Hoheneck/Stollberg, 8.06.2015/cw – „Wir sind optimistisch und selten mit soviel Tatendrang an diesen einstigen Ort des Schreckens gekommen, wie in diesem Jahr.“ Regina Labahn, Wortführerin der erfolgreichen Klägerinnen gegen den Auflösungsbeschluss des Vereins „Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen“ strahlt mit ihren unverkennbar blauen Augen in den wolkenlosen Himmel über dem Erzgebirge. Sie und ihre Mitstreiterinnen, die alle zu diesem Treffen am vergangenen Wochenende erschienen sind, erhoffen sich nun die baldige „Wiederaufnahme einer sachorientierten und nach vorn ausgerichteten Arbeit,“ so Labahn.

Zahlreiche Frauen von Hoheneck waren zur Ehrung der Toten erschienen, unter diesen die 92jährige Annerose Matz-Donath (Bildmitte) – Foto: LyrAg
Das dies nicht einfach sein wird, zeigte sich bereits am Samstag beim Gedenken am Gedenkstein für die Toten von Hoheneck vor den Toren der einstigen berüchtigten DDR-Frauen-Haftanstalt. Rund dreißig Personen hatten sich dort eingefunden, unter ihnen Ex-Stadtrat Theo Schreckenbach, der bis vor kurzem geschäftsführende Vorsitzende des örtlichen Fördervereins, Jens Franz, und nahezu zwanzig ehemalige Hoheneckerinnen, um nach zwei Jahren Abwesenheit ihre verstorbenen Haftkameradinnen zu ehren. Während die einstige Frauenkreis-Vorsitzende Inge Naumann, zwischenzeitlich aus dem Verein ausgetreten, mit einer kämpferischen Rede die „Erledigung der Zukunftsaufgaben“ einforderte und kaum verhohlene Kritik an den jüngsten Auseinandersetzungen im örtlichen Förderverein übte, verlas Susanne Ebert (SPD) vom Fördermitglied Kulturkreis Stollberg eine Grußbotschaft der aus familiären Gründen verhinderten einstigen Landtagsabgeordneten Uta Windisch (CDU / 1994-2014) und löste damit erhebliche Unruhe aus, die schließlich zum Abbruch der Lesung führte.

Ein ARD-Team vom MDR filmte vor Ort (Sendung voraussichtlich am 7. September) , Rechts im Bild Inge Naumann – Foto. LyrAg
Nicht nur peinlich
Windisch, seit den letzten Wahlen auch stv. Vorsitzende des Fördervereins, nutzte die Gelegenheit, um ihre jahrzehntelange Unterstützung für die Anliegen der ehemaligen Hoheneckerinnen zu unterstreichen. So sei es erst durch ihre „parteiübergreifende Initiative“ möglich geworden, dass Hoheneck in das Fördergesetz für die Gedenkstätten in Sachsen aufgenommen worden war. Das wollte Tatjana Sterneberg, aus Berlin angereiste Hoheneckerin, so nicht stehen lassen: „Das ist gelogen,“ rief sie Ebert zu, die freilich nur Überbringerin dieser Selbstlobzeilen war. Durch die entstandene Unruhe veranlasst brach Ebert die Lesung ab. Sterneberg stellte in der späteren Diskussion im Kulturbahnhof klar, dass sie mit ihrem Zwischenruf keineswegs „die Botin Susanne Ebert“ gemeint habe. Vielmehr sei es
unerträglich, wenn eine Frau, die seit zwanzig Jahren im Landtag gesessen habe und die weder dem Verkauf der Anlage Hoheneck an einen privaten Investor widersprochen noch sich anderweitig für eine würdige Gedenkstätte engagiert habe, sich nunmehr als Kämpferin für die Anliegen der an diesem Ort gequälten Frauen ausgäbe. „Das ist nicht nur peinlich, das ist unwürdig,“ sagte Sterneberg unter dem Beifall der Anwesenden.
Neben dem Frauenkreis legte auch die Stadt Stollberg in Vertretung des ebenfalls verhinderten OB Marcel Schmidt einen Kranz am Gedenkstein nieder. Theo Schreckenbach, der schon zu Zeiten der DDR mit dem seinerzeitigen Posaunenchor am Fuße der Burg nicht ganz ungefährdet in Hörweite der gefangenen Frauen gespielt hatte, begleitete das Gedenken eindrucksvoll mit Posaunen-Soli. Zum Dank für sein Engagement auch als jahrelanger Führer durch das dunkle Gemäuer erhielt Schreckenbach von den Frauen ein Paar Holzpantinen für die Gartenarbeit, um „auch das Ungeziefer in den Beeten wirksam bekämpfen zu können,“ wie Regina Labahn humoristisch anführte.
