Berlin, 27.07.2014/cw – Beatrix Philipp sei in ihrer langen politischen Arbeit „noch nie so belogen worden wie beim Thema virtuelle Rekonstruktion“. So zitiert die FAZ die einstige Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordnete (1994 bis 2013) in einem sensationell wirkenden Bericht über die Absicht der Bundesregierung, das Projekt der virtuellen Rekonstruktion zerrissener Stasi-Akten abzuschließen, will sagen, nicht weiter zu finanzieren. Philipp gehört zu den wenigen Politikern, die große Sachkunde beim Thema DDR-Aufarbeitung erworben haben, führt die FAZ an.
Worum geht es? Das Berliner Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) entwickelte vor Jahren eine „ePuzzler“ genannte Maschine, mit der die Zusammensetzung von Millionen Papierschnipseln automatisiert werden kann. Diese Möglichkeit war ein Durchbruch für die Forschung, denn dadurch eröffnete sich die Möglichkeit, den Inhalt von nahezu 16.000 Säcken hinterlassener und zerrissener Stasi-Unterlagen zu erschließen. Im Normalfall würde diese Arbeit einen Aufwand von unzähligen Jahrzehnten erfordern.
Testphase erfolgreich
Den Nachweis für die Zusammensetzung von Millionen Papierschnitzeln sieht der zuständige Abteilungsleiter Bertram Nickolay im Berliner Fraunhofer-Institut und Initiator des „ePuzzlers“ nach Abschluss der Testphase für geführt. Ausgerechnet jetzt signalisiert der Bund das AUS, will sich nach dem Bericht der FAZ nicht mehr an der weiteren Finanzierung des Projektes beteiligen. Von einem „Millionengrab“ sei die Rede, das Ganze sei nicht mehr finanzierbar.
Begünstigt werde diese Absicht allerdings auch durch eine sehr indifferente Verhaltensweise der Behörde selbst. Dies habe sich bereits zu Zeiten der Behördenchefin Marianne Birthler gezeigt, die sich nur marginal für das Projekt interessiert hätte. Auch ihr Nachfolger Roland Jahn habe bisher nur wenig Interesse an den Ergebnissen dieses Forschungsbereiches gezeigt.
Dabei wäre der „ePuzzler“ über die aktuelle Theamatik hinaus auch für Archäologen von Interesse. So könnten halbzerstörte Papyri und zerbrochene Tontafeln ebenso wieder lesbar gemacht werden wie die Stasi-Akten. Als verheißungsvolles Projekt deutscher Technologiepolitik könnte die Schnipselmaschine eine Zukunft haben, die ihr gegenwärtig als Instrument der historischen Aufarbeitung genommen wird.
Schon einmal, wenn auch auf einem anderen Gebiet, hat Deutschland eine zukunftsweisende Technologie buchstäblich verschlafen. In Deutschland entwickelt wurde die Fax-Technik nach Japan verkauft. Japan beherrschte daraufhin Jahrzehnte den entsprechenden Markt und Deutschland mußte seine eigens entwickelte Technologie teuer zurückkaufen.
Stasi-Verfolgte hell empört
Unabhängig von diesem Rückblick in die Vergangenheit sind die von den seinerzeitigen Stasi-Machenschaften besonders Betroffenen über die neuste Entwicklung in Sachen „Zerrissene Stasi-Akten“ nach der Veröffentlichung in der FAZ hell empört. Hier eröffne sich „ein Abgrund zwischen den feierlichen Erklärungen zur notwendigen Aufarbeitung von SED-und Stasi-Unrecht zum 25. Jahrestag des Mauerfalls und der realen Wirklichkeit, die einmal mehr die Interessen der von der Diktatur Betroffenen dem schnöden Diktat des Fiskus opferten,“ stellte die Vereinigung 17. Juni in Berlin in einer ersten Reaktion fest. Auch sei die mögliche Absicht nicht vom Tisch, endgültig die Chance zur Aufklärung möglicher Verstrickungen westlicher Politiker in die Stasi-Machenschaften zu beseitigen: „Die Aufklärung steht mit einer Absage an die weitere Finanzierung des Fraunhofer-Projektes tatsächlich vor dem AUS.“
Wir sind keine Vorzeige-Attrappen für Politik-Orgasmen
Die Vereinigung hofft, „dass sich die Verfolgten- und Opferverbände schnellstmöglich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen und der Bundesregierung die „Rote Karte“ zeigen. Es müsse deutlich gemacht werden, daß im wichtigen Jubiläumsjahr der Maueröffnung nicht mehr über die Köpfe der einst Verfolgten hinweg über deren Belange entschieden werden kann.“ Notwendigenfalls sollten sich die betroffenen Verbände jedweder Beteiligung und Einbeziehung an den bevorstehenden Feiern zum Mauerfall entziehen. „Wir sind nicht mehr die Vorzeige-Attrappen zur Befriedigung von zeitlichen Politik-Orgasmen. Wir sind die Vorkämpfer der Freiheit und Einheit unseres Landes, ohne die die jetzt für die Politik Verantwortlichen keinen Anlass hätten, sich aus dem nationalen Fenster zu lehnen,“ sagte der Vereinssprecher in Berlin. (833)
V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785
5 Kommentare
28. Juli 2014 um 18:33
Frank Hiob
wie Recht Sie haben Herr Sachse.
