Köln/München/Hoheneck, 17.02.2014/cw – Über die „Denunzianten in der Zelle“ schrieb die in Köln wohnende Buchautorin und ehemalige Hoheneckerin Ellen Thiemann in ihrem letzten Buch: “Wo sind die Toten von Hoheneck“ (F.A. Herbig München , 2013). In einem eigenen Kapitel (S. 89 –104) schildert sie eindrucksvoll und erschütternd, wie der Arm der Staatssicherheit bis in die Zellen des einstigen, offiziell von der Volkspolizei geleiteten Frauenzuchthauses der DDR reichte.
Dabei beschränkte sich das MfS nicht allein auf die Verpflichtung des Anstaltsarztes Peter Janata als „IM Pit“, der nach seiner Ablösung zum medizinischen Leiter aller Haftanstalten befördert wurde. Auch die Anstaltspsychologin Gisela Glück arbeitete als „IM Franziska“ nebenbei für das MfS und führt heute unbeschadet von dieser Vergangenheit eine alternative Praxis in Chemnitz unter dem Namen Forberg. Zahlreiche Insassen wurden entweder unter entsprechendem Druck zu Spitzeldiensten verpflichtet oder erklärten sich gleich freiwillig dazu bereit, eigene Leidens-Genossinnen auszuhorchen und Berichte für das MfS zu schreiben.
Thiemann hat in ihrem Buch allein 18 dieser IM ausfindig gemacht und mit vollem Namen enttarnt, aber „Andere wühlen und zersetzen weiter,“ schreibt die Buch-Autorin. So erkläre sich auch das Phänomen, „dass es massive Streitigkeiten untereinander gibt,“ was sogar „in Prozesse ausartet.“ Die einstige Ressort-Leiterin des Kölner „Express“ zitiert den Kölner Psychiater Dr. Peter Mantell, der die Tragik der Selbstschwächung ehemaliger Leidensgefährten bedauert: „Das Virus des Hasses, des Verrates inszeniert sich neu unter den eigentlichen Opfern, und manche kommen schwer aus diesem Dunstkreis wieder heraus.“
„Die aufgefundenen Listen von Decknamen aus dem Frauenzuchthaus Hoheneck sind lang,“ schreibt Thiemann in dem zitierten Buch (S.97). Offen seien (bisher) die IM-Namen: „Katja“, „Carmen“, „Marianne“, „Brigitte““, Antje“, „Barbara“, „Rita“, „Carlola“, „Henrike“, „Eva“, „Ruth“, „Monika“, „Doris“, „Heike“, “Pool“ und „Tieger“, wobei es sich hier nur um einige bisher aufgefundene IM-Namen handele.
Besonders schäbig fand die einstige Hoheneckerin die inszenierte Verdächtigung, die auch sie selbst betroffen hätte. Mit dieser Zersetzung unter den Gefangenen wurde gezielt Misstrauen gestreut, um besonders für die Stasi unliebsame Personen gegenüber den anderen Gefangenen zu denunzieren.
Dennoch hofft Ellen Thiemann auf die Stunde der Wahrheit, denn „Für alle aus politische Gründen inhaftierten Frauen sind die Namen der Verräterrinnen von großen Interesse.“ Es gehe dabei nicht um Rache, sondern um den legitimen Wunsch, ein schlimmes Kapitel des eigenen Lebens endlich abschließen zu können. Offene Fragen hinterließen offene Wunden und „lassen uns nicht zur verdienten Ruhe kommen,“ so Thiemann.
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207785
5 Kommentare
19. Februar 2014 um 14:09
Manfred Springer
Wir sollten netter und aufrichtiger zueinander sein – denn das haben wir Alle verdient und sind es uns schuldig,meint Manfred Springer
19. Februar 2014 um 12:38
Frank Auer
Die Täter von einst, die im damaligen Frauenzuchthaus als IM oder im Dienst der STASI tätig gewesen sind, arbeiten heute nach wie vor unter uns. Diese Täter nehmen eine andere Identität oder einen anderen Namen an und müssen für ihre damalige Tätigkeit keinem mehr Rechenschaft ablegen oder dürfen diese gar verschweigen.
Hier kommt bei mir ein weiterer Aspekt hinzu, der mir immer wieder durch den Kopf geht, wenn ich über IM-Namen lese.
Von jedem anständigen Bürger wird verlangt, dass dieser seine persönliche Lebensgeschichte offen und wahrheitsgemäß darlegt. Sei dies bei Behörden, Ärzten oder bei Bewerbungen. Wenn wir, ich sage mal als „Normalbürger“ etwas verheimlichen würden oder uns einen anderen Namen, im Laufe unseres Lebens angelegt hätten, müssten wir dies zumindest angeben und erklären. Denn ansonsten, sollte dies irgendwann herausgefunden werden, würden wir als unglaubwürdig angesehen. Es würden Zweifel zu unserer Person auftreten und man würde fragen, weshalb wir nicht offen und ehrlich alles über uns berichtet haben. Im Berufsleben würde dies zur sofortigen Kündigung führen, weil wir bei Bewerbungen oder im Vorstellunggespräch nicht ehrlich waren! Doch bei ehemaligen IM fragt anscheinend keiner. Diese Personen brauchen nicht über ihre ehemalige Tätigkeit, z. B. im Frauenzuchthaus Hoheneck, berichten und man fragt auch keinen danach. Diese würden aller wahrscheinlich selbst eingestellt werden, sollten die Täter von einst über ihre damalige Zusammenarbeit mit dem MfS berichten.
19. Februar 2014 um 10:06
Angelika
Wie einfallslos IM-Namen sein können. Hatte eine IM mit dem Namen „Norma Rae“ in Hoheneck.
Am Besten ist es, keinem Verein anzugehören. Wenn man manche Seiten im Internet betrachtet und die Art, wie sich Haftkollegen in Selbstmitleid und Gejammer ergehen, weiss man nicht ob man lachen oder weinen soll.
19. Februar 2014 um 01:17
Fritz Schüler
Das Problem ist in den Opferverbänden weit verbreitet, aber auch in der VOS noch lange nicht (biologisch) gelöst.
Reformunwilligkeit sowie starrsinniges Festhalten an überlieferter Stalinismus-Nostalgie werden den Niedergang des einst größten Opferverbandes weiterhin beschleunigen.
MAN KANN DIE ZUKUNFT NICHT MEISTERN, WENN MAN DIE VERGANGENHEIT MIT EINER HALBEN WAHRHEIT BESTÜCKT VOR SICH HERSCHIEBT.
(Tony Blair, ehemaliger britischer Premierminister)
18. Februar 2014 um 13:04
Bernd Stichler
„Andere wühlen und zersetzen weiter.“ So erkläre sich auch das Phänomen, „dass es massive Streitigkeiten untereinander gibt,“
Mit diesem Problem haben leider nicht nur die Hoheneckerinnen zu kämpfen. Auch in anderen Opferverbänden ist das so. In der VOS hat sich dieses Problem inzwischen größtenteils auf biologische Weise gelöst.