Berlin, 17.01.2014/cw – Fünfundzwanzig Jahre nach dem Mauerfall will die neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), „mehr über die Zustände in den ehemaligen DDR-Haftanstalten“ wissen. In einem Gespräch mit der Berliner Zeitung TAGESSPIEGEL (16.01.2014, Seite 4) kündigte sie an, dass die Bundesregierung diese Bedingungen erforschen lassen will. Gleicke bedauerte, das es „noch immer zu wenig systematisches Wissen über die Bedingungen im DDR-Strafvollzug“ gebe. Die Beauftragte bezog diese Feststellung besonders auf die Behandlung politischer Häftlinge. Daher habe die Bundesregierung bereits im Dezember eine entsprechende Studie mit diesem Untersuchungsgegenstand ausgeschrieben.

Das Wirtschaftsministerium hatte keine Bedenken gegen den Blut-Transfer aus der DDR – Dok. Dt. Bundestag, Drs. 12/7600
Ausgangspunkt der jetzt publizierten Absicht waren offenbar jüngste Medien-Berichte, in denen erneut breit über die Zwangsarbeit in den DDR-Haftanstalten berichtet wurde, unter anderem durch das ARD-Magazin report-Mainz. Besonderes Aufsehen hatten dabei Berichte über die Gewinnung von Blut-Konserven erregt, die von Häftlingen abgezapft und u.a. auch an das Bayerische Rote Kreuz (BRK) verkauft wurden. Verwundert zeigte sich über dieses Aufsehen Tatjana Sterneberg von der Vereinigung 17. Juni. Laut Sterneberg, selbst einstige politische Gefangene im Frauenzuchthaus Hoheneck, hatte bereits der Erste Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der die Machenschaften der Kommerziellen Koordinierung des Alexander Schalck-Golodkowski in den neunziger Jahren untersuchte, über die Geschäfte mit Blutplasma aus der DDR berichtet.
Zement aus DDR-Zwangsarbeit fürWest-Berlin
Allerdings wurden über die Profiteure der Zwansgarbeit erstmals neue Daten bekannt. So beteiligten sich neben den bereits bekannten Firmen IKEA, QUELLE und Neckermann auch ALDI, Kaufhof, BAUR und andere an der Ausbeutung, nicht ohne dabei neben dem „ehrlichen Bedauern“ die hinlänglich bekannte „Unwissenheit“ zu betonen (so ALDI Nord und Süd in gleichen Erklärungen).
Die in Berlin ansässige Vereinigung 17. Juni sieht sich allerdings auf einem anderen Feld in einer bereits vor zehn Jahren erhobenen Forderung bestätigt. Im Forschungsbericht der BStU „Knastware für den Klassenfeind“ werde auch berichtet, dass in dem Haftarbeitslager Rüdersdorf bei Berlin Gefangene für das kapitalistische Westberlin zeitweilig bis zu einem Viertel des gesamten Zementbedarfes der Stadt in dem dortigen Zementwerk produzierten.
Verein: Berlin soll Sonderrente zahlen
Die Vereinigung hatte seinerzeit den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit aufgefordert, seitens Berlins eine „Berliner Sonderrente“ für in der Stadt lebende einstige politische Häftlinge der DDR „wohlwollend zu prüfen“. Berlin, so der Vorstand, habe aufgrund seiner politischen Vergangenheit nach dem Krieg „hier eine Vorbild-Funktion.“ Wowereit hatte diesen Vorschlag mit der Begründung abgelehnt, das die Gesetzeslage keinen Alleingang der Stadt zulasse.
„Nun aber scheint erwiesen, dass auch die Stadt Berlin, hier der Westteil, skandalös von der Haftzwangsarbeit profitiert habe,“ erklärte der Opfer-Verein: „Das stelle die ursprüngliche Forderung auf eine neue und brisante Grundlage, um seitens der Stadt in eine beispielhafte Vorleistung zu gehen.“ Man hoffe, im Zusammenwirken mit den politischen Kräften in Berlin im Rahmen der vom Verein einst angeregten und seitdem regelmäßig durchgeführten sogen. Verbänderunde beim Regierenden Bürgermeister, in der fast alle Opferverbände vertreten seien, zu „einem tragbaren und vorzeigbaren Ergebnis zu kommen.“
Der Verein werde sich in den nächsten Tagen mit entsprechenden Vorschlägen an die Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus wenden.
V.i.S.d.P.:Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785
6 Kommentare
12. Januar 2018 um 22:30
Hans-Joachim Kuban
Ich war wegen § 213 versuchte Republikflucht zu 1 Jahr Haft verurteilt und von Juni bis 20.Okt. ’89 im Außenlager Rackwitz der JVA Leipzig inhaftiert. Die Strafgefangenen mussten im 3-Schicht-System (1 Woche Früh-, 1 Woche Spät-, 1 Woche Nachtschicht) im Leichtmetallwerk nebenan in einer nach heutigen Arbeitsstättenstandard haarsträubend baufälligen, überhitzten (im Sommer mehr als 45°C), mit unfallträchtigen und schrottreifen Produktionsanlagen wie Alu-Elektro-Schmelzöfen, Profil-Strangpressen, Ziehbänken und Aluminiumpastenfertigung arbeiten.
