Die Tragödie der iranischen Flüchtlinge im Irak – vom Westen im Stich gelassen, von den Mullahs abgeschlachtet
von Javad Dabiran
Teheran/Berlin, 26.03.2014/JaDa – Seit drei Wochen verschärfen die Militärangehörigen des irakischen Machthabers Maliki die Blockade gegen iranische Dissidenten in Camp Liberty. Das Einfuhrverbot betraf auch Nahrungsmittel und Medikamente. UN-Experte Prof. Jean Ziegler nennt den Einsatz von „Hunger“ als Waffe ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nur nach großem politischem Druck aus dem Ausland ist eine sehr minimale provisorische Lockerung erfolgt.
Ohne Frage ist das Elend der endlosen Ströme von Flüchtlingen aus den Krisengebieten in Afrika, Syrien, dem Irak, Afghanistan und aus den katastrophalen Diktaturen in Nordkorea, China und dem Iran eines der größten Dramen unserer Zeit. Menschen ertrinken auf den Meeren, verlieren Gliedmaßen bei der illegalen Erstürmung von Grenzzäunen und hausen in völlig überfüllten Flüchtlingslagern.
Doch es gibt nicht nur Flüchtlinge, die außer einem zerrissenen T-Shirt und zerschlissenen Hosen nichts haben, die vor den Kriegswirren fliehen und denen kein Verteidiger ihrer Rechte zugestanden wird. Im Irak leben 3000 iranische Flüchtlinge. 25 Jahre lang bewohnten sie eine von ihnen selbst erbaute moderne Stadt. Sie werden von Hunderttausenden Iranern im Ausland und im Iran unterstützt und sind seit Jahrzehnten ein Leuchtfeuer der Hoffnung im Kampf um die iranische Freiheit.
UN-Experte Prof. Jean Ziegler: „Hunger“ als Waffe ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
In Camp Ashraf, nahe der irakischen Grenze zum Iran, lebten nicht nur 3000 Flüchtlinge, sondern auch viele Menschen, die freiwillig in den Irak gingen, junge, intelligente Menschen, die für den Kampf um die Freiheit ein gut situiertes Leben in Europa oder im Iran aufgaben.
Nirgendwo auf der Welt findet man Flüchtlinge, auf die der Begriff des politischen Flüchtlings so genau passt wie auf die in Camp Ashraf. Der monetäre Wert der Siedlung ist kürzlich erfasst worden. Über 500 Millionen US-Dollar an Werten hatte diese moderne Stadt mit Gärten, Stadien und Musikarenen. Ihr Ruf als Leuchtfeuer der Freiheit war weltweit ein Begriff, nicht nur unter den Iranern.
Doch die Dissidenten leiden auch so sehr unter geopolitischen Schachspielen wie keine andere Flüchtlingsgruppe. Die Bewohner sind allesamt Mitglieder der Organisation der iranischen Volksmojahedin (PMOI), die seit der Schahzeit für die Freiheit des nun 70 Millionen Bürger umfassenden Landes kämpfen.
Diese Iraner haben mehr Feinde, als man denkt. Natürlich sind sie für die iranischen Mullahs „Staatsfeind Nummer 1″ und das nicht ohne Grund: Die Volksmojahedin sind gut organisiert, hoch motiviert und sie haben mit dem Nationalen Widerstandsrat Iran (NWRI) und seiner Präsidentin Maryam Rajavi mächtige Fürsprecher in der Welt. Zur jährlichen Veranstaltung des iranischen Widerstandes vor den Toren von Paris strömen über 100.000 Menschen und der eigene Widerstandssender kann sich vor Spenden aus aller Welt kaum retten.
Die Volksmojahedin sind auch im Inland ein Problem für die Mullahs. Sie haben bestens ausgebildete Informanten in den höchsten Kreisen dieser herrschenden Clique und decken immer wieder detailliert Atomprojekte und andere Aktionen der Mullahs auf. Sie sind maßgeblich bei Studentenunruhen aktiv. Hunderte Sympathisanten sitzen in den Gefängnissen der Mullahs und warten auf ihre Hinrichtung. Allein im Jahr 1988 wurden Zehntausende Mojahedin im Rahmen einer Säuberungsaktion hingerichtet.
Nicht nur die iranischen Mullahs trachten den Volksmojahedin nach dem Leben. Die irakische Regierung ist auf „Kuschelkurs“ mit den Mullahs. Regierungschef al-Maliki versucht im brodelnden Irak seine Macht mit der Unterstützung der Mullahs zu sichern und die Vernichtung der Volksmojahedin hat allerhöchste Priorität als Bedingung für eine Zusammenarbeit beider Regierungen.
Das Repertoire an Menschenrechtsverletzungen gegen die Volksmojahedin ist dementsprechend weitreichend. Irakische Truppen erstürmten mehrmals Camp Ashraf, Mojahedin wurden erschossen, erschlagen und von Militärfahrzeugen überfahren, seit Jahren ist über sie eine medizinische Blockade verhängt und das Lager wurde monatelang aus 300 Lautsprechern mit Propagandaparolen und Morddrohungen Tag und Nacht beschallt.
2011 wurden die Volksmojahedin dann ihrer neuen Heimat beraubt, als sie nach Vernichtungsdrohungen und unter falschen Zusagen in das ehemalige, inzwischen geplünderte, viel kleinere und verwahrloste Camp Liberty in Bagdad ziehen mussten.
