Stiftung Aufarbeitung beauftragt internationale Anwaltssozietät
E-Mail-Interview mit Dirk Lahrmann* ; die Fragen stellte Michaela Ellguth
Berlin, 20.10.2013/me – Im Jahre 2010 reichte die Lahrmann GbR bei der Stiftung Aufarbeitung einen Projektantrag zur Bewilligung von Fördergeldern ein. Forschungsthema: Wo ist unsere Stasi abgeblieben?
Bei der Antragsbearbeitung kam es nach Dirk Lahrmann zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten, was ihn veranlasste, Akteneinsicht in die Sitzungsprotokolle von Vorstand und Stiftungsrat zu beantragen. Am 7. August 2013 verurteilte das Verwaltungsgericht Berlin die bundeseigenen Stiftung zur Offenlegung der Sitzungsprotokolle.
Hier kann man das Urteil nachlesen: https://17juni1953.files.wordpress.com/2013/09/vg-urteil-07-08-2013.pdf
Michaela Ellguth war Prozessbeobachterin und befragte Dirk Lahrmann zu den neuesten Entwicklungen.
Ellguth: Die Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, Frau Dr. Kaminsky, hat im Auftrag des Vorstandes der Bundesstiftung die Beauftragung der international tätigen Anwaltssozietät Raue LLP unterschrieben, das erstinstanzliche Urteil anzufechten. Herr Lahrmann, haben sie damit gerechnet?
Nachträgliche Geheimhaltung verstößt gegen das Stiftungsgesetz
Lahrmann: Ich muss ehrlich zugeben, eigentlich nicht. In der ausführlichen Urteilsbegründung wurden alle Argumente der Stiftung zurückgewiesen. Die Stiftung ist Teil der öffentlichen Verwaltung, und deshalb kann eine Geheimhaltung nur auf der Grundlage vorhandener Gesetze oder Verwaltungsvorschriften erfolgen.
Auch der erst kurz vor der Verhandlung ergangene Beschluss von Vorstand und Stiftungsrat, alle Protokolle nachträglich einer Geheimhaltung zu unterstellen, verstößt gegen ihre eigene Satzung und das Stiftungsgesetz.
Noch eigenartiger ist das Argument der Stiftung, dass die Namen der Experten besonders schutzwürdig seien, weil sich diese sonst in Zukunft weigern könnten, ihr Expertenwissen der Stiftung zur Verfügung zu stellen. Da fragt man sich natürlich, welche fachliche Qualifikation besitzen diese Experten überhaupt, wenn sie auf die Geheimhaltung ihrer Namen bestehen?
Ellguth: Ich selbst konnte während der Verhandlung vor dem Berliner Verwaltungsgericht feststellen, dass die Prozessbevollmächtigten der Stiftung, der Justiziar Herr Dollase und der stellvertretende Geschäftsführer Dr. Grünbaum, einen recht hilflosen Eindruck machten und augenscheinlich nur über unzureichende Kenntnisse in Bezug auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) verfügten. Glauben Sie, Herr Lahrmann, dass die Stiftung deshalb professionelle und erfahrene Juristen beauftragte?
Verstoß gegen wichtigen Grundbaustein unserer Demokratie
Lahrmann: Auch von dieser Entscheidung der Stiftung bin ich überrascht. In der Vergangenheit traten die beiden Herren immer sehr selbstbewusst auf, aber wie man sieht, scheinen sie das Vertrauen der Geschäftsführerin Frau Dr. Kaminsky verloren zu haben. Vielleicht sucht die Stiftung auch nur einen bzw. zwei Sündenböcke für Fehler, die eigentlich der Vorstand zu verantworten hat. Augenscheinlich kann die Stiftung Aufarbeitung diese Niederlage nur schwer ertragen. Jemand, der andere seit 1998 belehrt, wie eine Demokratie funktioniert, verstößt selber gegen einen wichtigen Grundbaustein der Demokratie, die Transparenz der öffentlichen Verwaltung. Was mich zudem wundert ist, dass die Raue LLP sich in anderen Fällen erfolgreich für die Offenlegung von Akten eingesetzt hat. Ich will es mal so sagen: Eigentlich hätte ich diese Anwaltssozietät beauftragen müssen. Das ist irgendwie verkehrte Welt.
Ellguth: Sie sagen, die eigentlichen Verantwortlichen sind die Vorstandsmitglieder der Bundesstiftung. Können sie dies genauer erklären?
Erinnerungen an George Orwell´s „1984“
Lahrmann: Nun ja, die Stiftung Aufarbeitung legt in rechtlicher Hinsicht ein recht merkwürdiges Verhalten an den Tag. Immer wenn ich in der Vergangenheit meine Beschwerden äußerte, war niemand richtig zuständig. Die eigentlichen Entscheidungsträger und Verantwortlichen sind die Vorstandsmitglieder. Aber die sind für niemanden erreichbar. Man muss sich immer an die Stiftungsmitarbeiter wenden, und die haben praktisch keinerlei Entscheidungsbefugnisse. Selbst die Geschäftsführerin, Frau Dr. Kaminsky, ist nur Sachverwalterin des Vorstandes. So wird einem immer mitgeteilt, der Vorstand hätte dies oder jenes entschieden, aber erreichbar, ansprechbar ist kein einziges Vorstandsmitglied. Ich hatte es mehrfach versucht und immer antworteten die Stiftungsmitarbeiter, sie seien beauftragt, im Auftrage des Vorstandes zu antworten. Und auch deshalb mein Begehren auf Einsicht in die Sitzungsprotokolle. Ich möchte einmal mit meinen eigenen Augen eine Anweisung der Vorstandsmitglieder begutachten. Das Ganze erinnert mich an den „Großen Bruder“ in Georg Orwells Roman „1984“, wo auch niemand den Großen Bruder kannte und niemand so genau wusste, ob dieser überhaupt existiert, aber trotzdem alle seinen Befehlen folgten.
