Berlin, 21.03.2015/cw – Streng geheim, nicht öffentlich, kommen von den Parteien benannte Experten zu ebenfalls geheimen Sitzungsterminen im Deutschen Bundestag zusammen, um nichtöffentlich über die Zukunft der BStU zu beraten. Jedenfalls wurden Anfragen nach Terminen oder Inhalten der vom Deutschen Bundestag eingesetzten „Experten-Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde“ unter Hinweis auf die Nichtöffentlichkeit negativ beschieden. In der Runde sitzt u.a. auch der von der CDU benannte Vorsitzende der UOKG und VOS, der extreme Religionspädagoge Rainer Wagner aus Neustadt an der Weinstraße. Von Protesten gegen die geheimen Sitzungen durch den Vertreter der Opfer-Verbände ist bislang nichts bekannt, was allerdings eben an der Geheimhaltung liegen könnte.
Vorsitzender der Kommission ist der weithin geachtete und anerkannte ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, der CDU-Politiker Prof. Wolfgang Böhmer. Wer aber nun von der Kommission eine vorurteilsfreie Bestandsaufnahme und ein daraus resultierendes Urteil erwartet, sieht sich möglicherweise schon im Vorfeld getäuscht. Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung äußerte sich Böhmer bereits in dem Sinne, „dass die Behörde kein Dauerzustand sein könne.“ Der Polit-Profi begründete diese Vorab-Beurteilung und betont: „„Sie (die Behörde) muss nicht länger existieren, als die Staatssicherheit selbst existiert hat.“

Einsetzungsantrag und Aufgaben – Ausriss
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/019/1801957.pdf
Trotzdem sei diese ungewöhnliche vorzeitige Stellungnahme durch den Vorsitzenden einer Kommission, die vorgeblich erst über die Zukunft dieser Behörde beraten soll, ein Indiz für den möglichen Ausgang der Beratungen, stellte die Vereinigung 17. Juni in Berlin zu den Äußerungen Böhmers fest:
„Wenn sich schon der Vorsitzende zu einem relativ frühen Zeitpunkt in eine bestimmte Richtung äußert, dann kann man die Richtung des zu erwartenden Ergebnisses bereits erkennen.“ Möglicherweise habe man hier einen Bock zum Gärtner gemacht, indem man einen vermutlichen Gegner der BStU „zum Richtungs-Koordinator“ ernannt habe. Dass Böhmer in dem ausgewiesenen BStU-Gegner, dem Theologen und Beirats-Vorsitzenden der Stasiunterlagenbehörde Prof. Dr. Richard Schröder einen weiteren bekennenden Gegner dieser Einrichtung hat, dürfte jene Politiker beflügeln, die die Jahn-Behörde eher heute als morgen in das Bundesarchiv integrieren wollen, meint der Verein. Es stelle sich allerdings die berechtigte Frage, warum man ein „sicher nicht billiges Gremium“ gründe bzw. einberufe, wenn „die zu erwartenden Ergebnisse bereits jetzt an die Wand geworfen werden.“
Verein 17. Juni fordert Öffentlichkeit
Der nach dem Volksaufstand von 1953 gegründete Verein fordert in diesem Zusammenhang die „Öffentlichkeit der Sitzungen“ der Experten-Kommission und zumindest den Zugang für „ausgewiesene Opfer und Verfolgte durch die Staatssicherheit.“ Selbst das oft als „ROT“ gescholtene Land Brandenburg habe in beispielhafter Weise die Sitzungen der sogen. Enquete-Kommission, die sich mit der Aufarbeitung der Diktatur-Folgen befasst habe, öffentlich durchgeführt. Zahlreiche Betroffene hätten diese Sitzungen aufmerksam verfolgt. Auch durch die Anwesenheit der Medien sei eine permanente Öffentlichkeit hergestellt worden.
„Dass ausgerechnet der Deutsche Bundestag in dieser wichtigen und die Öffentlichkeit nach wie vor interessierenden Frage eine Geheimhaltung beschließt, ist 25 Jahre nach dem erfreulichen Ende der Diktatur und deren Geheimhaltungsritualen nicht nachvollziehbar,“ heißt es in einer heute verbreiteten Erklärung des Vorstandes. (957)
7 Kommentare
18. Dezember 2015 um 07:45
Gustav Rust
„CWH“, was Du schreibst, stimmt. Es ist zu lange her, als ich Deine Broschüre las. Aus dieser scannte ich einige Fotos ein. Damals sah ich ja, daß die Gesichter wegen des Kalten Krieges (Spionage und Gegenspionage) unkenntlich gemacht wurden. …
23. März 2015 um 10:32
Stefan Köhler
Frau Merkel und Herr Gauck haben selbst nie aus politischen Gründen in einer politischen Folter-Anstalt einer Diktatur gesessen. Warum sollten sie also Opfer politischer Willkür einladen oder einladen lassen? Wer vor 1945, danach oder in unserer Zeit Opfer von jeglicher Willkür wurde, wird mehr oder weniger vorsätzlich ignoriert und ausgegrenzt. Das rechnet sich doch im Sinne der Täter in einer mitläuferischen großen Masse, die ihr „Menschenrecht auf Anpassung“ nutzt.
