Hoheneck, 19.01.2014/cw – Schülerinnen des Stollberger Gymnasiums erstellten über eine Führung durch das einstige Frauenzuchthaus Hoheneck ein bemerkenswertes Video:
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In dem engagierten Filmbeitrag wird die Führung durch den Vorsitzenden des (zweiten ) Fördervereins Hoheneck, Dietrich Hamann, vom 21. Dezember vergangenen Jahres dokumentiert. Helle Empörung löste der Vereinsvorstand mit seinen Äußerungen zum Thema „Wasserzelle“ aus. Nachstehend der skriptierte Ausschnitt:
Nasszelle und Wasserzelle
Sprecherin (Schülerin):: „Einige Frauen berichteten später auch von einer sogenannten Nasszelle.“ (Redaktionelle Anmerkung: Bei einer “Nasszelle“ handelt es sich in der Regel um eine Wasch-. Bzw. Duschzelle.)
Hamann: „ Die Wasserzelle ist zwar immer erwähnt. Es gibt auch Gefangene, die sagen, dass sie da drin waren. Aber es gibt keine wissenschaftlich gesicherte Unterlage oder Papiere, die die Existenz bestätigen. Also darüber ist nirgendwo was geschrieben. Weder bei den Arrest-Aussprechungen oder Ähnlichem. Ob die existiert hat oder nicht, kann nicht bewiesen werden und insofern kann man jetzt nicht sagen: Da war die Wasserzelle.“
Nun werfen ehemalige, aus politischen Gründen verurteilte Frauen, die ihre willkürliche Strafen in Hoheneck verbüßen mussten, Hamann eine sträfliche Oberflächlichkeit in der Schilderung historischer Abläufe vor. Niemand könne alles wissen oder jederzeit alle Fakten präsent haben. Aber von einem Vereinsvorstand, der sich vom Auftrag her der Aufarbeitung der Geschehnisse widmen will, kann man eine vorherige gründliche Auseinandersetzung mit den Vorgängen erwarten, erklärten die empörten Frauen. Womöglich habe Hamann den Missbrauch der Wasserzelle durch eine ehemalige Hoheneckerin zum Zwecke der eigenen Profilierung gemeint, dann hätte er dies aber deutlich machen müssen. Die angesprochene Hoheneckerin hatte ihre Lebensgeschichte publizieren lassen und dabei einen Aufenthalt in der Wasserzelle in Hoheneck behauptet, was den Tatsachen nicht entsprach.
Hingegen gibt es glaubwürdige Zeugnisse von Frauen, die tatsächlich in der Hohenecker Wasserzelle eingesperrt waren. Auch die Publizistin und ehemalige Hoheneckerin Ellen Thiemann hatte u.a. in ihren Büchern die Existenz der Wasserzelle dokumentiert.
Inge Naumann schreibt Offenen Brief an Dietrich Hamann
Nun hat sich auch die vormalige Vorsitzendes des Vereins der ehem. Hoheneckerinnen in einem offenen Brief an Dietrich Hamann gewandt. Wir geben nachstehend das Schreiben von Inge Naumann in den wesentliche Ausführungen wieder:
„Betreff: Führung mit dem Stollberger Gymnasium am 21.12.2013 in Hoheneck
Sehr geehrter Herr Hamann, etwas befremdlich hörte ich mir Ihre Ausführungen über politisch inhaftierte Frauen in Hoheneck an. Ich fühlte mich zurückversetzt in Ausführungen zu „Schulen der sozialistischen Arbeit“. Als Vorsitzender müssen Sie unbedingt mit realen Fakten auftreten.
Aus welchem Grund benennen Sie „keine wissenschaftlichen Erkenntnisse“ in Bezug auf die Wasserzelle? Weil eine … Person diese missbrauchte?
MdI und Stasi haben nie Anordnungen zu Papier gebracht, wenn sie politisch inhaftierte Frauen in den Wasserzellen folterten. Das waren auch hier Anordnungen von „Oben“ an wenige „Mitarbeiter“ in Hoheneck. Es waren sehr wohl PH (Anm.: Politische Häftlinge) in der Wasserzelle, tagelang. Glauben Sie wirklich, dass man (diese) physische und psychische Folter zu Papier brachte?
