buchstäblich von der Seele geschrieben. Es existierten mittlerweile viele bewegende Zeugnisse der Frauen von Hoheneck, die geeignet wären, den verantwortlichen Politikern reale Hintergründe zu vermitteln, um sachgerechte Entscheidungen zu treffen oder verabschieden zu können. So habe Ellen Thiemann, einst von ihrem eigenen Mann an die Stasi verraten, in ihrem letzten Buch „Wo sind die Toten von Hoheneck?“ bisher ungeklärte Hindergründe um diese Haftanstalt aufklärt. Nach der Wende hatte man zahlreiche Urnen von verstorbenen Gefangenen auf dem Dachboden der Haftanstalt aufgefunden. Die Aschen dieser toten Frauen sind heute in einem Ehrengrab der Stadt Chemnitz beigesetzt.
Auch die Hoheneckerin Erika Riemann habe mit ihrem Buch „Die Schleife an Stalins Bart“ die Geschichte einer gestohlenen Jugend reflektierte. Sie war 1945 im Alter von 14 Jahren von den Sowjets verhaftet und verurteilt worden und über das reaktivierte NS-KZ Sachsenhausen und Bautzen nach Hoheneck gekommen. Sie hatte dem Diktator Stalin auf einem Plakat im jugendlichen Überschwang eine Schleife an den Bart gemalt. Acht Jahre Haft mußte Riemann dafür verbüßen.
Eva-Maria Neumann beschrieb in ihrem Buch „Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit“ ihre gescheiterte, weil verratene Flucht. Diese brachte die beiden Eheleute Neumann ins Zuchthaus, trennte sie von der dreijährigen Tochter. „Diese schlimme, diese dunkle Zeit dürfe niemals vergessen werden,“ appellierte der Referent unter Beifall.
Holzapfel ging auch auf die aktuellen Konflikte im Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen ein, dessen Vereinsauflösung gegen den Willen vieler betroffener Frauen gegenwärtig vom jetzigen Vereinsvorstand betrieben werde und erinnerte daran, daß das bislang alljährliche Treffen zum letzten Mal 2013 stattgefunden habe: „Das sollte wieder aufleben, das sollte fortgesetzt werden.“ Wer anders, als die Frauen von Hoheneck seien prädestiniert, in einer und für eine Gedenkstätte ihr ganzes Wissen und ihre Erfahrungen einzubringen, an Besucher und Schulen weiterzugeben, solange sie als Zeitzeuginnen zur Verfügung stehen können?

Gemeinsam mit Kindsmörderinnen in einer Zelle: Mutter und Tochter im Zeitzeugengespräch
– Foto: LyrAg
Detlef Jablonski verwies im Anschluß mit seinem Lied „Wenn ich ein Stasi-Spitzel wär´“ satirisch auf die unterschiedlichen Berufswege einstiger Täter und ihrer einstigen Opfer.
Abschließend moderierte Holzapfel ein kurzes Gespräch mit den Zeitzeuginnen Hannelore Höfelmayr und Ina Jaekel, die gemeinsam als Mutter und Tochter in den achtziger Jahren wegen Republikflucht mit Kindsmörderinnen in einer Zelle in Hoheneck inhaftiert waren. Während Höfelmayr bis heute nicht wieder in Hoheneck gewesen sei, weil sie diese Zeit „hinter sich lassen“ wolle, hatte ihre Tochter Ina zusammen mit ihrem Freund diesen „Weg der bitteren Erinnerung“ versucht, war aber an dem Tag vor „verschlossen Toren“ gestanden. Rückblickend sei sie darüber froh, denn die Erinnerung „unmittelbar vor diesem Ort“ hatte sie unerwartet heftig aufgewühlt.
Nach dem bewegenden Gespräch wurde bis in den späten Abend zwischen Gästen und Zeitzeuginnen diskutiert und die eindrucksvollen Biografien der 25 Frauen mit großem Interesse studiert.
Die Ausstellung im ARD-Hauptstadtstudio (Wilhelmstr.67 a, 10117 Berlin) ist tagsüber noch bis zum 1. November zugänglich.