Bei vier Raketenanschlägen auf das Lager wurden Dutzende Menschen getötet, doch das schlimmste Massaker fand noch einmal am 1. September 2013 in Camp Ashraf statt. 100 Mojahedin waren dort verblieben, um das Eigentum der Stadt zu schützen. Sie wurden von irakischen Spezialeinheiten massakriert, exekutiert. Sieben von ihnen sind bis heute entführt und leiden wohl in irakischen Geheimgefängnissen.
Der traurigste Gegenwind kommt jedoch nicht aus dem Mittleren Osten, sondern direkt aus hiesigen auf ihre Menschenrechte so stolzen westlichen Regierungen. Deutschland selbst hat in zurückliegenden Jahren bei der Stigmatisierung und Verfolgung der iranischen Dissidenten eine unrühmliche Rolle gespielt. Inzwischen hat eine scheinbare Art leichter „Wiedergutmachung“ eingesetzt, denn Deutschland hat als einziges Land der EU ca. 100 Asylberechtigte aus Camp Liberty aufgenommen.
„Wiedergutmachung“ kann man es nennen, hatte doch ein Deutscher namens Martin Kobler aus der Partei der Grünen, seinerzeit so genannter UN-Sonderbeauftragter für den Irak und Chef der UNAMI, in der Zeit der Zwangsumsiedlung der Mojahedin eine entscheidende Rolle gespielt. Der iranische Widerstand hatte von Anfang an klare Hinweise darauf, dass Kobler sich mit iranischen Vertretern traf – was gegen UN-Recht verstößt – und später stellte sich heraus, dass Kobler einen Bericht über den Zustand von Camp Liberty bewusst gefälscht und so die Iraner in das neue Camp gezwungen hatte. Tahar Boumedra, ein enger Mitarbeiter Koblers, zeichnete später ein schockierendes Bild der geopolitischen Realpolitik von Kobler, die durchtränkt davon war, die Sicherung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak über das Schicksal der Dissidenten zu stellen und im Rahmen der Verhandlungen mit dem iranischen Regime zu einem willigen Handlanger der Mullahs zu werden. Seine Amtszeit, die vor einem Jahr nach massivem internationalem Druck beendet wurde, ist und bleibt ein dunkler Schatten auf der deutschen Außenpolitik im Namen der UN.
Das Schicksal der Volksmojahedin im Irak bleibt trotz hochrangiger Unterstützung westlicher Politiker und bekannter Menschenrechtsgruppen ungewiss. Der Westen ist weiterhin in Atomverhandlungen mit der neuen iranischen Regierung involviert, die nachweislich Drahtzieher des Massakers am 1. September war. Der irakische Regierungschef braucht die Unterstützung der Mullahs mehr denn je. Auch die Mullahs selbst müssen, da manches darauf hindeutet, dass das Volk seine Resignation überwindet, und nach dem Abbau von Subventionen im Land um neue Aufstände fürchten und nichts wäre hier gefährlicher als ein gut organisierter Widerstand mit einem leuchtenden Vorbild der Demokratie vor der Haustür.
Das Schicksal der iranischen Dissidenten ist daher ein echter Test für westliche Demokratien, vielleicht noch mehr als die Flüchtlinge auf Lampedusa oder die Flüchtlingsboote im Mittelmeer. Die Mojahedin stehen wie kaum eine andere Oppositionsgruppe für die uralten Werte Freiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Trennung von Kirche und Staat und für alles, worauf die westlichen Verfassungen beruhen. Es geht bei dem Umgang mit den Mojahedin daher nicht um Aufnahmekapazitäten oder Fragen der Finanzierung und des Umgangs mit den heimischen Bürgern, bei den Mojahedin geht es um westliche Werte, westliches Verständnis von Recht und Menschenrecht.
In der Krim-Krise wird fast minütlich von europäischen Volksvertretern das Völkerrecht betont, doch im Irak lässt man zu, dass es seit fast fünf Jahren an den 3000 iranischen Dissidenten fast täglich gebrochen wird. Woher nimmt man das Selbstverständnis, hier mit zweierlei Maß zu messen? Es wird Zeit, auch über diese Frage einmal ausführlich medial mit europäischen Politikern zu diskutieren.
Siehe auch: http://www.huffingtonpost.de/javad-dabiran/der-umgangmit iranischen_b_5030509.html?utm_hp_ref=politik
* Der Autor ist Iran- und Nahost-Experte, NWRI-Deutschlandsprecher, Exil-Iraner
V.i.S.d.P.: Javad Dabiran und Huffington-Post (siehe LINK)
2 Kommentare
27. März 2014 um 10:51
Klaus Dörfert
Den Umgang mit Dissidenten kennen doch die Opfer des Stalinismus ausreichend, wo die Täter die Opfer verhöhnen, wo Täterrenten gezahlt werden, die rehabilitierten Opfer nicht im Regelkatalog erscheinen und nix bekommen. Hier ist schon die Wortwahl für mich eine Beleidigung, denn ich war nie Opfer, sondern Dissident oder Wiederstandskämpfer, meinetwegen auch Anti-Kommunist.
27. März 2014 um 14:00
Stefan Köhler
Meine volle Zustimmung! Und für die Entwicklungen im Norden Afrikas, dessen Flüchtlinge und Vertriebene sind alle Antworten im Buch, „Der bedrohte Friede“, von CFW zu finden.