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Eine versuchte Antwort auf Habbo Knoch, JÜDISCHE ALLGEMEINE *

Von Tatjana Sterneberg

Berlin, 30.01.2014/hb – Die Auseinandersetzungen um  ein würdiges, sprich angemessenes Gedenken an die Opfer der Diktaturen im 20.Jahrhundert werden heftiger. Vielleicht liegt das ja am ursprünglichen Ausgangspunkt eines Alleinvertretungsanspruches, das die Opfer des Nationalsozialismus unmittelbar nach dem Zusammenbruch der fürchterlichsten Kurzzeitdiktatur der Geschichte angemeldet und in der Folge mit Erfolg durchgesetzt haben. In der Entstehungszeit dieses Alleinvertretungsanspruchs war weder die Ausdehnung der kommunistischen Diktatur durch deren Moskauer Zentrale auf halb Europa noch deren Zusammenbruch im November 1989 abzusehen.

Gerade aber letzteres Ereignis setzte die Forderung der Opfer der kommunistischen Diktatur auf Anerkennung ihrer nachweislich erlittenen Folgen von Folter und politischer Verfolgung frei. Das war und das ist legitim. Denn die Verfolgung von Menschen  aufgrund ihrer Rasse, Religion oder politischen Überzeugung unter Einsatz menschenrechtswidriger oder rechtsstaatswidriger Methoden ist nicht nach der jeweiligen politischen Grundlage zu beurteilen oder einzuordnen. Es ist also völlig gleichgültig, unter welcher Form einer Diktatur Morde, Folter oder sonstige Rechtsverletzungen stattfanden oder stattfinden.

Es geht und es kann also nicht um falsche Prioritäten gehen, wie Habbo Knoch meint, allenfalls um die Diskussion um  das WIE und das WO des Gedenkens an diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Holocaust bleibt auch im  Rückblick ein nicht fassbares, weil überdimensionales Verbrechen einer zwölfjährigen Diktatur. Punkt. Diesen Anspruch will Niemand – außer einigen  Ewiggestrigen – den Opfern und deren Überlebenden streitig machen. Warum aber wollen die Überlebenden des zwölfjährigen bzw. vierjährigen (Wannsee-Konferenz) braunen Holocaust nun den Überlebenden des zweiundsiebzigjährigen bzw. vierzigjährigen (Stalin und Mao-Ära) roten Holocaust das Recht abstreiten, auch ihrer (Millionen) Ermordeten zu gedenken?

Koch bemängelt die angebliche Vernachlässigung des Gedenkens an die fürchterlichste Kurzzeitdiktatur durch die jetzige Große Koalition und führt als Beleg den Jugendwerkhof Torgau, die einstige Stasi-Zentrale oder gar das Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft an. Leider vergessen hat er die zahlreich existierenden und nicht nur finanziell sondern auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit bereits fest verankerten Gedenkstätten u.a. in Dachau, Sachsenhausen, Ravensbrück, Bergen-Belsen, das weltberühmt gewordene Holocaust-Denkmal im Zentrum oder die Topografie des Terrors in Berlin.

Letztere steht im unmittelbaren Schatten eines Restbestandes der Berliner Mauer, ein sinnbildliches Zeugnis nicht nur der Berührungen der braunen und der roten Diktatur. Als weiteres Beispiel dieser Berührungen (ich vermeide hier bewußt den Begriff der Übereinstimmung) wäre hier die bereits angeführte Gedenkstätte Sachsenhausen vor den Toren Berlins zu benennen. Hier wird dokumentiert, wie die rote Diktatur die Einrichtungen der braunen Diktatur nahtlos für die Verfolgung ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner übernommen hat. Über 12.000 Tote innerhalb von fünf Jahren allein an diesem Ort (von 1945 – 1950 > Schließung des roten KZ) belegen ebenfalls eine fürchterliche Praxis der anderen Diktatur.

An dieser Stelle soll und kann nicht der historische Diskurs über das tatsächliche und nachweisliche Zusammenspiel beider ideologisch ausgerichteten  Diktaturen geführt werden, das würde den Rahmen sprengen. Auch wenn die Versuchung der notwendigen  Untersuchung von Übereinstimmungen und gegenseitigen Befruchtungen beider Ideologien bei einem überzeugten Demokraten permanent vorhanden ist. Dabei will ich nicht nur an den von Goebbels und Ulbricht gemeinsam gesteuerten BVG-Streik in Berlin von 1932 erinnern. Wäre es doch nur dabei geblieben. Nein, der sowjetische Geheimdienst, Sinnbild roten Terrors und der vergleichbare NS-Geheimdienst GESTAPO, Sinnbild des braunen Terrors, arbeiteten nach dem Hitler-Stalin-Pakt geradezu freundschaftlich gegen gemeinsame Feinde zusammen. Der Pakt selbst schuf die Grundlagen für den zweiten Weltkrieg. Und … und… und…

