Rainer Wagners „Rechtsextreme Kreise“

Berlin, 26.05.2015/cw – In den letzten Jahren ist er eingebürgert, wurde zur begrifflichen Selbstverständlichkeit: der Rechtsextremismus. Doch dieser Begriff ist zur inflationären Waffe geworden, um politische Gegner und – schlimmer noch – vermeintliche Gegner zu diffamieren oder gar zu erschlagen. Der Begriff ist omnipräsent, wird von den Medien gerne als Lückenfüller hergenommen und gilt bei Politikern als Ersatzbegriff bei fehlender Bemühung eigenen Denkens. Da fällt es dann nicht mehr auf, dass inzwischen  Personen, die sich tatsächlich umstrittener Formulierungen bedienen, die zweifelsfrei politisch rechts, im Detail vielleicht sogar mit dem Zusatz „extrem“ eingeordnet werden können, dieser zur politischen Keule mutierten Verbalinjurie bedienen, um von sich selbst oder der berechtigten Kritik an eigenen Äußerungen abzulenken. Sogar ungeliebte Medien wurden als „rechtsextrem“ eingestuft, weil vom Verfassungsschutz beobachtet. So hatte die rechtsorientierte Wochenzeitung Junge Freiheit erst nach einem jahrelangen Prozess 2005 eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erwirkt (Az.1 BvR 1072/01), dass die Erwähnung der Jungen Freiheit als rechtsextreme Publikation im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen eine unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit darstellt.

Noch im Januar hatte dieehemalige Hoheneckerin Tatjaan Sterneberg engagierten Protest wider das Schweigen gegen Äußerungen Wagners in der einstigen Stasi-Zentrale vorgertagen - Foto: LyrAg

Noch im Januar hatte die ehemalige Hoheneckerin Tatjana Sterneberg engagierten Protest wider das Schweigen gegen Äußerungen Wagners, hier in der einstigen Stasi-Zentrale in Berlin, vorgetragen – Foto: LyrAg

Als exemplarisches Beispiel für diese inflationäre Handhabung eines Begriffs kann  auch Rainer Wagner angeführt werden. Um nicht Verwechslungen zu provozieren, das Internet weist mehrere Personen gleichen Namens aus:
Es handelt sich hier um den wegen seiner extremen Äußerungen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften 2007 erstmals durch das jüdische VOS-Mitglied Knut Fischer (verstorben) als „Ayatollah von Neustadt“ bezeichneten evangelikalen Prediger der Stadtmission Neustadt, laut Homepage noch Ortsvorsitzender der evangelikalen Allianz, Ex-Vorsitzenden des Dachverbandes der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), Ex-Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) und diverser anderer Institutionen bis hin zum Ex-Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft der BStU.

„Von rechtsextremistischen Kreisen zum Rücktritt gedrängt“

Der Prediger hatte im vergangenen Monat aus der massiven Kritik an seinen Äußerungen die Konsequenzen gezogen und war von „allen politischen Ämtern“ aus „gesundheitlichen Gründen“ zurückgetreten. Das hatte auch den Kritikern Respekt abgenötigt. Doch Rainer Wagner wäre wohl nicht dieser Rainer Wagner, wenn er nicht nachlegen würde. Gegenüber vornehmlich kirchlichen Nachrichtenagenturen (idea und epd) relativierte er seinen gesundheitlich bedingten Rücktritt und räumte ein, „Konkret habe ihn der frühere stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes der SED-Verfolgten, Carl-Wolfgang Holzapfel (Berlin), zum Rücktritt gedrängt.“ (idea, 3.05.2015). Holzapfel hatte bereits seit längerer Zeit die „Unvereinbarkeit dieser religiös begründeten Äußerungen“ mit den politischen Mandaten Wagners betont.
Hatten Wagner wohlgesinnte Kreise bereits diese Relativierung seines Rücktritts bedauert und als unglücklich empfunden, legte der auf seine Prediger-Funktion reduzierte Wagner nach. In einer von epd verbreiteten Erklärung sprach der Ex-Funktionär jetzt „von einer Kampagne von rechtsextremistischen Kreisen gegen ihn, die der UOKG schaden wollten.“ (22.05.2015/epd: http://www.epd.de/landesdienst/landesdienst-ost/schwerpunktartikel/ex-opferverband-chef-stolpert-%C3%BCber-anti-islamische-).

Dabei blendete der sich auch als „Theologe“ und „Pfarrer“ ausgebende und von der Pfälzischen Kirche 1999 ordinierte „Prädikant“ aus, dass er selbst seit Jahrzehnten Kreisen oder Vereinen angehört, die selbst von sachlich argumentierenden Kirchenleuten als „nationalistisch“ oder gar „rechts“ eingestuft werden.

