Kiew/Moskau/Brüssel/Berlin, 2.03.2013/cw – Wieder einmal steht Europa an einem kritischen Punkt, droht in  einen „Point of no Return“ hineinzutaumeln. So jedenfalls werden die alarmierenden Nachrichten von der Krim, aus Moskau, gedeutet, die von den Medien transportiert werden. Aber stimmt das?

Wie sich die Bilder gleichen. Adolf Hitler konnte im März 1938 Österreich „heim  ins Reich“ holen und die Welt schwieg auf fatale Weise. Auch damals stimmten „Verantwortliche“ für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, die Austro-Nazis verabschiedeten  ein entsprechendes Gesetz. Jetzt billigte das russische Parlament die notwendigen militärischen Maßnahmen Russlands gegen die Ukraine, gab Putin freie Hand, ggf. bis nach Kiew und Lemberg zu marschieren, um „die russische Minderheit vor den Übergriffen durch Faschisten in der Ukraine zu schützen.“ Und wieder schaut die Welt zu.

Natürlich werden Proteste formuliert, Sondersitzungen einberufen und sogar Putin kritisiert. Aber gleichzeitig wird die „Deeskalation“ bemüht, wird von der Krim kolportiert, dass es keine Aggressionen seitens der russischen Soldaten gebe, man beschränke sich seitens des russischen  Militärs auf martialische Demonstrationen etc. Dass es sich hier um  einen Einmarsch in ukrainisches Gebiet handelt, also um  eine Aggression gegen einen unabhängigen Staat – und das in Europa im 21. Jahrhundert – wird verschämt verschwiegen oder umschrieben.

Aber nicht nur Erinnerungen an 1938 werden wach, zumindest im Zusammenhang mit den kaum noch verklausulierten  Ansprüchen auf die „russische“ Krim, sondern auch an andere dramatische Geschehnisse in  Europa nach 1945. Konnte man noch den 17. Juni 1953 als eine verunglückte Streikbewegung einstufen, die in einen  Volksaufstand ausartete, der zu schnell erstickte, um wirksam helfen zu können, so sah das 1956 in Ungarn schon  ganz anders aus. Hier kämpfte die ungarische Armee wochenlang auf der Seite der verzweifelten Aufständischen, die in dem Verteidigungsminister Pal Maleter einen ihrer strahlenden Führungsfiguren fanden. In Ungarn stand die eigene Regierung unter Imre Nagy hinter den Aufständischen gegen die Besatzung durch die Rote Armee. Trotzdem schaute die Welt zu, akzeptierte die Aufteilung der Interessenssphären, nicht ohne – natürlich  – ihrer  weltweiten Empörung Raum zu geben. Die Belohnung für die Ignoranz durch den Westen erfolgte bereits in der folgenden Suez-Krise, als sich die damaligen Sowjets aus dem Konflikt heraushielten.

Die verzweifelten Hilferufe über Radio Budapest: „Mein Gott, hilft uns denn keiner?“ verhallten. So konnten die Sowjetpanzer den mutigen Freiheitskampf der Ungarn 1956 ungehindert im  Schatten  wortreicher, dramatischer  Proteste niederwalzen.

Der Ukraine steht hoffentlich dieses Schicksal nicht bevor. Aber es steht zu erwarten, dass es im  Konstrukt der „notwendigen  Erhaltung des Friedens“ zu einem faktischen Anschluss der Krim-Halbinsel an Russland kommt. Womöglich erhält Putin dann  auch noch den Friedensnobelpreis, weil er die Krise „im  Sinne des Weltfriedens“ gelöst habe und sich bescheiden mit der Beseitigung der „gefährlichen Krim-Krise“ zufrieden gegeben hat, ohne die „schützenswerte Integrität der großen Ukraine“ ernsthaft gefährdet zu haben.

Und wir? Wir können uns weiter um die Einbeziehung der dann Krim-freien Ukraine in die Europäische Union bemühen und uns und den Ukrainern nach deren Beitritt auf die Schultern klopfen: Es lohnt sich, für die Freiheit einzutreten, für die Freiheit zu kämpfen. Zumindest auf dem Vertragspapier.

* Der Kommentator war in den neunziger Jahren Vizepräsident der „Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft (DUG) von 1918“ mit Sitz in München.

V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785