Berlin, 26.04.2015/cw – Käthe B. wurde am 25.Juli 1943 inmitten der Wirren des fürchterlichen Zweiten Weltkrieges in Berlin-Neukölln geboren. Die 1919 in Kallis/Pommern geborene Mutter und Kontoristin Margarete Luckow war von 1940 – 1943 bei der Luftwaffe auf dem Fliegerhorst Märkisch-Friedland als Fernschreiberin eingesetzt und 1943 nach Adlershof versetzt worden. Vermutlich hatte sie um diese Zeit Kittys Vater, der in Berlin wohnte, kennengelernt, der allerdings auf der Geburtsurkunde nicht vermerkt war. Der Krieg wirbelte viele Biografien durcheinander, ließ nichts mehr so sein, wie es einst war.
Über den Vater wissen wir wenig. Vermutlich war auch er Soldat. Jedenfalls wohnte er bis zu seinem Wegzug in den Westen (Bad Soden) in den fünfziger Jahren in Berlin-Spandau, war dort als selbstständiger Kaufmann tätig. Die Wege der Eltern trennten sich bald. Der Krieg mit seinen Belastungen löste alte Bindungen nicht nur durch den vielfachen Tod in den Familien, er trennte auch das, was vermeintlich auf ewig verbunden war. So wuchs das kleine Mädchen bei der Mutter auf, die sich redlich mühte, das eingetretene Chaos mit ihrer Tochter zu überleben.
Schnell geriet die Mutter in das aufziehende Geflecht des Kalten Krieges zwischen den einst Verbündeten. Sie verdingte sich wohl Anfang der fünfziger Jahre vermutlich für einen amerikanischen Geheimdienst, war wohl auch für die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) aktiv. Das mußte fast zwangsläufig den seinerzeit gegründeten und im Aufbau befindlichen Staatssicherheitsdienst (SSD) der DDR, das spätere MfS auf die junge Frau aufmerksam machen. Nachdem sie während des Volksauftandes vom 17. Juni 1953 den Sturz der Regierung gefordert hatte, wurde sie verhaftet und – so erzählte Käthe und so sagen die spärlich vorhandene Unterlagen aus – gegen eine Verpflichtung (Losungswort „Marianne“) aus der Stasi-Haft entlassen. Die Verpflichtung brachte wohl keine Ergebnisse, jedenfalls wurde die entsprechende Akte stillgelegt. Oder:
War Markus Wolff im Spiel?
1956 wurde Käthes Mutter erneut schwanger und starb 1957 unter bisher ungeklärten Umständen bei der Geburt des Kindes im Klinikum Buch, ebenso das Baby.. Erst nach der Wende wollte Käthe auf Fotos jenen Mann wiedererkannt haben, der in dieser Zeit ihrer Mutter nahe stand und wohl auch für die Schwangerschaft Verantwortung trug: Markus Wolff, der jahrzehntelange geheimnisumwitterte Chef der Auslandsspionage des MfS. Eine mögliche Erklärung für den geheimnisvollen und plötzlichen Tod der Mutter?
Dies ist als Hintergrund wichtig zu wissen, um das Leben von Käthe B. erfassen zu können, dieses Leben Revue passieren zu lassen.
Als ihre Mutter starb, war Käthe B. erst 13 Jahre alt. Der Vater wohnte weitab im Westen. Ein kurzer Aufenthalt in Bad Soden Mitte der fünfziger Jahre war auf Betreiben der Mutter, die ihre Tochter bei sich behalten wollte, beendet worden. Wie wäre das Leben von Käthe verlaufen, wenn sie damals bei ihrem Vater hätte bleiben können? Wir wissen es nicht. Familie im altgewohnten Sinn gab es nicht.
Bis zum 17. Lebensjahr wuchs das junge Mädchen bei befreundete Nachbarn auf, wurde dann in ein Heim verbracht, wo sie immerhin 1960 die Schulausbildung mit der Mittleren Reife abschließen konnte. Wer sich mit den Verhältnissen in den seinerzeitige Kinder- und Jugendheimen (ob Ost oder West) befasst hat oder diese Verhältnisse am eigenen Leib durchleben mußte, weiß vermutlich um die Bitternis dieser Erfahrungen für ein junges Leben.

Freunde, ehem. Heimkinder und Mitbewohner aus dem Seniorenheim gaben das letzte Geleit – Foto: LyrAg
Kitty, wie Käthe von ihren Freunden genannt wurde, durchlief viele berufliche Stationen. So war sie Hilfspflegerin, Laborhilfskraft, Serviererin, Einsatzverkäuferin und Programmierassistentin. Ihre jeweiligen Arbeitgeber oder Beschäftigungsorte spiegelten diese Vielfalt wieder: Von der Humboldtuniversität Berlin über den Konsum-Gaststättenbetrieb und die Großhandelsgesellschaft Nahrung und Genuss bis hin zum VEB Funk- und Fernmeldeanlagenbau. Käthe versuchte auch, einen selbständigen Strickbetrieb aufzubauen, der Schritt in diese Selbständigkeit scheiterte jedoch.
Auf der Suche nach entgangener Liebe
Daneben blieb wohl die Sehnsucht nach einem Leben, daß auch ihr in der Kindheit vorenthalten worden war. Wohl auf dieser Suche nach entgangener Liebe heiratete sie zwei Jahre nach Errichtung der Mauer am 7. Dezember 1963 den ein Jahr älteren Alfred K., 1964 gebar sie der jungen Familie den Sohn Henry. Doch die Ehe erfüllte die gegenseitigen Hoffnungen nicht, sie wurde wenige Jahre später geschieden. Alfred K. starb 2013.