Integrer Vorgänger in der UOKG: Horst Schüler (2014) - Foto: Archiv

Integrer Vorgänger in der UOKG: Horst Schüler (2014) – Foto: Archiv

Mit NPD-Funktionären im rechts-orientierten Kirchenverein

So heißt es in einer 2002 verlegten Dissertation von Stefan von Hoyningen-Huene „Religiosität bei rechtsextrem orientierten Jugendlichen“ u.a.: „Die „Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland“ (ENiD) vertritt eine reaktionäre Ideologie, zu der Antifeminismus, Antikommunismus und der Kampf für die Verschärfung des § 218 zählen. Die Kirche ist nach Auffassung der ENiD „nicht befugt, zu den vielfältigen und oft komplizierten politischen Problemen Stellung zu nehmen und den Politkern ins Handwerk zu pfuschen“ Zu den Gründern der Notgemeinschaft „gehörte der Theologe Walter Künneth, der eine Geschichtstheologie vertrat und bereits 1933 die „rassische Gleichgültigkeit“ der Kirche beklagte. Er ist Namensgeber des ENiD- Instituts.“ Und: „Vorstandsmitglied (Stand 2002) „der ENiD ist zur Zeit der Berliner Politologe Klaus Motschmann, Mitbegründer des Förderkreis Gerhard Kaindl“ aus dem Umkreis der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“, … und 1989 für die Republikaner im Berliner Abgeordnetenhaus.

Zu dieser Notgemeinschaft gehörten aber auch führende NPD-Funktionäre, Zitat Hoyningen-Huene: „Andere Gründungsmitglieder kamen aus dem Umfeld der NPD, wie der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Ernst Anrich und Werner Petermann, der bei den BTW 1969 auf Platz 1 der niedersächsischen NPD-Liste kandidierte.

Quelle:
https://books.google.de/books?id=mXhk9tTGA2QC&pg=PA274&lpg=PA274&dq=Religi%C3%B6sit%C3%A4t+bei+rechtsextrem+orientierten+Jugendlichen&source=bl&ots=2Kcmh-TI7R&sig=mWowecXrmxgIGblTXPKnBnU_EfM&hl=de&sa=X&ei=6fJiVb3NGcOTsgG6-oDQBg&ved=0CCIQ6AEwAA#v=onepage&q=Religi%C3%B6sit%C3%A4t%20bei%20rechtsextrem%20orientierten%20Jugendlichen&f=false

Hetze gegen Homosexuelle - Aber gerne mit Klaus Wowereit im Bild  - Ist das gut so? - Foto: LyrAg

Hetze gegen Homosexuelle – aber gerne mit Klaus Wowereit im Bild
– Ist das gut so? – Foto: LyrAg

Rainer Wagner aus Neustadt a.d. Weinstraße war von 1986 bis 1999 Obmann dieser Notgemeinschaft (ENiD – siehe WIKIPEDIA Rainer Wagner) und wird in der am 30. September 1966 in Stuttgart gegründeten Notgemeinschaft unter „Bekannte Mitglieder“ nach wie vor aufgeführt: „Rainer Wagner, Vorsitzender der „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft“ (UOKG), Träger des Bundesverdienst-kreuzes am Bande, Vorstandsmitglied im Bibelbund“ (Stand: 254.05.2015).

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Notgemeinschaft_in_Deutschland#Im_Vorstand_ab_2005

Der Bibelbund wurde 1894 in Pommern als christlicher Verein gegründet und setzt sich für die „Stärkung des Vertrauens in die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift“ und gegen die Bibelkritik und die von ihr geprägte „moderne Theologie“ ein. (Quelle: WIKIPEDIA)

Rechter Wortkünstler ein Opfer von Rechts?

Wer sich also selbst in „rechten Kreisen“ bewegt, sollte sich nun nicht als Opfer „rechtsextremer Kreise,“ die zumal „der UOKG schaden“ wollten, gerieren. Vielmehr ist die Annahme erlaubt, dass Wagner der UOKG großen Schaden zugefügt hat, weil die UOKG selbst bzw. deren Mitglieder bislang nichts von diesen artikularen Bekenntnissen und rechten Mitgliedschaften ihres langjährigen Vorsitzenden ahnten oder wussten. Sie hätten ihn so wohl kaum nach dem „Putsch von Salzgitter“ gegen Wagner-Vorgänger Schüler zum Vorsitzenden des Dachverbandes gekürt. Zumal Horst Schüler, Opfer der ersten und zweiten deutschen Diktatur und langjähriger Redakteur beim Hamburger Abendblatt keinen Zweifel gegenüber allen Formen von Extremismus aus eigener leidvoller Erfahrung zulässt. Selbst die UOKG erklärt zu ihrem Fundament u.a.: „Die UOKG fühlt sich der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik verpflichtet. Politischer Extremismus, Rassismus und Antisemitismus jeglicher Ausprägung haben in der UOKG keinen Platz.“ (http://www.uokg.de/cms/)