Da wurde in unmittelbarer Nachbarschaft des Barackenlagers in diesem Werk Aluminium-Kabelschrott samt Plastik-Isolierummantelung eingeschmolzen, deren Rauchgase bei entsprechender Windrichtung das gesamte Lager einnebelten und die Rauchschwaden bei im Sommer geöffneten Fenstern in die sogen. „Verwahrräume“ zogen, in denen Gefangene wie ich nach der Nachtschicht schlafen mussten. In geringer Entfernung drehten sich unter starker Lärmentwicklung riesige Kugelmühlen, in denen Aluschrott zu Alu-Pulver zermahlen wurde, sodass Schlaf nur mit Ohrstöpseln einigermaßen gelang.
Die Alu-Profile und -Produkte gingen großenteils gegen harte Devisen in die Bundesrepublik.
Das Lager war bereits Mitte der 90er Jahre abgerissen und nicht mehr als Fundamente und Ruinenreste vorhanden, sodass sich heutzutage überhaupt niemand mehr ein Bild von den tatsächlich herrschenden Zuständen machen kann- außer aus Schilderungen Betroffener wie ich.
Guten Morgen- ausgeschlafen, Ihr Nachtwächter? Jetzt, nach fast 30 Jahren wollt Ihr die Zustände in DDR-Haftanstalten „erforschen“? Das grenzt aber schon stark an Verhöhnung Betroffener, ist an Dummheit und Einfalt nicht zu übertreffen und ganz sicher nur das Gewissen besänftigen sollender Aktionismus.
Gerechtigkeit herstellen geht ganz anders. Nämlich, indem die dann aus der Haft in die BRD freigekauften DDR-Regimegegner ihre einst zugesicherte Rente nach Fremdrentenrecht bekommen und nicht darum betrogen werden, was bei nicht wenigen Betroffenen zu einem Rentenniveau von Hartz IV führt. Das betrifft immerhin- alle DDR-Flüchtlinge zusammen- ca. 300.000 Betroffene.
17. Januar 2014 um 17:56
Klaus Dörfert
Es ist noch Geld im Opfertopf daher noch eine Studie und noch eine Kommission. Obwohl die Fakten mehr wie bekannt sind, ich kann nur allen Opfern raten, über diese Rente würde ich mich nicht unterhalten, denn es ist nur eine Verarsche. Denn für die 250,- € im Monat, die nach Nasenspitze verteilt wird, fasst keiner der Kommissionsmitglieder als Stundenlohn einen Kugelschreiber an. Denn einige, die heute eine Opferrente bekommen, sind deshalb so ruhig, da Ihnen die Republikflucht nur zur Strafvereitelung gedient hat. Aber man kennt sie nicht nur, sondern man riecht sie.
17. Januar 2014 um 16:47
Bruni Grabow
Die „Haftbedingungen“ u.a. auch in DDR-Zuchthäusern und JWH sind es, die seit dem 10.August 1955 in Folge eines Gesetzes für das „schädigende Ereignis“ gemäß § 4 HHG und später ab 1992 im § 21 StrRehaG sowie § 3 VwRehaG als „Vollbeweis“ von SED-Opfern zu beweisen sind. (weitere Bestimmungen im alten BundesvertriebenenG)
Die Landesbeauftragten der neuen Bundesländer haben seit ca. 1992, teilweise auch ab 1994 ihre Arbeit aufgenommen und in jedem einzelnen Jahresbericht bis aktuell 2013 sind die Haftbedingungen durch Zeitzeugen beschrieben, und auch wie schwierig es ist, die Beweisführung zu stemmen. Ausser dem Land Brandenburg haben ebenfalls alle – insbesondere Berlin und Sachsen-Anhalt- in ihren kleinen Broschüren (Schriftenreihen) besonders die Haftbedingungen im Zuge der Zwangsarbeit eingehend aus fast allen JVA und JWH beschrieben. Ob es um unmenschliche Bedingungen in Rüdersdorf, in Halle, Hoheneck und andere Zuchthäuser und ausgelagerte Arbeitslager ging, wurde bereits durch Studien und Projekte festgehalten. Andere Institutionen, wie die Gedenkstätten, BStU und vor allem das Bürgerbüro Berlin haben Studien veröffentlicht, indem eine große Anzahl von Arbeitseinsatzbetrieben bei den Hafteinrichtungen und Jugendhäusern mit Angabe von Orten, Einrichtungen, Betrieben, Produkten sogar die Zeiten und deren unmenschlichen Bedingungen nachzulesen sind. Zusätzlich gibt es in Eigenveröffentlichungen z.B. vom Zuchthaus Brandenburg ein Buch, dass die dortigen Haftbedingungen beschreiben. Ich zähle in meinem Büro über 150 Bücher, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Das sich nun die Politik damit endlich befassen möchte, ist ja lobenswert, dennoch sind diese Erkenntnisse längst erforscht. Roland Jahn denkt bereits über eine Schließung der BStU nach,(hat ja auch noch das zukünftige Haus der Demokratie) die SPD hat schon seit Jahren ein Schlußgesetz in ihrer politischen Schublade. Alle Parteien haben sich seit 25 Jahren nur oberflächlich mit diesem Thema beschäftigt, denn wer sich mit Zwangsarbeit beschäftigt, muß auch einen Zusammenhang zu den noch heute sehr schwierigen Anerkennungen zu Haft-und Verfolgungsschäden herstellen können und das gibt es bereits seit -wie oben beschrieben- 1955, also mehr als 25 Jahre. Mich überzeugt das alles nicht, solange keine wirklichen Anstrengungen von Seiten der Politik sichtbar werden. Erforschen heißt ja nicht entschädigen, erforschen kann ich solange, bis im Haushalt des Bundesfinanzministeriums nur noch ein paar Opfer zu entschädigen sind. Es sollte vielleicht von den Vereinen mal darüber nachgedacht werden, wie sie der SPD -Frau Gleicke- bei ihrer Sammlung nachhelfen werden kann. Ich stehe hierzu auch gerne zur Verfügung.