Herr Oppermann hat sich aus aktuellem Anlass eben erst zu Wort gemeldet und dabei angedeutet, dass Verbrechen von Diktaturen kein Verfallsdatum haben. Das sollte aber auch für alle Diktaturen und jegliche Korruption gelten, – in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – unabhängig von der Gesellschaftsform.
22. März 2015 um 12:58
Eva Aust
Was kann man dagegen tun? Solange die Betroffenen (Opfer) in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, wird über sie immer entschieden werden, wie bisher.
Kein Wunder, dass Schüler nicht unterscheiden können zwischen Diktatur und Demokratie. Die wenigen Zeitzeugen können nur, wenn überhaupt, punktuell Einfluss nehmen.
Warum lädt eigentlich ein Herr Gauck nicht einmal Opfer ein und nicht nur Ehrenamtliche? Von Merkel und Gauck ist in Sachen DDR fast ausschließlich nichts zu hören.
Der tragische Umgang mit Historikern an der Humboldt-Uni gibt wieder, wie es um die Gesellschaft, hier besonders von Studenten in Berlin, bestellt ist und ist nicht verwunderlich.
Solange die Verbrechen des Kommunismus nicht ins Blickfeld der Öffentlichkeit („Das Schwarzbuch des Kommunismus“ wäre z.B. gut in den Schulunterricht zu integrieren) gerückt werden, werden die Opfer bis auf weiteres keine Aufmerksamkeit und Genugtuung erfahren, von Empathie ganz zu schweigen.
Die Berichterstattung in den Medien durch die Verengung von Sichtweisen tut ein übriges.
Eine allumfassende Amnesie greift um sich. Ich habe wenig Hoffnung.
Viele Grüße Eva Aust
22. März 2015 um 10:27
Klaus Hoffmann
Vielleicht sogar (nur) die einzige Pressestimme zu diesem Thema!
VEREINIGUNG 17. JUNI 1953 E.V. ist eine „freie Stimme in der (noch) öffentlichen Welt“. Immer wieder tritt dieser kleine, aber feine Verein mit Hinweisen und Veranstaltungen an die Öffentlichkeit.
Der Mitgliederkreis wird altersbedingt immer kleiner, das Spendenaufkommen schrumpft.
Unterstützen Sie als eingetragenes Mitglied oder/und Spendenzahler, daß diese Stimme weithin weiter schallt!
22. März 2015 um 06:48
Stefan Köhler
Wer soll sich über diese Politik noch wundern? Niemand von den Oberen hat doch ein echtes Interesse daran, dass Verbrechen aufgeklärt werden, die bis heute mit allen Mitteln vertuscht worden sind. Weil sich die Machenschaften von einst und heute ähneln, wäre es gefährlich für die Macher, Ereignisse von 1953, 1956, 1968 und weiteren Zeiträumen offen und ehrlich aufzuklären.
So wird auch die Ermordung des P. S. an einem Nikolaustag in den frühen 70ern, der mit Spuren fragwürdiger Fremdeinwirkung nach sechs Wochen aus dem Geraer Mühlengraben geborgen worden ist, ungeklärt bleiben. Der mögliche Auffindeort des mutmaßlich Ermordeten war schon drei Tage nach seinem Verschwinden genau benannt worden. Es wäre also eine zeitnahe Suche nach dem spurlos Verschwundenen am richtigen Ort möglich gewesen, die man aber einfach unterließ, während man die Zeugen einzuschüchtern versuchte oder aus dem Verkehr zog. Die lange Liegezeit im Schmutzwasser machte die Vertuschung aller Spuren erst möglich.
Das Verbrechen jährte sich inzwischen zum 40. Male und ist nur die Spitze eines riesigen Eisberges, der unerkannt bleiben muss. Wenn es um Devisen, Geld, Wirtschaft und Einfluss geht, schreckt die Macht vor nichts zurück. Pecunia non olet!
Lug, Trug und Vertuschung sind heute so üblich wie damals. Es wird sich nichts bessern, denn Korruption ist allgegenwärtig.
21. März 2015 um 18:47
M. Sachse
Ja das ist die traurige Realität! Im 25. Jahr der deutschen Einheit mutiert die politische Klasse in die Rolle der einstigen Diktatur-Vertreter. Die „Runden Tische“ der DDR waren wohl der Rest von Demokratie – aber eben Schnee von gestern.