Petition für „Maria-Stein-Platz“
Am Vorabend hatten die aus Coburg über Köln bis aus Berlin angereisten Frauen auf Anregung von Tatjana Sterneberg beschlossen, dem Stadtrat von Stollberg eine Petition zukommen zu lassen, in der die Stadt aufgefordert werden soll, das Areal vor der Strafvollzugsanstalt und künftigen Gedenkstätte nach der ehemaligen, durch ein Sowjetisches Militärtribunal (SMT) verurteilten Hoheneckerin und Gründerin des Frauenkreises, Maria Stein zu benennen. In einem verlesenen Schreiben von Regina Labahn an OB Marcel Schmidt und den Stadtrat heißt es: „Maria Stein dürfte auch in Stollberg ein Begriff sein. Wir haben eine Würdigung dieser hochverdienten Frau, einer ehemaligen Hoheneckerin, Gründerin des Frauenkreises und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes (1995) der Unterschriftenliste angefügt.“ Selbstredend haben alle Frauen spontan unterschrieben. Weitere ergänzende Unterschriften konnten am Samstag nach der Gedenkstunde eingeworben werden.

Spontaner Dank an eine Unentwegten: Theo Schreckenbach, Inge Naumann, Regina Labahn (v.li.) –
Foto: LyrAg
Maria Stein (1926 – 2002) hatte nach ihrer Entlassung (1956) in Lützelbach/Hessen eine Gaststätte „Hoheneck“ begründet und seither ehemalige aus politischen Gründen inhaftierte Frauen von Hoheneck zu regelmäßigen Treffen nach Lützelbach eingeladen. Viele Frauen erinnern sich noch heute an das große soziale Engagement, so auch Edith Fiedler, in den siebziger Jahren in Hoheneck inhaftiert: „Maria Stein hat uns auch sozial betreut, hatte für uns immer ein Ohr und half den Frauen in vielen schwierigen Situationen.“ Nach der Wende begründete Maria Stein den Frauenkreis und war deren Vorsitzende bis zu ihrem Tod 2002.
Regina Labahn weist darauf hin, dass Unterschriftenlisten (die hier heruntergeladen werden können, siehe Abbildung/Grafik) jederzeit an die Initiative „Labahn, Zur Loev 4, 42489 Wülfrath“ oder an die „Redaktion Hoheneck, Kaiserdamm 9, 14057 Berlin“ eingesandt werden können.
Mit 92 Jahren noch einmal in Hoheneck
Zum unfreiwilligen Mittelpunkt beim diesjährigen Treffen wurde die einstige leitende Mitarbeiterin im politischen Programm-Bereich der DEUTSCHEN WELLE, Annerose Matz-Donath. Die 92jährige Journalistin hatte sich nach über sieben Jahren erneut auf den beschwerlichen Weg aufwühlender Erinnerungen nach Hoheneck gemacht. Sie war 1948 vom NKWD verhaftet und wenig später wegen „Spionage“ zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Erst nach fast 12 Jahren Haft im „Roten Ochsen“ in Halle, im „Gelben Elend“ in Bautzen, im ehemaligen KZ der Nationalsozialisten in Sachsenhausen und schließlich im DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck, kam Matz-Donath wieder frei. In Stollberg stellte die quicklebendige und beeindruckende Frau eine Neuauflage ihres Standard-Werkes vor: „Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen – Die Spur der roten Sphinx“ (Lindenbaum Verlag, 2014, ISBN 978-3-938176-53-5, broschürt, 28,00 €). Matz-Donath interviewte für das 2000 erstmals erschienene Werk 130 frühere Haftkameradinnen. „So entstand eine auf Aktenkenntnis und der Auswertung von zehntausend Seiten der Gesprächsprotokolle gestützte Dokumentation, die die Leidenswege der verurteilten Frauen eindrucksvoll schildert und dieses Kapitel der deutschen Geschichte dem Vergessen entreißt,“ heißt es dazu auf dem Buch-Cover. „Sich erinnern bringt die Wahrheit an den Tag – jedenfalls oft. Sie hilft, den Opfern ihre Würde zurückzugeben,“ sagte die einstige SMT-Verurteilte im Kulturbahnhof in Stollberg.