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ARD-Doku: Ausgebeutet für den Klassenfeind – War da noch was?
Ein Einwurf von Tatjana Sterneberg*
Berlin, 15.10.2015/tst – Die ARD zeigte zu später Stunde – wieder einmal – eine Dokumentation, der man eine breite Zuschauerschicht gewünscht hätte: Die Haftzwangsarbeit von politischen Häftlingen in der ehemaligen DDR – ein seit Jahren brisantes Thema (ARD, “Geschichte im Ersten” 12.10., 23.30 Uhr). Lobenswert also, aber warum zu dieser nächtlichen Sendezeit? Das Thema zu unangenehm? Oder gar zu Lasten der Quote ?
Gut, dass einstige politische Häftlinge hier erneut zur Haftzwangsarbeit sprechen konnten. Die Recherchen von Achim Reinhardt und Claudia Butter belegten einmal mehr das bis dahin nicht bekannte Ausmaß dieser Ausbeutung im Wortsinn. Im Ruhestand konnten nun auch einstige Konzernvertreter Wahrheiten ventilieren. Großartig, 25 Jahre nach dem Fall von Mauer und Grenze in Deutschland.
Dass die Täter von einst heute weder Verantwortung noch Reue zeigen, war zu erwarten, mit einschränkender Ausnahme der Sprecher von KAUFHOF, der immerhin Recherchen ankündigte. Ein Schlag ins Gesicht der Opfer war dagegen das Statement der Ost-Beauftragten Iris Gleicke, SPD. Aufarbeitung von Unrecht – Studie um Studie, ja. Entschädigung für die Opfer? Da will man keine falschen Hoffnungen wecken (Gleicke).
Welchen Stellenwert haben eigentlich die Lastenträger der Deutschen Einheit heute wirklich? Offensichtlich, wie ich meine, keinen nennenswerten.
Nein, hier geht es darum, mit einer konkreten Durchsetzung von Entschädigungsleistungen nicht anzuecken, erreichte Politiker- und Behördenpositionen zu behalten, der Sicht der führenden Politik-Elite zu entsprechen. Eine Entschädigung mit tatsächlichen Koordinaten? Nein, das geht nicht. Weil dazu nach unseren rechtstaatlichen Maßstäben auch alle Kriminellen zählen würden, die in den Strafvollzügen der DDR ebenfalls zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden? Unausgesprochene Gleichsetzung von Kriminellen mit unschuldig Verurteilten auf leisen Sohlen?
Jedenfalls gab der Beitrag unverhohlen Auskunft über die Nutznießer der Haftzwangsarbeit, dem „Who ist Who“ der (damals) westdeutschen Wirtschaft. Aber war da nicht noch was?
Ach ja: Die Lobbyisten – auch dieser Firmen – waren (und sind zumeist noch) im Bundestag „akkreditiert“. So manche Spende erreicht(e) die Parteien der Bundesrepublik. Beispielsweise über Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, die nach wie vor in dezidierter Benennung das Licht der Öffentlichkeit scheuen und einer denkwürdigen Amnesie unterliegen. Über „Zuwendungen“ an die Opfer dieser modernen Ausbeutung – früher treffender als Sklavenarbeit bezeichnet – ist hingegen nichts bekannt.