Natürlich hat der Dachverband jetzt das Problem, diese Wagnersche Hinterlassenschaft abzuarbeiten und die entstandenen Trümmer des demolierten Vertrauens zu beseitigen. War es doch Wagner immer wieder gelungen, mit pathetischen Appellen die Glaubwürdigkeit von Kritikern zu untergraben. Dass der Religionspädagoge dabei auch zu Mitteln der Unwahrheit griff, was so gar nicht seinen sonstigen Bekenntnissen entsprach, wurde erst jetzt durch die bereits zitierte epd-Meldung vom 22.Mai d.J. bekannt. Wagner hatte der Darstellung von Kritikern widersprochen, als diese 2012 über eine kirchliche Abmahnung wegen dessen umstrittener Äußerungen berichteten. Es handele sich lediglich um ein Schreiben, das „eine Sekretärin abgefasst“  und das der zuständige Kircherat „ohne den Brief zu lesen“ unterzeichnet hätte. (https://17juni1953.wordpress.com/2013/01/31/danke-rainer/)

Androhung von Konsequenzen – Aberkennung der Ordination?

Lothar Scholz (Mitte), vormaliger stv. UOKG-Vorsitzender, gehört zu den frühen unbeugsamen Kritikern Rainer Wagners, hier 2008 mit  Ministerin Prof. Johanna Wanka (re.) und der Historikerin Ines Reich (Gedenkstätte Leistikowstr.) - Foto: LyrAg

Lothar Scholz (Mitte), vormaliger stv. UOKG-Vorsitzender, gehört zu den frühen unbeugsamen Kritikern Rainer Wagners, hier 2008 mit Ministerin Prof. Johanna Wanka (re.) und der Historikerin Ines Reich (Gedenkstätte Leistikowstr.) – Foto: LyrAg

Jetzt berichtet epd: „Dem Evangelischen Gemeinschaftsverband Pfalz sind die Aussagen aus dem Jahr 2006 bekannt. Der Verband habe Wagner bereits vor Jahren deutlich gemacht, dass solche Äußerungen nicht akzeptiert werden könnten, sagte der Vorsitzende des Gemeinschaftsverbandes, der Winterbacher Pfarrer Tilo Brach, dem epd. In einem Gespräch sei Wagner darüber hinaus erklärt worden, dass im Wiederholungsfalle dienstliche Konse-quenzen gezogen würden. Dies könne bis zur Aberkennung der Ordination gehen. Wagner ist seit 1999 ordinierter Prädikant der pfälzischen Landeskirche.“

Es hat also den Anschein, als hätte der Neustädter Prädikant kraft seiner Worte auch die UOKG seit Jahren an der Nase herumgeführt, deren Mitglieder mittels Diffamierungen seiner Kritiker eingelullt. Hier und da mögen allerdings auch Sympathien für die „klaren und mutigen Worte“ des Vorsitzenden vorhanden sein, wie sich Äußerungen ggüb. unserer Redaktion interpretieren lassen.

Nun bedient sich Rainer Wagner, wissend um deren Zugkraft, wenn alle anderen Argumente ausgereizt sind, ebenfalls der inflationären rechtsextremen Keule gegen allzu berechtigte Kritik. Vielleicht löst dieser aktuelle Fall ein Nachdenken darüber aus, wie man den berechtigten, weil unbedingt erforderlichen Kampf gegen jeglichen, also linken und rechten Extremismus (NSU etc.) durch mehr Glaubwürdigkeit befördern kann. Die inflationäre Verschwendung von Begriffen führt zum wohl nicht beabsichtigten Gegenteil. Die propagierte Waffe stumpft ab und führt vermutlich langfristig zu einer Gefährdung der Abwehr durch eine freilich gefährliche Gleichgültigkeit (Gähn-Effekt).

Es hat schon glaubwürdigere und respektablere Rücktritte „aus gesundheitlichen Gründen“ gegeben. Aus Sicht der Verfolgten und Opfer der zweiten Diktatur: Schade! (993)

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785