Erinnerung an eine finstere Zeit: Der einst weltberühmte Grenzübergang Marienborn, hier 2015 - Foto: LyrAg

Erinnerung an eine finstere Zeit: Der einst weltberühmte Grenzübergang Marienborn, hier im Juni 2015 – Foto: LyrAg

Marienborn/Stollberg, 30.06.2015/cw – Deutschland im Jahr 25 nach dem Einigungsvertrag. In der Gedenkstätte „Deutsche Teilung“ im ehemaligen Grenzübergang Marienborn (Helmstedt) wurde kürzlich die Ausstellung „Der Dunkle Ort“ eröffnet, in Stollberg (Erzgebirge) diffamierte unterdessen der Vorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte Frauengefängnis Hoheneck einstige politische Gefangene der DDR-Diktatur.

In Marienborn wurde am 17. Juni die Wanderausstellung der Heinrich-Böll-Stiftung „Der Dunkle Ort“ eröffnet (bis 31. Juli). Die von Dirk von Nayhauß und Maggie Riepl nach dem gleichnamigen Buch (bebra-Verlag Berlin) konzipierte Ausstellung, in der 25 Schicksale von Frauen gezeigt werden, die zwischen 1950 und 1989 in dem einstigen Frauenzuchthaus Hoheneck aus politischen Gründen ihrer Freiheit beraubt worden waren, wurde in Anwesenheit von sieben ehemaligen Hoheneckerinnen mit einer Diskussion im vollbesetzten Veranstaltungsraum der Gedenkstätte eröffnet.

Anne Gabel, einstige SMT-Verurteilte - Foto: LyrAg

Anne Gabel, einstige SMT-Verurteilte – Foto: LyrAg

SMT- und DDR-Verurteilte

Auf dem Podium schilderten Anne Gabel und Helga Müller, beide aus Berlin angereist, ihre dunklen Erlebnisse in den Gemäuern der einstigen Burg über der Großen Kreisstadt Stollberg im Erzgebirge.

Die im Dezember 1927 geborene Gabel war im März 1947 als vermeintliches Mitglied einer Untergrundorganisation verhaftet worden. Nach 16 Monaten Untersuchungshaft (Friedrichsfelde, Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen) wurde die 21jährige von einem sowjetischen Militärtribunal (SMT) zu 25 Jahren Freiheitsentzug und „Besserungsarbeitslager“ verurteilt. Über Bautzen und das einstige NS-KZ Sachsenhausen, dass von den Sowjets bis 1950 ebenfalls für die Unterbringung politischer Gefangener genutzt wurde, kam Gabel mit über 1.100 Frauen nach Hoheneck. Erst 1955, acht Jahre nach ihrer Verhaftung, wurde Anne Gabel zusammen mit 23 anderen Frauen entlassen. Nach einem kurzen Zwischenspiel im Ost-Berliner Stadtteil Lichtenberg flüchtet sie „panikartig“ in den Westteil der Stadt, nachdem drei russische Soldaten den Laden betreten hatten, in dem die junge Frau als Hilfsverkäuferin tätig war. Die gerade überwunden geglaubte Vergangenheit hatte sie wieder eingeholt.

Helga Müller, DDR-Verurteilte - Foto: LyrAg

Helga Müller, DDR-Verurteilte – Foto: LyrAg

Helga Müller, im Februar 1934 geboren, wohnte ursprünglich in West-Berlin. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 blieb sie bei ihrem Freund in Ost-Berlin und heiratete diesen „spontan“. Der Bau der Mauer am 13.August 1961 war für die 27jährige „ein Schock.“ Sie fühlte sich schon länger eingeengt, ihr fehlte „die individuelle Entfaltungsmöglichkeit.“ Mehrere Fluchtversuche scheitern. Im Mai 1963 schlägt die Stasi zu, Zusammen mit ihren Freunden wird sie am „Tag der Befreiung“ inhaftiert, bleibt ein Jahr in U-Haft, meist in Einzelhaft. Ein Jahr später wird Müller wegen „gemeinschaftlicher fortgesetzter planmäßiger gefährdender Hetze, Verbindung zu verbrecherischen Organisationen, Verleitung zum illegalen Verlassen der DDR“ zu vier Jahren Haft verurteilt. Auch ihr Mann wurde verhaftet und verurteilt, gelangte aber 1966 durch Freikauf in den Westen, während Helga Müller nach zwei Jahren Haft, darunter in Hoheneck zunächst nach Ost-Berlin entlassen worden war. Nachdem ihr Mann einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt hatte, konnte Müller 1967 nach West-Berlin ausreisen.