Veranstaltung im Kulturbahnhof
Im Kulturbahnhof hielt am Samstagnachmittag die ehemalige Hoheneckerin, einstige Ressortleiterin des Kölner Express und Buchautorin Ellen Thiemann einen leidenschaftlichen Vortrag über die aktuelle Situation vor Ort. Thiemann bezeichnete die Zerwürfnisse um den Gedenkstätten-Förderverein Hoheneck als enttäuschend. Das beleidige die betroffenen Frauen, „die ein würdiges Gedenken an ihre Schicksale erwarten dürften,“ stellte die Autorin unter vielfachen Beifall der zumeist selbst betroffenen Anwesenden fest. Nur wenige Stollberger hatten den Weg zum Veranstaltungsort gefunden, was die Initiative auf den offensichtlichen Boykott durch den Förderverein zurückführte.

Auch Tatjana Sterneberg , Vorsitzende des ersten Fördervereins, brachte sich in die Diskussion ein – Foto:
LyrAg
Thiemann hatte von ihrem geplanten Vortrag Abstand genommen und schilderte stattdessen die vielfachen Erschwernisse, die den um die Wahrheit der Geschichte bemühten Frauen und Forschern die Aufarbeitung erschwerten. Auch sie werde als Autorin unter Druck gesetzt und sogar im Zusammenhang mit ihrem letzten Buch („Die Toten von Hoheneck“, 2013) bedroht. Das sich dieses Potential jetzt auch in Stollberg in Form von Drohungen gegen engagierte Geschäftsleute zeige, stimme nicht nur nachdenklich, es sei 25 Jahre nach dem Ende der DDR bestürzend.
Indessen setzen die „kampferprobten Frauen von Hoheneck“ (Regina Labahn) auf die Rechtskraft des Urteils vom 11. Mai. Dann könnten zügig Neuwahlen angestrebt und der Verein wieder „auf tragfähige Füße“ gestellt werden. „Die Zukunft gehört uns,“ stellte Tatjana Sterneberg unter Beifall in ihrem kurzen Diskussionsbeitrag fest. (999)
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2 Kommentare
11. Juni 2015 um 19:55
Frank Auer
Nachdem ich mich nun schon einige Zeit mit den schrecklichen Verbrechen an zu Unrecht inhaftierten politischen Frauen im Frauenzuchthaus Hoheneck beschäftige, hatte auch ich die Gelegenheit, an diesem Treffen teilzunehmen. Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Obwohl ich die meisten Gesichter nur vom Hören sagen kenne, fühlte ich mich sofort bestens aufgenommen. Zu keiner Zeit habe ich mich fremd oder nicht dazugehörend gefühlt. Alle Frauen waren Gesprächsbereit und haben mich direkt in ihre Mitte integriert. Über diesen warmen und herzlichen Empfang habe ich mich riesig gefreut.
Dann möchte ich ein Dank an die Organisatoren richten, die in irgendeiner Weise zum Gelingen des Treffens beigetragen haben. Ein Dank gilt auch allen Frauen, die als Zeitzeuginnen durch das Frauenzuchthaus geführt haben. Gerne glaube ich, dass dies für die eine oder andere Dame sehr schwierig gewesen ist, da diese dadurch erneut an ihre zu Unrecht erlittene qualvolle Haftzeit erinnert worden sind. Dennoch führten z. B. Monika Schneider, Inge Naumann, Tatjana Sterneberg, Regina Labahn e. t. c. uns in eindrucksvoller Weise durch das Frauenzuchtaus und beantworteten alle offenen Fragen bzw. erklärten detailliert ihren Haftalltag. Die älteste Zeitzeugin, die noch durch das SMT verurteilt worden ist, Frau Annerose Matz-Donath, muss man hier ebenfalls erwähnen. Obwohl sie schon im fortgeschrittenen Alter ist, stellte sie ihr Buch „Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen – Die Spur der roten Sphinx“ eindrucksvoll vor und erklärte auch ihren Haftalltag. Für alle diese Leistungen ein ganz besonderes Dankeschön!
Ein weiteres Lob und Dank auch an die Zeitzeugenreferentin, Buchautorin und Journalistin Ellen Thiemann für ihren ausführlichen und eindrucksvollen Vortrag im Kulturbahnhof Stollberg. Schade, nur dass dieser Beitrag nicht mehr Zuhörer/innen gefunden hat, er hätte es verdient gehabt!
Zum Schluss hoffe ich, dass die Ziele, die diese Frauen verfolgen, bald realisiert werden können und ihre erfolgreiche begonnene Arbeit fortsetzen werden. Für die kommende Zeit wünsche ich allen Damen und Herren Alles Gute vor allem weiterhin Gesundheit.
11. Juni 2015 um 07:10
Lutz Adler
Das ist längst überfällig!!!