Warum auch? Schon Brecht wusste: „Doch die im Dunklen, die sieht man nicht.“ (1.042)
* https://de.wikipedia.org/wiki/Tatjana_Sterneberg
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Erinnerung bewahren – Ideen umsetzen – Aktiv mitgestalten
Dann sind Sie hier richtig:
VEREINIGUNG (AK)17.JUNI 1953 e.V. Berlin
(Ehem. „Komitee 17.Juni“ von 1953)
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Vereinigung.17.juni.1953@gmail.com
Kaiserdamm 9, 14057 Berlin
5 Kommentare
16. Oktober 2015 um 20:26
Peter Trawiel
Zitat:
So hat die Vereinigung 17. Juni 2008 zu einer vielbeachteten Demo vor dem Bundesrat aufgerufen
Ich weiß lieber Herr Holzapfel, ich war auch dabei vor dem Bundesrat. Der, von Fett beleibte Kurt Beck von der SPD fuhr mit seiner großen Autokarosse aus dem Tor der Ländervertretung und grinste über sein dickes beharrtes Gesicht zu unserer Demo. Kamerad Gobsch war der damaligen Zeit schon voraus, er lief mit seinem Megafon der schweren Bonzen-Limousine hinterher und rief: „Volksverräter, Volksverräter!“ Man hätte das Auto aufhalten sollen, erst dann hätte man größere Aufmerksamkeit erreicht. So entglitt bald der Aufmerksamkeit die von Ihnen organisierte Demo, zu der jeder von uns so viel Hoffnung hatte, dass Politiker zur Achtung der Opfer zurückfinden würden. Gut versorgt lachen sie über uns, man braucht uns nicht mehr. Registriert haben viele Diktaturopfer Ihre nicht wenigen Aktivitäten Herr Holzapfel, von der Fluchthilfe oder das Anketten an die mahnenden Kreuze in Berlin, usw. Wenn Ihre Aktivitäten und nicht wenige anderer gewesen wären, hätte man unseren Personenkreis kaum noch wahrgenommen. Von den wenigsten Opfervertretern hat man etwas Bleibendes vernommen. Nutzlos dagegen, Geschwafel des Wanderprediger Wagner, der sich bei der Aufarbeitungsindustrie besonders inszenierte, eine Einrichtung, die zur Sicherung der Posten und Pöstchen für Parteien geschaffen wurde, die uns nun erzählen wi
wollen, wie die DDR war.
Auch die Ausführungen von Bernd Stichler kann ich teilweise mittragen, auch mein Wissen erweiternd.
Demo läuft heute anders wenn man sein Ziel erreichen will!
Wir dürfen uns einer gewissen Zurückhaltung bei der Einforderung unserer Rechte nicht mehr von der Politik, sonstigen wiederkäuenden Schönrednern verblenden lassen, wie durch die Worte nach 89/90 „dann würden wir so sein wie die SED“, das darf nicht mehr gelten. Der Zeitgeist ist heute ein anderer. Fast jeden Montag, nur auf Leipzig bezogen, ist wahrnehmbar. Ein linkes Bündnis des Leipziger SPD OB Jung auf Leipzigs Straßen ruft zur Demo auf. Ein Linksbündnis von SPD, SED-Nachfolgern, Grünen, Kirchen, Bürgerbündnisse und das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ (Antifa) gewaltbereite Autonome. Demos anders als bei uns. Zurückhaltung, Anstand, Moral, Achtung vor dem Gesetz ist da nicht mehr. Demos laufen heute oft gewaltbereit, sie hindern und bedrohen andersdenkende Menschen in ihrer Meinungsfreiheit unter Missachtung des Artikel 5. GG, um ihren Zielen näher zu kommen. Kein Staatsanwalt ermittelt gegen diese linke Meute.
Jeder von uns sollte sich das Gebrüll der linken Gutmenschen ansehen und anhören, dann wissen wir, was bei uns seit 89/90 schief läuft bei der Einforderung unserer Rechte!
Videos von Augenzeugen im Beitrag vom 22.04.2015 ansehen http://www.sed.stasiopferinfo.com/phpBB2/viewtopic.php?p=11584#11584
16. Oktober 2015 um 09:03
Bernd Stichler
Zitat: “Niemand von den Opfervertretern hat nachhaltig, glaubwürdig, eine angemessene Ehrenpension, die Einhaltung der Umsetzung der Reha-Gesetze von der Politik eingefordert.”
Diese Aussage ist natürlich nicht korrekt sondern basiert auf langjähriger Enttäuschung, die selbstverständlich die Mehrheit der Opfer ebenso empfindet.
Aber es gab damals und auch noch heute Verbände, die sich nicht willenlos der Aufarbeitungsindustrie unterwerfen wollten. Sie sind dann finanziell erpresst worden – das gehört zur historischen Wahrheit !!!
Von dieser unfähigen UOKG abgehoben haben sich damals: Vereinigung 17. Juni, Bautzen Komitee (mit Harald Möller als Vorstand), BSV und VOS.