17. Dezember 2015 um 22:21
Gustav Rust
Lieber Kamerad „CWH“,
endlich ist Dein Stil einmal nach meinem Geschmack und reicht (fast) an Gerhard Löwenthal (+) heran (Auszug):
„…Berlin, 21.03.2015/cw – Streng geheim, nicht öffentlich, kommen von den Parteien benannte Experten zu ebenfalls geheimen Sitzungsterminen im Deutschen Bundestag zusammen, um nichtöffentlich über die Zukunft der BStU zu beraten. Jedenfalls wurden Anfragen nach Terminen oder Inhalten der vom Deutschen Bundestag eingesetzten „Experten-Kommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde“ unter Hinweis auf die Nichtöffentlichkeit negativ beschieden. In der Runde sitzt u.a. auch der von der CDU benannte Vorsitzende der UOKG und VOS, der extreme Religionspädagoge Rainer Wagner aus Neustadt an der Weinstraße. Von Protesten gegen die geheimen Sitzungen durch den Vertreter der Opfer-Verbände ist bislang nichts bekannt, was allerdings eben an der Geheimhaltung liegen könnte…“.
Endlich konnte ich wieder einmal „ablachen“, so ernst das Thema ist und frage, ob sie aufgrund der strengsten Geheimhaltung auch das Licht löschten… Wie hieß es bei Kriegsende mit Petroleum- oder stinkender Karbidlampe (die Hindenburglichte waren bei uns in Baruth/Mark bald aufgebraucht) ? : „Im Dunkeln is jut munkeln“…
„…der extreme Religionspädagoge Rainer Wagner aus Neustadt an der Weinstraße…“. Dann müßte ich ihm ja auch kumpel – und gönnerhaft den Oberarm tätscheln, wie vor kurzer Zeit im Bildungs-Fernsehen mitbekommen in einem der Filme über Zwangsarbeit. Erst Forderungen stellen und sich dann tätscheln lassen und sich gegenseitig anstrahlen. Heuchler ist er also auch. So paßte er durchaus auf den Sessel. Dieser Extremist. Dieser „funktionierende Funktionär“ (Fluchthelfer Rainer Schubert).
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Nein, lieber Martin Sachse, an den „Runden Tischen“ saßen ausgesiebte Leute, bürgerbewegte Kerzenträger, die Demokratie „vorspielten“ – für die Kameras. Sogar die Stasi saß mit an den Tischen… Die Höhe der Haftentschädigung überließen sie Bonn – damals war der schmallippige Herr Kinkel Justizminister. Die bis zum Stichtag freiwillig in der Besenkammer „DDR“ blieben, bekamen 550,- DM und wer im Westen gelandet war, nur 300,- DM pro Haftmonat…
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Lieber Stefan Köhler, warum schreibst Du den Namen des Mordopfers nicht aus, sodaß man im Weltnetz nach Artikeln oder in Büchern recherchieren kann? Oder hatte „CWH“ wieder einmal Angst? Er machte ja sogar die Gesichter der Helden vom 17. Juni 1953 unkenntlich als sie das Kreuz nach Zehlendorf trugen. Solche Bilder sind Zeitdokumente, da reicht es, den Fotograf zu nennen bzw. das Archiv. Wer also war „PS“ ? Sonst mailst Du mir bitte: gustav-rust(AT)t-online.de oder gustav-rust(AT)gmx.de – Dank im Voraus. ANMERKUNG REDAKTION: Hier irrt der Schreiber: Die Gesichter der Helden“ wurden nicht von cwh unkenntlich gemacht. Damals wurden Fotos dieser Art generell unkenntlich gemacht, um der „Gegenseite“ nicht Material zur Verfolgung Andersdenkender zu liefern (Ende ANMERKUNG).
Ich danke Dir ganz besonders für Deine Antwort an Kameradin Eva Aust, habe vorhin einen Artikel des Tagesspiegels gescannt zum Rentenbetrug. Ins Tagebuch setzte ich auch mehrere Links zum Thema…
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An Eva Aust eine persönliche Frage, weil ich mich brennend für Genealogie und Heimatkunde, überhaupt für Geschichte interessiere: Bei uns in Baruth/Mark gab es einen Drogisten Bernhard (?) Aust, der lange verstorben ist. Er hatte Sohn und Tochter. Hattest Du Verwandtschaft bei uns? Ich überlege noch, dem Heimatverein beizutreten… Meine Mail-Adressen weiter oben, und auch Dir Dank im Voraus.
Schöne Feiertage allerseits, und kameradschaftliche Grüße,
http://www.gustav-rust.de und http://www.gustav-rust-berlin.de