Potsdam, 24.01.2014/cw – Am heutigen Freitag urteilte das Verfassungsgericht Brandenburg unter Vorsitz seines Präsidenten Jes Albert Möller über die Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen Verfolgten des DDR-Regimes.
Der Kläger war wegen mehrerer Fluchtversuche in den siebziger Jahren zu insgesamt sieben Jahren Haft verurteilt und 1982 von der (alten) Bundesrepublik freigekauft worden. Er wurde als politischer Häftling anerkannt, erhielt nach 1990 seine Rehabilitierung, ab 2007 die soziale Zuwendung für ehemals politisch Verfolgte, oft fälschlich als „Opferrente“ bezeichnet.
2009 wurden die Bescheide aufgehoben, die Zahlungen eingestellt und Rückforderungen in Höhe von 30.000 Euro erhoben. Als Grundlage dieser Entscheidung wurde der Vorwurf postuliert, der Verfolgte habe für „Sicherheitsorgane“ der DDR gearbeitet. Nachdem der Widerspruch gegen diese Entscheidung in zwei Instanzen, zuletzt 2011 durch das Brandenburger Oberlandesgericht abgewiesen worden war, erhob der Betroffene Klage vor dem Verfassungsgericht. Im Wesentlichen machte er geltend, ihm sei kein verfassungsmäßig garantiertes rechtliches Gehör eingeräumt worden, die Vorinstanzen hätten lediglich aufgrund schriftlicher Vorlagen entschieden.
In der heutigen, von zahlreichen Medienvertretern gut besuchten Verhandlung räumte der Beschwerdeführer eine Verpflichtung für die „K1“ (Kriminalpolizei der DDR) ein. Er sei dazu in der Haft gegen Androhung weiterer Strafen gezwungen worden. Es habe sich also weder um eine „freiwillige“ Verpflichtung noch gar um eine Verpflichtung für den Staatssicherheitsdienst der DDR gehandelt. Er habe zwar Gelegenheit gehabt, im Laufe der Verfahren schriftlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, er hingegen sei der Meinung, dass man ihm auch eine mündliche Anhörung hätte einräumen müssen, um ihm so die Gelegenheit zu geben, ausführlich Stellung zu nehmen und gegen den Vorwurf der Verpflichtung zu argumentieren.
Auf Befragen erklärte die Landesbeauftragte (für die Aufarbeitung der Diktatur) Ulrike Poppe als Sachverständige, es sei trotz der Nähe beider Institutionen Krimimalpolizei und Staatssicherheit ein erheblicher Unterschied in der Beurteilung der Verpflichtung. Auch müsse einem Verfolgten der DDR ausreichend Möglichkeiten eingeräumt werden, zu den besonderen Umständen einer solchen Verpflichtung angehört zu werden. Der ausgeübte Druck in der Haft sei erheblich gewesen und eine Beurteilung könne nur bei Abwägung des Einzelfalles und der hier vorliegenden Bedingungen erfolgen.
In seiner Entscheidung, die allerdings noch nicht in Schriftform vorliegt, entsprach das neunköpfige Verfassungsgericht der Beschwerde und verwies den Fall an die untere Instanz zur Neuverhandlung zurück. Sowohl das Landgericht wie das Oberlandesgericht hätten im vorliegenden Fall die Pflicht gehabt, dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör durch eine ausreichende mündliche Anhörung einzuräumen. Die Einholung lediglich einer schriftlichen Stellungnahme sei hier nicht ausreichend und verletzte die Rechte des Beschwerdeführers, der ein Opfer der Diktatur sei, in erheblichem Maße.
Tatjana Sterneberg, ehemalige Hoheneckerin und seinerzeit zu vier Jahren Haft verurteilt, begrüßte das Urteil als „Pilot-Entscheidung für ähnlich gelagerte Fälle“. Sie hatte sich zusammen mit dem Menschenrechtler Carl-Wolfgang Holzapfel, der seinerzeit zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, in ähnlich gelagerten Fällen engagiert. Holzapfel hatte sich bereits vor Jahren in einem TV-Beitrag (RBB) zu zwei ähnlich gelagerten Fällen für eine „strikte Einzelfallprüfung“ ausgesprochen. http://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/diktaturen/opfer_oder_taeter.html
Sterneberg erinnerte auch an eine frühere Stellungnahme des Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert, der bereits vor drei Jahren auf Anfrage erklärt hatte, dass die Ausführungsbestimmungen zum Rehabilitierungsgesetz ausdrücklich für derartige Einzelfälle Ausnahmen in der Beurteilung zuließen und damit in derartigen Fällen einen Ausschluss von Entschädigungsleitungen als ungerechtfertigt ausschlössen.