15. Oktober 2015 um 21:03
Peter Trawiel
Zum Wechsel zu spät? Bleibt die UOKG eine Alibifunktion für die Politik, damit diese ihre schäbige Opferversorgung fortsetzen kann?
Verfolgte, schart Euch zusammen, ehe Ihr einzeln zerbrecht
Der Artikel von CW Holzapfel ist eine sehr treffende Feststellung zur Tätigkeit der UOKG und anderer sogenannter Opfervertreter, dem nicht wenige Opfer des kommunistischen Gewaltverbrechens aus ihrer Wahrnehmung nicht viel hinzufügen können. Der Artikel beschreibt, was das Hauptbetätigungsfeld seit Anfang der 90er Jahre nicht weniger sogenannter Opfervertreter war, eine Beschäftigung mit sich selbst, oft in skandalöser Art, der Sicherung eigener Pfründe. Ihre Aufgabe, glaubhaft für die Opfer zu streiten, können sie kaum etwas abrechnen. Die Politiker die die politischen Opfer des DDR-Regimes zum Gewissen der Nation hätte machen müssten, können ganz mit der jahrelangen Selbstbeschäftigung der sogenannten Opfervertreter zufrieden sein. Niemand von den Opfervertretern hat nachhaltig, glaubwürdig, eine angemessene Ehrenpension, die Einhaltung der Umsetzung der Reha-Gesetze von der Politik eingefordert. Ämter bei ihrer Arbeit zur Umsetzung der Reha-Gesetze, unsere Rechtsansprüche durch Zahlenmaterial kontrolliert, geschweige zu Massenprotesten gegen die politisch Verantwortlichen zu dieser desaströsen Umsetzung von Rechtsansprüchen DDR-Geschädigter glaubhaft aufgerufen.
Da können sich nicht mehr viel Verfolgte zusammenscharren. Die, die sich zu ihren Rechtsansprüchen dem Apparat gegenüber gewehrt haben, sind bereits durch jahrelangen subtilen Terror bundesdeutscher Ämter in Ostdeutschland zerbrochen.
Selbst, wenn es uns gelänge, noch einige tausend DDR-Geschädigte vor den Reichstag zu rufen, um massiv zum Artikel 20 des GG wegen der Fortsetzung des DDR-Unrechts Widerstand anzuzeigen. Andere Massen im Volk, Bürgerbewegungen haben die Regie des Widerstandes gegen ein unglaubwürdig gewordenes Parteienkartell übernommen. Sagte man nicht einmal, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Treffender sind heute die Worte, Opfervertreter als Erfüllungsgehilfen einer 25 jährigen Politik unseren Personenkreis gegenüber, ist die späte Abstrafung von Diktatur-Opfern für ihren Streit gegen das DDR-Regime.
Sollte es tatsächlich noch glaubhafte Opfervertreter geben, wäre ich bereit in der Gemeinschaft meinen zehntägigen Hungerstreik von 2004 vor dem Sächsischen Sozialministerium, nun in Berlin vor dem Reichstag oder dem Regierungssitz fortzusetzen. Eine ärztliche Versorgung wird uns der Staat ja sicherstellen, bei seiner heutigen Sorge für die Zuflucht von Massen von politisch Verfolgten, die unser Land nun bevölkern.
http://www.sed.stasiopferinfo.com/phpBB2/viewtopic.php?p=11766#11766
15. Oktober 2015 um 22:46
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Zitat: „Niemand von den Opfervertretern hat nachhaltig, glaubwürdig, eine angemessene Ehrenpension, die Einhaltung der Umsetzung der Reha-Gesetze von der Politik eingefordert.“
Lieber Peter Trawiel, ganz so stimmig ist das nicht.
So hat die Vereinigung 17. Juni 2008 zu einer vielbeachteten Demo vor dem Bundesrat aufgerufen, die VOS war dafür mit einem eigens gecharterten Bus angereist. Auch waren wir seinerzeit im Bundestag, um den Protest gegen den Skandal der DDR-Renten-Umettikettierung zu unterstützen etc.pp. Das das alles zu wenig war und viel mehr zielorientiertes , vor allem uneigennüziges Engagement – aller Opferverbände – notwendig gewesen wäre, wer wollte dies ernsthaft bestreiten? Sicherlich nur die „Opferverteter“, die die Möglichkeiten der Auarbeitungsindustrie zu nutzen wußten und wissen, um sich den eigenen Brotteller zu sichern. Aber das ist ein eigenes Thema…
VEREINIGUNG 17.JUNI 1953 e.V.
