Von Susanne Baumstark

Berlin/Pinneberg, 29.09.2015/sb – Grenzenlose Dreistigkeit oder eiliger Schreibfehler? Amnesty International veröffentlicht jedenfalls Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) abweichend vom Urtext und transportiert auf diese Weise eine Falschinformation großflächig, auf poppig gelbem Hintergrund, in die Öffentlichkeit; in Form von riesigen Plakaten auf verschiedenen Bahnhöfen.

Amnesty-Plakatierung (gesichtet in Norddeutschland) - Foto: Redaktion

Amnesty-Plakatierung (gesichtet in Norddeutschland) – Foto: Redaktion

Der Text auf dem Plakat im Wortlaut: „Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu erhalten. Amnesty International“.

Tatsächlich ist die Formulierung „Asyl zu suchen und zu erhalten“ lediglich ein Vorschlag der UN-Menschenrechtskommission in der AEMR-Entwurfsfassung gewesen. Der daraus abzuleitende individuelle Rechtsanspruch auf Gewährung von Asyl konnte sich aber international gerade nicht durchsetzen. Durchgesetzt – und in bisherigen Schriften von Amnesty auch korrekt übernommen – hat sich der Wortlaut: „Asyl zu suchen und zu genießen“. Völkerrechtlich herrschte immer weitgehender Konsens, dass es gemäß AEMR keine Pflicht, sondern ein Recht des Staates ist, Asyl zu gewähren.

Dem Zufluchtstaat die Kompetenz erhalten

Vor dreißig Jahren, als es noch überwiegend indoktrinationsfreie Literatur zum Thema gab, konnte man sich darüber informieren, warum ein völkerrechtlich verankertes Individualrecht auf Asyl als wesentlich zu weitgehend kritisiert wurde. Zum Beispiel im „Recht auf Asyl“ des Rechtswissenschaftlers Helmut Quaritsch, 1985: Die Weigerung, ein Asylrecht „absolut“ bei jeder politischen Verfolgung zu gewähren, soll dem „Zufluchtstaat die Kompetenz erhalten, eigene Wertvorstellungen mit dem Begriff der Verfolgung zu verbinden oder bei Flüchtlingen zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können“. Die politische Führung sei dadurch fähig, auf „wechselnde Lagen zu reagieren“.

Interessant auch Quaritschs Aussage bereits 1985: „Im Blickfeld von Rechtsprechung und Schrifttum in der Bundesrepublik erscheint so gut wie ausschließlich der humanitäre Aspekt des Asyls; der Verlust der politischen Handlungsfähigkeit wird gar nicht mehr wahrgenommen, der durch die Gewährung des subjektiven Grundrechts auf Asyl eintritt. Die möglichen Beeinträchtigungen der zwischenstaatlichen Beziehungen bis hin zu inneren Unruhen im Zufluchtstaat selbst werden ignoriert oder mit dem formalistischen Argument der juristischen Unzulässigkeit völkerrechtlicher Sanktionen beantwortet.“

Weltweite Absolutierung?

Der deutsche Wunsch nach weltweiter Verabsolutierung eigener Rechtsvorstellungen scheint von jeher ungebrochen zu sein: 1977 beantragte die Bundesregierung unter Helmut Schmidt bei der UNO-Konferenz in Genf erneut die Schaffung eines Individualanspruchs auf Asyl. Ergebnis der Abstimmung: Vier Ja-Stimmen (vorbehaltlose Zustimmung nur vom Vatikan), 21 Enthaltungen, 53 Nein-Stimmen.

Die Respektlosigkeit gegenüber dem menschenrechtlichen Völkerrecht wird indessen weiter forciert. Das falsche Zitat des Artikels 14 AEMR findet sich zum Beispiel auch im Flyer „freundeskreis asyl göppingen“ (UN-Menschenrechtesdeklaration, § 14 Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu erhalten) sowie in diversen Unterrichtsmaterialien. (1.037)

V.i.S.d.P.: Susanne Baumstark – Redaktion Hoheneck , Berlin, Tel.: 030-30207785
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