V.i.S.d.P.:Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207778
19 Kommentare
31. März 2015 um 17:35
Wolfgang Defort
Ja, Ihr wahren Helden, die nicht spioniert haben, was ist aber, wenn man Opfer und Täter gleichzeitig war? Im jugendlichem Alter verführt wurde, später seine Dummheiten eingesehen hat und mit vielen Schikanen den Austritt aus allen gesellschaftlichen Organisationen beantragt hat, durch die Hölle gehen musste, 5 Jahre Zuchthaus in Kauf nehmen musste, wegen RF und staatsfeindlicher Hetze dann erst nach Absitzen der gesamten Haftzeit abgeschoben wurde und hier dann auch keine politische Verfolgung anerkannt bekommt?
Aber wie ich sehe, sind viele „Helden“ trotz allem in der DDR geblieben und treten jetzt wie die wahren standhaften auf. Danke, Ihr Helden!!!!
Wolfgang
27. Januar 2014 um 18:43
Angelika
Habe Die IM-Liste in der BILD-Zeitung Halle von 1992 mit 4500 IM s heute bekommen. Mit Namen Strasse und Hausnummer, Geburtsdatum.
Wer Interesse hat an Kopien kann sich bei mir melden.
A.K.
28. Januar 2014 um 16:44
Bernd Stichler
Als gebürtiger Hallenser hätte ich das gern in Kopie.
Bernd Stichler
31. Januar 2014 um 22:30
Edith Fiedler
Liebe Angelika K.,
ich bin ebenfalls interessiert.
.
2. Februar 2014 um 15:17
Angelika
Hallo Bernd,
hast Du vielleicht die Liste auf per Mail versandtbaren Dateien? Das wäre noch besser, da hätten wir alle etwas davon.:-)
Meldest Du Dich bei mir ? das wäre toll.
wiccariad@aol.com
Angelika Kanitz
3. Februar 2014 um 12:02
Angelika
Es handelt sich um Stasimitarbeiter aus Leipzig und dem Hallenser Raum.
Zur Info:http://www.spiegel.de/video/vor-20-jahren-liste-mit-spitzeln-der-stasi-in-halle-veroeffentlicht-video-1210045.html
24. Juli 2015 um 13:06
Carsten
Hallo Angelika,
als ehemaliger DDR Bürger aus dem Bezirk Halle bin ich ebenfalls an der IM Liste aus der Bildzeitung interessiert, auch da es nach meinem (abgelehnten) Ausreiseantrag einige „Merkwürdigkeiten“ gab.
Ich hoffe, du kannst noch behilflich sein, dein Beitrag liegt ja schon einige Zeit zurück, wäre toll.
Carsten
27. Januar 2014 um 09:16
Dirk Lahrmann
Die Billiarden-schwere Luxusversorgung der DDR-Diktaturanhänger war bisher in den Medien kein Thema. Die Genossen erhielten Firmen und Grundstücke für eine DM von der Treuhand, alle Verwaltungsposten deutschlandweit, Milliarden-schwere Subventionen aus EU und Bundeshaushalt sowie die Gold und Devisenvorräte der verschwundenen DDR.
Statt des Themas ist die sogenannte Opferrente für einen zerstörten Lebenslauf nicht bannig wenig, wird nun in den Medien ein kleines Stasiferkel durch mediale Dorf getrieben.
Was bleibt letztendlich beim Normalbürger hängen? Ach, das waren doch alles keine richtigen Stasi-Opfer, die wollen bloß auf Kosten der Steuerzahler leben.
26. Januar 2014 um 20:18
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
Admin: Aus technischen Gründen konnte Gustav Rust seinen Beitrag nicht selbst platzieren, daher haben wir auf seine Bitte den folgenden Beitrag seiner Email entnommen:
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Meine Meinung dazu:
Oft urteilen Gerichte (aber besonders auch Gutachter, siehe z.B. den Fall Gustl Mollath)
lediglich nach Aktenlage. Aber bekanntlich besteht der Mensch nicht aus Papier, er ist kein Aktenstück! Klar, daß jeder Fall individuell geklärt und entschieden werden muß.