15. Oktober 2015 um 12:50
Bernd Stichler
Als damals Beteiligter :
Die UOKG war zu keinem Zeitpunkt das, was sie heute noch zu sein vorgibt. Allerdings hat das die Masse der Mitglieder bis heute nicht erkannt. Der ursprüngliche Grundgedanke, die politisch Verfolgten und Gefangenen der kommunistischen Diktatur unter ein Dach zu bringen, wurde schon bald verfälscht. Der erste und unbegreifliche Fehler war, einen ehemaligen FDJ-Funktionär als Geschäftsführer einzustellen. Dieser Mann war nie loyal. Unter Horst Schüler begann die UOKG dann, Verbände mit anderweitiger wesensfremder Interessenlage aufzunehmen, irgendwelche angeblichen Initiativen und Kleinverbände aufzunehmen ohne zu prüfen, ob es sich dabei um wirklich existierende Gemeinschaften handelt. Man war geradezu manisch auf eine große Mitgliederzahl fixiert. Als dann der BdV – der ja auch eine anderer Interessenlage hatte – Mitgliedsverband der UOKG wurde, begann die damalige UOKG-Spitze die Bodenhaftung zu verlieren ob der über 2 Millionen im BdV organisierten Vertriebenen. Größenwahn und … übersteigerter Geltungsdrang beherrschten das Denken und Handeln des damaligen UOKG-Vorstandes. Die sachliche Arbeit litt darunter. Etwas Wirkliches zustande gebracht hat diese UOKG bis heute nicht.
Da hatten beispielsweise die damals noch souveräne VOS und andere Verbände deutlich bessere Erfolge vorzuweisen, die dann von der unfähigen UOKG vereinnahmt und als eigene Erfolge deklariert wurden. Der entscheidende Bremsklotz dieser UOKG war und ist bis heute das unvertretbar breite Interessenspektrum . Arnold Vaatz hatte uns damals ganz klar und unmissverständlich einen gangbaren Weg gewiesen, wie zumindest die Häftlingsverbände ihre Forderungen durchsetzen könnten. Mit der UOKG würde das niemals gelingen, sondern nur als geschlossener Häftlingsverband mit einer einheitlichen Interessenlage. Um diese eindeutigen Hinweise von Arnold Vaatz in die Tat umzusetzen, bemühten sich VOS und BSV über Jahre hinweg, einen geschlossenen Häftlingsverband durch Fusion mit anderen Kleinverbänden zu schaffen. Dieses Vorhaben war allerdings der … UOKG-Spitze ein Dorn im Auge. Infolge dessen wurde versucht- und leider auch erfolgreich – die damalig amtierenden Vorstände der Großverbände auszuschalten. Hierzu waren Lüge, Unterstellung, falsche Beschuldigung und Verleumdung probate Methoden, vor denen auch die damalige UOKG-Spitze nicht zurückschreckte. Einige Vorstände der Großverbände hatten nämlich inzwischen erkannt, was die eigentliche Aufgabe der UOKG war, nämlich die Aktivitäten der einzelnen Mitgliedsverbände keinesfalls – wie vorgegeben – zu bündeln, sondern diese Aktivitäten auszubremsen auf ein Maß, welches den Machern der Aufarbeitungsindustrie genehm war.
… Man kann allerdings Horst Schüler zugute halten, dass er letztlich seine Fehler doch noch erkannt hat und daraus den richtigen Schluss gezogen hat.
Was Herrn Wagner betrifft so empfanden wir ihn lediglich als kritikloses williges und somit erfolgloses Verwaltungsorgan der Aufarbeitungsindustrie. Mehr war er nicht!
ANMERKUNG der Redaktion: Auslassungen sind mit „…“ gekennzeichnet.