mkG Frank Hiob
28. Juli 2014 um 11:16
Edith Fiedler
„Für die Opfer waren es 25 Jahre Kampf um Rehabilitierung und Entschädigung, in den meisten Fällen gewollt ohne Erfolg!!!!!! „(Zitat)
Nicht nur das ist zu vermerken, es wurde auch zugelassen, dass etliche Opfer durch eine Symbiose westlicher und östlicher, elitärer Eliten, restlos ausgeraubt werden konnten. Der „Rechtsstaat“ wurde zum Vollstrecker der bereits früher heimtückisch ersonnenen und praktizierten Raubzüge, die bis zur „Wende“ noch nicht verwirktlicht werden konnten.
Ich erinnere auch an das Schicksal des Altbundespräsidenten Christian Wulff. Er hatte 2011 mit einem Staatsbesuch im ehemaligen Frauenzuchhaus Hoheneck * den ehemals aus politischen Gründen inhaftierten Frauen des SED/MfS Systems ihre Ehre zurückgegeben.
Wenig später wurde er mit Zersetzung , Mobbing, Diffamierungen und Sippenverfolgung (Stasimethoden) förmlich aus dem Amt gejagt.
Bis heute schweigt die Politik zu diesem skandalösen Vorgang. Die sich schuldig gemacht haben agieren unangefochten weiter.
Stellen wir uns vor, es ist der Tag des 25. Jahres des Mauerfalles…….
und keiner geht hin.
*Hoheneck: Grausige Zwaangsarbeitsstätte (StVE Stollberg) für Frauen der DDR in Sachsen.Wird auch treffend „Der dunkle Ort“ benannt.
Dort mußten Frauen unter unhygienischen Verhältnissen, mangelhaftem Arbeitsschutz und Normengeiselung bargeldlos, nicht kranken-und rentenversichert „Westprodukte“ herstellen.
Seit 25 Jahren sind diese Frauen nicht entschädigt!
27. Juli 2014 um 17:34
M. Sachse
Vorzeige-Attrappen für Politik-Orgasmen!
Das bringt es wohl auf den Punkt. Eine ehrliche Aufarbeitung war nie gewünscht. Täterdeckung und Belobigung der Verbrechen durch Etablierung der Machteliten der DDR in der Bundesrepublik – das ist die traurige Bilanz 25 Jahre nach der wohl nun eher als Annektion der DDR zu bezeichnenden sog. Friedlichen Revolution. Annektion in diesen Sinne heißt: Übernahme der Machteliten der DDR und Strafverschonung. Für die Opfer waren es 25 Jahre Kampf um Rehabilitierung und Entschädigung, in den meisten Fällen gewollt ohne Erfolg!!!!!!!!!!!!!
In einer Gesellschaft zunehmender Verrohung und Verblödung haben diese Themen in einer breiten Öffentlichkeit leider keinen Platz.
Siehe auch: http://text030.wordpress.com/2013/07/03/ddr-repression-beschadigtenversorgung-betroffener/
27. Juli 2014 um 16:18
Klaus Dörfert
Liebe Kameraden/INNEN
Nicht nur das sich eine Aufarbeitungsindustrie etabliert hat, die die Gelder der Opfer verschleudert, nein man wollte nie eine richtige Aufarbeitung. Dann hätte man den Tätern nicht 25 Jahre die Gelegenheit zur Aktenvernichtung geben dürfen. Denn das was jetzt noch ans Tageslicht kommen kann, dient wirklich nur der Aufarbeitungsindustrie. Ja es ist traurig, das Deutschland nie in der Lage war, die Täter der Diktaturen nach Recht und Gesetz abzuurteilen. Es hat doch nie einer aus der Politik, die Täter aufgefordert, Verantwortung für die Verbrechen der Diktatur zu übernehmen. Dieses gesellschaftliche Problem fällt der nächsten Generation auf die Füße, wenn die Links- und Rechtsautonmen Idioten unser Land in einen Trümmerhaufen zerlegen.
27. Juli 2014 um 15:22
Weber
Die Stasi-Behörde kostet jährlich über 100 Millionen Euro. Das waren in 20 Jahren 2 Mrd. Euro. Da kommt es auf weitere 100 Millionen EURO für diese Schnipselmaschine nicht mehr drauf an. Nutzen?