Welcher wissenschaftliche Mitarbeiter sollte hierzu Erkenntnisse erarbeiten? Er/Sie war doch nicht in Hoheneck, sondern wir. In dieser Wasserzelle waren auch schon Frauen, die vom SMT (Anm.: Sowjetisches Militär-Tribunal) verurteilt wurden. Wollen Sie deren Glaubwürdigkeit auch in Frage stellen? Zu meiner Zeit wurde darüber gesprochen, dass diese ab 1978 nicht mehr „in Betrieb“ war. Ob das … wirklich so war, kann ich nicht beurteilen. Ich war nicht drin, nur in der Dunkelzelle, die … noch immer frei zugänglich ist. Glauben Sie, dass man diese Art Folter unterbunden hätte, indem man diese Zellen dicht machte? – Das tat man nicht.

Christian Wulff 2011 mit Anita G. vor der Wasserzelle in Hoheneck. Gegenüber Wulff beteuerte G., nie in Hoheneck in der Wasserzelle gewesen zu sein – Foto LyrAg
Zu einer Führung müssen die Geführten eindringlich darauf verwiesen werden, dass es um die Unterbringung von politisch inhaftierten Frauen ging, das habe ich in Ihren gesamten Ausführungen vermisst. Wie kriminelle Häftlinge untergebracht waren, interessiert hier nicht. Bei den Delikten war die Unterbringung meiner Meinung nach zu gut, diese … hatten das Sagen!
PH brauchten sich nicht zu „führen“ oder zu „benehmen“, wie Sie ausführten, wir waren zu Unrecht verurteilt und wir kamen alle aus geordneten Familienverhältnissen. Eine sog. „Erzieherin“ brauchte uns nicht zu erziehen, das haben unsere Eltern getan! Von unserer Führung oder unserem Benehmen hingen (auch) nicht der Sprecher (Anm.: Besuchserlaubnis) oder die Post ab, sondern einzig und allein die wahnsinnige Normerfüllung: 100%, besser darüber. In Hoheneck bestand die Pflicht zur Arbeit, und zwar ausschließlich als oberstes Gebot.
Post und Pakete, der Sprecher, unterlagen der Zensur, rein und raus. Das bedeutete, ein PH und dessen Schreibadresse durfte nichts über Haftinterna schreiben / erzählen, über den Anwalt, über seine Verurteilung und dessen Zusammenhänge, keine Grüße an / von Verwandten, die in der Bundesrepublik lebten. Worüber schrieb Frau, was erzählte Frau, das ist die Frage.
Fluchtversuche aus Hoheneck stammen vom Hörensagen, … das sind sogenannte „Knastparolen“. Wenn man nicht arbeitete, war man in der Zelle verschlossen. Man kam nie in den inneren Außenring, sondern nur bis in den Innenhof zur sog. Freistunde, immer unter schärfster Bewachung! In den inneren Außenring nur, wenn man ins GW (Anm.: Gesundheitswesen) geschlossen wurde, unter Bewachung, im kurzen Weg über die „Luftbrücke“. Außenarbeiter waren ausschließlich Kriminelle und männliche Hausarbeiter aus Chemnitz, auch sie waren Kriminelle.
Zum Ablauf des Tages muss ich Ihnen nochmals eindringlich nahe legen, dass endlich die Tafel im Zugang entfernt werden muss, das beanstande ich seit Jahren. Das ist der Ablauf der ehem. StVE Bautzen II und nicht von Hoheneck. Bautzen II hat für Oppach gearbeitet.
In Hoheneck war zur Frühschicht wecken 5:00 Uhr. Waschen, Bettenbau, Anstaltskleidung, raustreten und 6:00 Zählappell. Und zwar immer und danach wurde zum Frühstück abgelaufen. Dann ging es in die Produktion. Und es wurde noch einmal gezählt. Um 18:00 Uhr wurde wieder gezählt, jeden verdammten Tag gleich, 6 Uhr und 18 Uhr!