Ein Auseinanderdividieren der Opfer beider Diktaturen ist nicht nur schädlich, es beleidigt posthum diese Opfer. Und es liefert den Ewiggestrigen beider Seiten die Munition für ihre zahlreichen Rechtfertigungs-Legenden, mit denen diese heute bereits wieder auf Seelenfang bei historisch ungebildeten, leider oft jungen Bürgern gehen. Nur die Einigung auf gemeinsame Grunddaten, die die Verbrechen der beiden Diktaturen ohne Schnörkel und versuchte Verharmlosungen beschreiben, die Einigung auf Grunddaten eines gemeinsamen Gedenkens kann uns aus dem entstandenen Dilemma führen, das leider auch durch Beiträge wie den von Habbo Knoch in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN nicht gelöst sondern eher verstärkt wird.

Unsere Anstrengungen sollten sich – neben der angeregten und durchaus ernst gemeinten Einigung auf gemeinsame Grunddaten – auf die durchaus gefährlichen Entwicklungen im  Schatten der vordergründigen Gefechte um angemessene Orte der Erinnerung konzentrieren. Nicht zuletzt aufgrund des angeführten und sorgsam verteidigten Alleinvertretungsanspruches sind vermutlich unter den Opfern der roten Diktatur (zunächst „nur“) Aversionen gegen die „Alleinvertreter“ entstanden. Jedenfalls lässt sich so z.B. die Schweigespirale gegenüber einem ihrer öffentlichen Sprecher interpretieren, der sich äußerst bedenklich gegenüber den Juden äußerte, als er diese – biblizistisch ummantelt – als „Knechte Satans“ bezeichnete. Das diese Diffamierung 60 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur (bis heute) ohne Aufschrei in Deutschland wieder möglich ist, sollte uns viel mehr beunruhigen, als der Diskurs um die angebliche Bevorzugung von Diktatur-Opfern. Auch das allenfalls verborgene Grummeln der Opfer aus der roten Diktatur gegenüber diesen Äußerungen eines führenden Funktionärs sollte mehr Aktivitäten auslösen, als diese kräftezehrende und dazu überflüssige Eifersüchtelei um die Erwähnung oder Nichterwähnung von Gedenkorten  in einer politischen Absichtserklärung.

Wir haben es historisch erlebt und durchlebt, bis in unsere Zeit hinein. Ein anfängliches Schweigen gegenüber zunächst verbalen Entgleisungen kann  sehr schnell in Strukturen umschlagen, die den Kapiteln der roten und braunen Tyrannei ein weiteres Kapitel hinzufügen würden. Das kann, das darf nicht im Interesse der Opfer dieser Diktaturen und ihrer Überlebenden liegen. Mit diesem Anliegen könnten wir uns bereits auf ein wichtiges und gemeinsames Grundanliegen einigen, oder?

Der Deutsche Bundestag könnte zum Beispiel im  Jahr historischer Erinnerungen ein Symposium veranstalten,  auf dem zumindest der Versuch unternommen werden könnte, diese gemeinsamen Grunddaten zu erarbeiten und eine gemeinsam getragene Gedenk- und Mahnmal-Konzeption zu verabschieden. (Die UOKG hat sich selbst durch ihren ggw. Vorsitzenden um  die etwaige Organisation eines derartigen Symposiums gebracht.) Die Bundesregierung könnte dann verbindlich erklären, die Ergebnisse dieses Symposiums mit den gegebenen Möglichkeiten umzusetzen.

*Der vorgegebene Artikel von  Habbo Knoch erschien in der Zeitung JÜDISCHE ALLGEMEINE  vom 23.01.14:

http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18181

Tatjana Sterneberg (*1952 in Ost-Berlin) wurde 1973 zu vier Jahren Haft in der DDR verurteilt, weil sie der Liebe wegen zu einem Italiener aus West-Berlin ziehen wollte. Sterneberg verbüßte ihre Haft im berüchtigten  Frauenzuchthaus Hoheneck. Heute ist sie die Vorsitzende des ersten  „Fördervereins Begegnungs-. und Gedenkstätte Hoheneck e.V.“, arbeitet in der Beratung von Diktatur-Opfern und ist im Zeitzeugenprogramm tätig.

https://www.google.de/search?q=tatjana+sterneberg&ie=utf-8&oe=utf-8&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a&gws_rd=cr&ei=48HkUq6FGM3LswaD24CQCA

V.i.S.d.P.:Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207778

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