Erneut im Weihnachtsmonat Dezember, wenige Tage vor dem heiligen Abend 1972, heiratete Käthe ein zweites Mal, diesmal den ein Jahr jüngeren Wolfgang B Im Juli 1977 gebar sie den Sohn Alexander. Zuvor hatte ihr Mann eingewilligt, dass Henry K. den gemeinsamen Familiennamen trage durfte.
Nachdem Wolfgang B. erfuhr, daß Alexander nicht sein leiblicher Sohn war, reichte er die Scheidung ein. An Käthe wiederholte sich das Schicksal ihrer Mutter. Alleinerziehend mußte sie sich mit ihren zwei Söhnen durchschlagen. Eine Lebenslinie übrigens, die sich bei vielen ehemaligen Heimkindern aufzeigen ließ. War es verwunderlich, war es außergewöhnlich, dass Käthe Brauer schließlich und buchstäblich „auf der Strecke“ blieb? Der Kampf um die Dinge des Alltags ließ sie, die vom Leben letztlich allein gelassen war, wohl endgültig resignieren.
Ungeklärt: Das Geheimnis um den Tod der Mutter
Die Söhne hatten sich von ihrer Mutter abgesetzt. Zwei kleine Hunde blieben ihr einziger Trost in einer Welt, die sie zunehmend nicht mehr verstand und vielfach nicht mehr verstehen konnte. Vor dem Eintritt in eine dunkle Ära, die von der verzweifelten Flucht in den Alkohol geprägt war, hatte sie einen erneuten Anlauf genommen, für sich das Schicksal ihrer Mutter und deren mögliche Hinterlassenschaften aufzuklären. Buchstäblich von Pontius bis Pilatus zog Käthe, von Rechtsanwälten zu Journalisten, von der BStU über den Sozialverband bis hin zur Gedenkbibliothek an die Opfer des Kommunismus im Nicolaiviertel, deren stetige Besucherin sie über viele Jahre wurde.
Ihre Mutter hatte immer wieder davon gesprochen, das in West-Berlin auf ihren Namen Wertpapiere angelegt worden waren, auch ein Konto, auf das Zahlungen des Vaters für die Tochter eingehen würden. Weder konnte Kitty die Umstände des Todes ihrer Mutter oder der fragwürdigen Beziehungen zu Markus Wolf aufklären noch entsprechende Bankunterlagen auffinden. Wer um die Historie der Geld- und Vermögensanlagen von Opfern der NS-Diktatur und deren bis heute ungeklärten Verbleib Kenntnis hat, weiß auch, auf welchem aussichtslosen Feld sich Kitty bewegte.
Keine Dienststelle des Bundes, kein Politiker sah und sieht sich in der Verantwortung, in diesen Fällen jede erdenkliche Hilfe zu leisten. So scheitern bis heute Opfer dieser Machenschaften allein schon an den mangelnden finanziellen Ausstattungen, um solche kostspieligen Nachforschungen überhaupt erst möglich zu machen.
Käthe muß sich irgendwann selbst aufgegeben haben. Nachdem auch ihre beiden vierfüßigen und befellten Wegbegleiter tot waren, wurde der Rotwein zum Ersatz für unerfüllte Hoffnungen und Sehnsüchte. 2011 wurde sie im hilflosen Zustand von einem Kumpan aufgegriffen und ins Krankenhaus gebracht. Danach wurde Käthe schließlich von Amts wegen – und das war ihr letztes Glück – in ein Seniorenzentrum am Wannsee eingewiesen.
Obwohl Käthe B. bemerkbar leise Anflüge der Freude zeigte, hatte sie eine tiefe Traurigkeit, ja Mutlosigkeit erfasst und ließ sie kaum noch los. Das Leben, so schien es, hatte für sie den Sinn verloren. Am 24. Februar wurde Käthe B. tot in ihrem Bett aufgefunden. Sie hatte sich still von dieser Welt verabschiedet, ohne vorher „Adieu“ zu sagen. Leise, still, als wäre es nicht wert, Aufhebens von ihrer Abreise zu machen.
Am letzten Freitag wurde sie von Freunden und ehemaligen Heimkindern zur letzten Ruhe geleitet. Der Heimkinderfonds hatte einen stillen und würdigen Abschied ermöglicht. Wenigstens im Tod blieb Käthe B. die Anonymität erspart. (977)
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785
1 Kommentar
27. April 2015 um 18:55
Natascha Gollnow
Im Namen der Geschäftsstelle „Fonds Heimerziehung“ möchte ich Ihnen unsere tiefempfundene Anteilnahme ausdrücken.
Es erfreut uns, zu sehen, dass die Fondsleistungen in Anerkennung des erfahrenen Leides und Unrechts von Frau Brauer immerhin noch dazu dienen konnten, Ihr eine würdevolle Beerdigung sowie eine schöne letzte Ruhestätte ermöglichen zu können.
Die von Ihnen übersendeten Fotos spiegeln eine ganz friedliche und versöhnliche Stimmung wieder.
Es freut mich zu sehen, dass der Fonds an dieser Stelle einen kleinen Beitrag leisten konnte.
Für die Zukunft wünsche ich Ihnen alles Gute.
Herzlichen Gruß
Im Auftrag
Natascha Gollnow