Zur Eröffnung angereist: Die ehem. Hoheneckerinnen Catharina Mäge, Birgit Krüger, Tatjana Sterneberg, Edda Sperling (v.li.) - Foto: LyrAg

Zur Eröffnung angereist: Die ehem. Hoheneckerinnen Catharina Mäge, Birgit Krüger, Tatjana Sterneberg, Edda Sperling (v.li.) – Foto: LyrAg

Moderiert wurden die dramatischen, in eine atemlose Stille referierten Schilderungen der beiden Frauen von Dr. Sascha Möbius, dem Leiter der Gedenkstätte Marienborn, und Mechthild Günther, einstige Leiterin des Archivs in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und selbst bis zu einer Amnestie kurzfristig in Hoheneck. Im Anschluß konnten sich die knapp 100 Besucher in der von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin finanzierten und ausgeliehenen Ausstellung über weitere Schicksale in dem berüchtigten Frauenzuchthaus der DDR informieren. Catharina Mäge, Tatjana Sterneberg, beide selbst in der Ausstellung vertreten,  Birgit Krüger und Edda Sperling konnten als ehemalige Hoheneckerinnen Fragen beantworten. Sie waren ebenfalls eigens aus Berlin zur Ausstellungseröffnung angereist.

Verbale Rundumschläge in Stollberg

Ganz anders stellt sich derzeit das Geschehen am einstigen Ort der vielfältige Leiden von acht- bis zehntausend aus politischen Gründen inhaftierter Frauen dar.

Weil sie sich verliebt hatte, landete sie in  Hoheneck: Tatjana Sterneberg - Foto. LyrAg

Weil sie sich verliebt hatte, landete sie in Hoheneck: Tatjana Sterneberg – Foto. LyrAg

Der dortige Förderverein einer Gedenkstätte in Hoheneck ist seit der letzten Vorstands-Wahl in heftige Turbulenzen geraten. Im Fokus der Auseinandersetzungen im Verein steht dabei offenbar der Vorsitzende des Vereins, der sich nach einem Rücktritt „aus gesundheitlichen Gründen“ vor Jahresfrist erneut zum Vorsitzenden hatte wählen lassen. Dem Optiker-Meister und einstigen Verbandsfunktionär der Optiker-Innung wird u.a. vorgehalten, er widersetze sich einer Überprüfung auf Unbedenklichkeit, was mit der Funktion als Vereinsvorsitzender des Förderereins einer Gedenkstätte Hoheneck nicht vereinbar wäre.

Nun schlägt der Vorsitzende verbal um sich, wobei sich seine umstrittenen Angriffe ausgerechnet gegen einstige aus politischen Gründen verurteilte Menschen richten. So greift der einst in die Versorgung der gefangenen Frauen in Hoheneck mit optischen Geräten einbezogene Optiker namentlich die ehemalige Hoheneckerin Tatjana Sterneberg an, der er in gestreuten Mails u.a. unterstellt, möglicherweise für die Stasi gearbeitet zu haben. Auch ihrem Lebensgefährten, der einst wegen seines Einsatzes für „14.000 politische Gefangene“ in Ost-Berlin zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, unterstellte der eigentlich dem Gedächtnis an Unrecht und Gewalt verpflichtete Vorsitzende eine „Umdrehung zu Gunsten der Stasi.“

1976-1977 in Hoheneck: Catharina Mäge (Mitte) schildert aufmerksamen Zuhörern ihre dunklen Erlebnisse - Foto: LyrAg

1976-1977 in Hoheneck: Catharina Mäge (Mitte) schildert aufmerksamen Zuhörern ihre dunklen Erlebnisse – Foto: LyrAg

Beobachter vor Ort sind über diese „unnötigen, weil diffamierenden Ausfälle“ des Wiedergewählten entsetzt und empört. Statt einer sachlichen Auseinandersetzung um „berechtigte Kritikpunkte“, der sich im Grundsatz „jeder Verein stellen“ müsse, würde anstelle einer Deeskalation eine „unverantwortliche Zuspitzung“ betrieben, die nicht nur dem Verein schade, längerfristige Ziele wie die Schaffung einer Gedenkstätte gefährde sondern auch geeignet sei, den Ruf von Stollberg, in dessen Grenzen sich Hoheneck befinde, zu beschädigen. Das sei nach dem vielfach beachteten Besuch des seinerzeitigen Bundespräsidenten Christian Wulff, den Sterneberg im Mai 2011 maßgeblich initiiert und programmiert hatte und dem seitherigen großen Engagement der Stadtspitze unter Führung von Marcel Schmidt „nicht mehr nachvollziehbar.“

Tatjana Sterneberg, die seinerzeit eigens den Optikermeister zum Besuch des Bundespräsidenten eingeladen hatte: „Hier muß dringend ein Runder Tisch vor Ort her, die Konflikte ausdiskutiert werden.“ Jede Verlängerung dieser „die Grenzen des Anstandes überschrittenen Auseinandersetzung“ schade unserem gemeinsamen Anliegen der Schaffung einer würdevollen Gedenkstätte in Hoheneck, so die engagierte einstige Hoheneckerin (1974 –1976). Sterneberg hat inzwischen den Vereinsvorstand aufgefordert, sich für die „verbalen Entgleisungen“ zu entschuldigen. (1.005)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785