Die jeweiligen politischen Häftlinge waren zum Zeitpunkt der Verhaftung unterschiedlich alt,
waren unterschiedlich sozialisiert worden u.s.w. Andererseits hatte es jeder selbst in der Hand zu unterschreiben oder sich zu verweigern. Ich bin mehrmals wegen Hetze verurteilt worden und war nur einmal bei der Stasi in U-Haft, 1960 in Cottbus. Auch mein Vernehmer fragte mich, und ich lehnte ab. Er wiederholte seine Frage auch nicht…
(Nicht nur für mich) ist es ein Widerspruch, wenn jemand mehrmals versucht zu fliehen
und dann einknickt. Er wusste doch seit seiner ersten Festnahme, was ihm bevorsteht…
Das K 1 war nicht „die Kriminalpolizei“ wie Du schreibst, sondern es handelte sich lediglich um ein einzelnes Referat, das Referat 1 der Kripo, das politische Referat (am Anfang war es das K 5, da gab es noch gar keine Stasi), das sehr eng mit der „normalen“ Stasi zusammenarbeitete.
So gesehen, war es unerheblich, wo jemand unterschrieb und wo jemand seine Berichte ablieferte. Alle Berichte landeten bei der Stasi…
Es ist auch egal, wann und wo er sich anwerben ließ, beim Verhör oder während des Strafvollzugs. Das Eine war so verwerflich wie das Andere…
Mit kameradschaftlichen Grüßen,
Gustav Rust
31. Januar 2014 um 21:31
Stefan Köhler
Frage an alle mit einschlägigen Erfahrungen: Welche Verjährungsfrist gilt eigentlich bei vorsätzlicher Falschgutachtung und bei Prozessbetrug?:
Es dürfte nicht nur unter Opfern und Widerständlern von Diktaturen Betroffene derartiger Guttaten unserer jetzigen Zeit geben. Derartige Verbrechen sollten deshalb unbedingt zur Strafanzeige gebracht werden. Es betrifft auch einfach die alltäglichen Unfallopfer.
26. Januar 2014 um 17:21
Bernd Stichler
….Es geht hier einzig um das vom Gericht kritisierte Fehlen des “rechtlichen Gehörs”, ein Verfassungsgrundsatz!….,.
Diese Sichtweise scheint mir zu kurz gegriffen , denn wenn es bloß DAS wäre, dann hätte ja der ganze juristische Rummel lediglich um eine Formalie stattgefunden. Und solch ein Aufwand nur um eine Formalie, ohne weitergehende Absichten? Wer glaubt denn das? Ich sehe hier eindutig Ansätze, die bestehende Gesetzeslage zugunsten von Umfallern und Verrätern aufzuweichen! Es geht doch hier nicht nur ums bloße Unterschreiben. Wenn jemand unterschrieben hatte, dann wollten die Genossen von den Betreffenden auch verwertbare Resultate haben, also
praktizierten Verrat ! Und diese Leute sollen nun mit Unterstützung von Landesbeauftragten und – was noch viel schlimmer ist – mit Unterstützung aus den Reihen der Verfolgten für praktizierten Verrat belohnt werden ?
26. Januar 2014 um 15:01
Carl-Wolfgang Holzapfel
Ohne in eine übliche Beschimpfung von Meinungen zu verfallen muss an dieser Stelle doch einmal nachgefragt werden, ob der Bericht über die Entscheidung des Verfassungsgerichtes richtig gelesen worden ist?
Das Oberste Gericht hat k e i n e Entscheidung über die Zubilligung der
Haftentschädigung, der „sozialen Zuwendung“ gefällt oder über deren Wiederaufleben entschieden. Es geht hier einzig um das vom Gericht kritisierte Fehlen des „rechtlichen Gehörs“, ein Verfassungsgrundsatz!
Es mutet schon seltsam an, wenn ausgerechnet einstige Unterdrückte und Opfer des SED-Systems Kritik an verfassungsrechtlichen Grundsätzen üben.
Die Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichtes ist aus meiner Sicht für alle Diktatur-Opfer von Bedeutung, denn oft genug wurde über ihre Köpfe hinweg „nach Aktenlage“ entschieden. Genau das ist durch die vorliegende Entscheidung – zumindest in Brandenburg – nicht mehr ohne weiteres möglich.
Carl-Wolfgang Holzapfel
26. Januar 2014 um 14:34
Bruni Grabow
Ich schließe mich den Meinungen aller Vorrednern ( Kalinka,Stichler, Toepfer und Hr. Schippendraht) an. Die Institution LAkD Poppe ist seit vielen Jahren täterfreundlich, wundern tut es wohl niemanden. Fakt ist doch, dass zur diesbezüglichen Einschätzung bereits 2006 das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil gesprochen hatte, jedenfalls nicht zu Gunsten dieser Klientel. Die sogen. Opferpension und alle SED-UnBerG sind Bundesrecht. Der BRB Landtag kann ja einen eigenen Fond für Stasispitzel aus SED-Geldern einrichten.