Zitat: „Gleicke bedauerte, das es „noch immer zu wenig systematisches Wissen über die Bedingungen im DDR-Strafvollzug“ gebe.“
Dem muß entschieden widersprochen werden!
Bruni Grabow
http://www.sed-opfer-hilfe.de
17. Januar 2014 um 11:57
Stefan Köhler
„Das stelle die ursprüngliche Forderung auf eine neue und
brisante Grundlage, um seitens der Stadt in eine beispielhafte Vorleistung zu gehen.“
Beispielhafte Vorleistung, der schnellsten für alle Betroffenen gefolgt werden müsste, wenn unsere Obrigkeit auch nur noch einen Funken Glaubwürdigkeit wiedergewinnen möchte.
Leider hat niemand von denen da oben „politische Haft aus politischen Gründen“ erdulden müssen. Wäre es anders, hätten sie sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten menschlicher benommen. Hoffen und Harren …, doch die Hoffnung stirbt zuletzt, spätestens mit dem Tode des letzten Betroffenen. Danach wird man weiterhin intensiv und kostenträchtig einschlägig forschen, um an den Verstorbenen, möglicherweise gegen sie, weiterhin ein gutes Geschäft zu machen.
Die Folterknechte der Opfer werden es den Forschern zu danken wissen. Das Erbe wird so ausgeschlachtet werden, wie einst Gold, Silber, Schätze und deren Besitzer bei der Erforschung unbekannter Welten. Cui bono? Früher wurden ganze Völker ausgerottet, heute trifft es die Wahrheit, weil sie dem aktuellen Zeitgeist unbequem ist. „Der bedrohte Friede“ ist schlimmer bedroht denn je.
17. Januar 2014 um 09:53
Angelika
Ist es nicht ein bisschen spät dafür? Die meisten sind doch schon verstorben.
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man das alles nicht gewusst hat. Diese Stasileute bei der BstU haben sicherlich über Jahre alles brisante Material verschwinden lassen.
Wenn die Transplantation damals schon an der Tagesordnung gewesen wäre, hätte man die Häftlinge auch noch ausgeschlachtet. Davon bin ich überzeugt.
18. Januar 2014 um 22:57
Stefan Köhler
Die Benachteiligung jeglicher Opfer, Kritiker und Widerständler gegenüber den Tätern war arglistiger Vorsatz von Beginn an. Das gilt für die Zeit vor 1945 wie die nach 1945 bis zur Wende. Klar zu erkennen war das schon Ende 1989, wenn man die Vorgänge aufmerksam und ohne Scheuklappen beobachtet hat.
Auch bei der Entschädigung der Opfer von Justizirrtümern, die es hierzulande haufenweise gibt, weil sie wie am Fließband produziert werden, spielt Deutschland innerhalb Europas eine sehr negative Rolle. Aktuelle Fälle bestätigen das fortlaufend. Doch der perverse Serienmörder soll schon seine Chance für eine weitere Serie bekommen, wenn man ihm eine günstige Prognose im Versuchsfeld ahnungsloser Öffentlichkeit bescheinigt.
Es gab sogar welche, die haben in Sachsen den eigenen Uhren- und Schmuckwarenladen mittels Einbruch ausgeraubt, um die Versicherungssumme zu kassieren. Sie wurden nach recht langer Zeit erwischt, saßen ein und wurden freigekauft. Die DDR hatte eine staatliche Versicherung, gegen die war offensichtlich jedes Mittel gerechtfertigt.