Weil 1984/ 85 so viele politische Häftling nach Hoheneck kamen, wurde zur ESDA- Frühschicht 2:30 Uhr geweckt und um 6 Uhr in der Produktion gezählt. Sie müssen vermitteln, was das im Winter in Hoheneck bei kaltem Wasser für uns Frauen bedeutete.
Mit freundlichen Grüßen Inge Naumann“
V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin, Tel.: 030-30207778
3 Kommentare
20. Januar 2014 um 14:36
Angelika
Wenn nicht er die Führungen machen soll, wer dann? Meldet sich jemand freiwillig, in dieses Kaff zu ziehen und Führungen durchzuführen?
Diese dann auch so interessant zu gestalten, dass die Jugendlichen gähnend nach Hause fahren. Freiwillige vor!
20. Januar 2014 um 12:50
Frank Auer
Hr. Hamann (Vors. d. 2. Fördervereins Hoheneck) hat bei einer Führung die Existenz der Wasserzelle in Frage gestellt. Weiter hat er erklärt, es gibt keine wissenschaftlich gesicherte Unterlagen oder Papiere über diese Zelle.
Hier entstehen folgende Fragen. Hat Hr. Hamann sich intensiv mit den Schicksalen der politisch zu Unrecht Inhaftieren Frauen in Hoheneck beschäftigt? Kennt diese Person die Bücher von Frau Ellen Thiemann? Diese zu Unrecht Inhaftierte Dame informiert als Zeitzeugenreferentin schon seit fast vierzig Jahren über die unmenschlichen Haftbedingungen. Bereits im ersten veröffentlichen Buch „Stell dich mit den Schergen gut“ (Erschienen 1984), wird detailiert über eine zu Unrecht Inhaftierte Dame berichtet, die wegen einer Lappalie über dreißig Tage in einer Wasserzelle ausharren musste (Kapitel: Arrest für Biggi). Glaubt ein Hr. Hamann etwa solche unmenschliche qualvolle Geschichten denkt man sich aus? Gerade die Journalistin, Zeitzeugenreferentin und Buchautorin Ellen Thiemann schildert alle Ereignisse stets wahrheitsgetreu. Durch die Aussagen von Hr. Hamann werden alle Damen erneut gedemütigt, die zu Unrecht in der Wasserzelle eingesperrt gewesen sind. Dann wirft Hr. Hamann ein schlechtes Bild auf die bekannteste Zeitzeugenreferentin, Journalistin und Buchautorin Ellen Thiemann, die wie keine andere gegen die zweite dt. Diktatur aufklärt. Zudem wird auf alle ehrlichen Zeitzeuginnen ein schlechtes Bild geworfen. Nach dem Motto: Können wir alles glauben, was die Zeitzeuginnen erzählen? Dann eine andere Frage, was nennt Hr. Hamann „wissenschaftlich gesicherte Unterlagen oder Papiere?“ Dies klingt so, als ob Hr. Hamann nur alles das glaubt, was wissenschaftlich bewiesen ist. Muss ein jeder Dr. oder Prof. sein, damit Hr. Hamann jemanden etwas glaubt? So kann man seine Forderung nach „wissenschaftlich gesicherten Unterlagen oder Papiere“ auch verstehen. Eigentlich dürften Führungen durch das Zuchthaus nur durch Frauen gemacht werden, die wahrheitsgetreu die Geschehnisse von einst schildern. Dies dürfte nicht schwer sein herauszufinden, wenn man sich ein wenig mit dem dunklen Kapitel „Frauenzuchthaus Hoheneck“ beschäftigt. Natürlich weiß ich, dass es für jede Dame ein erneutes Martyrium bedeutet, wenn diese bei einer Führung an ihr eigenes zu Unrecht erlittenes Schicksal erinnert werden. Doch unwahre Aussagen, die verharmlosen nur tatsächliche Erlebnisse, bringen ehrliche Zeitzeuginnen in Verruf und dienen keinem! Daher kann man es nicht gut heißen, dass ein Hr. Hamann Gruppen durch das einstige Frauenzuchthaus Hoheneck führt.
20. Januar 2014 um 10:00
Weber
Danke. So sah dieses „Horrorgefängnis“ aus.