Abgesehen davon, dass die Rehagesetze diesbezüglich eindeutig Ausschließungsgründe beschreiben ist auch Fakt: wenn jemand eine Kalaschnikov klaut, sie zum nächsten geplanten Fluchtversuch mitnehmen will, ist das illegaler Waffenbesitz und kriminell und kann als Druckursache als politische Motivation nicht rehabilitiert werden und in Folge finanzielle Ansprüche geltend machen. Alle die einen Antrag auf die „Besondere Zuwendung“ gestellt hatten, unterschrieben auf der letzten Seite, dass sie weder bei der K1 oder MfS oder bei anderen ähnlichen SED-Institutionen gearbeitet hatten. Info: Bei der K1 brauchte man nicht zusätzlich eine Verpflichtungserklärung für das MfS unterschreiben, die K1 war die Stasi und ein unterschriebener Arbeitsvertrag reichte aus. Einen eigenen und ausführlichen Kommentar stelle ich heute Nachmittag auf meine Webseite unter „Mitteilungen“.
Bruni Grabow
http://www.sed-opfer-hilfe.de
26. Januar 2014 um 14:16
Dirk Lahrmann
Selbst der frühere brandenburgische Polizeipräsident Graf Detlef Graf von Schwerin hatte Angst vor seinen vielen Stasi-Leuten.
http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/720236/
Brandenburg war führend in der Verbeamtung von offiziellen und inoffiziellen Stasis.
Unser Dank gilt dem Genossen Manfred Stolpe und seinen vielen willigen Helfern.
Nicht umsonst nennt man Brandenburg auch die kleine DDR.
25. Januar 2014 um 13:54
Angelika
In meiner 5000 Seiten Akte tauchen immer wieder Berichte von K1 Mitgliedern auf. Diese Leute können von der Behörde nicht mit Klarnamen enttarnt werden. Angeblich sind die K1 Akten verschlossen und unzugänglich, also ist die Enttarnung solcher Mitläufer eigentlich unmöglich.
25. Januar 2014 um 12:48
Bernd Stichler
Nachstehenden Text habe ich Frau Poppe zugesandt :
Sehr geehrte Frau Poppe, es ist grundsätzlich die falsche Richtung, politischen Umfallern Schützenhilfe zu geben! Außerdem ist es absolut unerheblich, ob jemand bei der Stasi oder bei K1 unterschrieben hat. In jedem Fall hat er beim SED-Regime unterschrieben und genau das ist der Punkt. Ich habe inzwischen die Meinungen anderer Verfolgter eingeholt und darf Ihnen mitteilen daß wir uns von dieser Ihrer Sichtweise eindeutig distanzieren, da diese nicht Ihrem eigentlichen Auftrag entspricht. Die jetzt von Ihnen unterstützte Art der Rechtsprechung stellt die Verräter auf eine Stufe mit den tatsächlichen Opfern. Das ist eine Herabwürdigung und Demütigung der standhaft gebliebenen Verfolgten und darf nicht ohne energischen Widerspruch hingenommen werden.
freundlichen Gruß
Bernd Stichler
Bundesvorsitzender a.D. der Vereinigung der Opfer des Stalinismus – VOS
25. Januar 2014 um 11:58
G.F.Toepfer
Das eröffnet vielen Stasi- und Kripohelfern neue Möglichkeiten, wer keinen eindeutigen Trennschnitt zu diesen Verbrechern machte sollte nichts erhalten.
Ach ich habe doch nur ein bißchen gespitzelt und denunziert und geschadet habe ich niemanden. Statt solchen zweifelhaften Leuten sollten die erbärmlichen finanziellen Unterstützungen der Anderen wirklich Berechtigten auch angesichts der Inflation endlich mal aufgebessert werden.
G.F.Toepfer
25. Januar 2014 um 07:31
Bernd Stichler
Auch wenn ich jetzt Gegenwind ernte : Von einer solchen Praxis bin ich nicht begeistert . Wir standen damals alle unter einem gewissen Druck und trotzdem sind wir nicht umgefallen! Auch K1 war nicht zimperlich und hat zugeschlagen. Ich empfinde es als eine Herabwürdigung unserer Leiden, wenn Umfaller nun gleichbehandelt werden. Dieses Urteil wird mit größter Wahrscheinlichkeit jetzt eine Folgewelle ähnlicher Urteile auslösen, was einer Beleidigung und Demütigung der Standhaften gleichkommt. Es ist unerheblich, ob man bei der Stasi oder bei K1 unterschrieben hat , man hat immer beim SED-Regime unterschrieben, das ist der Punkt!!!
25. Januar 2014 um 00:13
Angelika
Von mir würde er trotzdem keinen Cent bekommen.
K1 der IM Verräter ist Verräter. „gezwungen“ wurden sie nach der Wende angeblich alle.