Ellguth: Aber die Stiftung Aufarbeitung unterliegt doch der Rechtsaufsicht durch den Beauftragten für Kultur und Medien BKM, den Kulturstaatsminister Bernd Neumann.
Lahrmann: Das mag ja theoretisch so sein, aber in der Praxis habe ich persönlich davon noch nichts bemerkt. Ganz im Gegenteil, hier scheint es interne Absprachen zu geben.
So läuft beim Kulturstaatsminister ein Parallelantrag auf Akteneinsicht. Dazu muss man wissen, dass die Stiftung Aufarbeitung eine Kopie von allen Sitzungsprotokollen an die vorgesetzte Dienstelle abzugeben hat. Ich kann gemäß Informationsfreiheitsgesetz auch Einsicht in die „Kopien“ der Sitzungsprotokolle verlangen. Nach Auskunft des Datenschutzbeauftragten muss jede Behörde eigenständig entscheiden, was sie mit ihren Unterlagen macht. Und das BKM hat seit August 2012 entschieden nichts zu entscheiden.
Da ich weder einen positiven noch negativen Bescheid erhalte, kann ich auch keine Klage einreichen. Auch so lässt sich das Recht des Bürgers auf Transparenz aushebeln.
Ellguth: Was glauben Sie, Herr Lahrmann, wird die Zukunft bringen?
Wie ehrlich ist eure geistig-moralische Wende?
Lahrmann: Die Hälfte der DDR-Diktaturopfer ist bereits verstorben. Man setzt wohl auf die natürliche Lösung. Meine Hoffnung besteht darin, dass sich vielleicht jüngere Leute, die selber nicht betroffen waren, beginnen, sich für das Thema zu interessieren. Ich denke da an die sogenannten „68er“, die 35 Jahre nach dem Beginn der Nazi-Herrschaft anfingen, Fragen zu stellen: Wie war es damals? Wie habt ihr euch in der Diktatur verhalten? Wie ehrlich ist eure geistig-moralische Wende? Von den eigentlichen Opfern erwarte ich nicht mehr viel, die meisten wollen ihre Ruhe haben, was irgendwie auch sehr verständlich ist, mich aber auch ein wenig traurig macht. Damit wären die Diktatur-Anhänger die Sieger der Geschichte.
Ellguth: Herr Lahrmann, vielen Dank.
* Dirk Lahrmann gewann kürzlich eine Klage gegen die Bundesstiftung Aufarbeitung vor dem Berliner Verwaltungsgericht. In erster Instanz bestätigte das Gericht dem Kläger, nach dem IFG Einsicht in die Akten der Stiftung zu Entscheidungsprozessen um seinen (abgelehnten) Förderantrag nehmen zu dürfen.Hier die ersten drei Beiträge zum Thema:
https://17juni1953.wordpress.com/2013/08/07/lehrstunde-in-sachen-demokratie/
https://17juni1953.wordpress.com/2013/09/18/ifg-recht-auf-akteneinsicht/
V.i.S.d.P.: Michaela Ellguth & Dirk Lahrmann, Berlin, c/o: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V.
12 Kommentare
15. Januar 2014 um 16:19
Dirk Lahrmann
Bezüglich der Kommentare zwischen Angelika und Frank möchte ich folgendes anmerken.
Ich warne alle Opfer davor, sich einen DDR-Anwalt zu nehmen. Die Gefahr ist viel zu groß, an die immer noch gut organisierten Stasi-Seilschaften zu geraten. Wir alle kennen Gregor Gysi, Manfred Stolpe und Lothar de Maizière, die alle beteuern, keine IM’s gewesen zu sein.
Besonders problematisch sind die Rechtsanwälte, die im letzten Jahr der DDR, also 1990 ihre Zulassung erhielten. Hierbei handelt es sich vor allem um hochbelastete DDR-Juristen, wie Stasi-Vernehmer, Richter, Staatsanwälte und Polizei-Kommissare, die selbst im öffentlichen Dienst der Neuen Länder niemals eine Anstellung erhalten hätten.
Erstaunlich auch, dass viele linientreue Diktatur-Anhänger nach 1990 ein Jurastudium aufnahmen, um quasi den „Klassenfeind“ mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.
Auch vor diesen sollten wir uns hüten. Denn für die sind wir immer noch Staatsfeinde, die vernichtet werden müssen.
10. Januar 2014 um 12:43
Frank Niedermüller
Zur Zuschrift von @Angelika vom 22.10.2013 (zum Interview mit Dirk Lahrmann):
Bitte den Klarnamen dieser Superanwältin!
Schon damit andere nicht die gleiche Erfahrung machen.
13. Januar 2014 um 14:12
Angelika
Zur Anfrage von Niedermüller; Zitat:“Bitte den Klarnamen dieser Superanwältin!“
http://de.wikipedia.org/wiki/Brigitta_K%C3%B6gler
22. Oktober 2013 um 10:21
Angelika
Die „Berufsaufarbeiter“ mit ihren stolzen Gehältern kümmern die Probleme nicht wirklich.
Ehrliche Hilfe für den kleinen ehemaligen Häftling und seine Probleme gibt es nicht.
Nur ein Beispiel, Eine hochgelobte Anwältin (Bundesverdienstkreuz), die angeblich etwas für Opfer tun könnte, verlangte für ein beratendes Telefongespräch 150 €. Sonst tat sie nichts. Der Prozess, welcher 10 Jahre geführt wurde, fand durch ihre Untätigkeit ein jähes Ende.
Immer geht es nur darum, auf Kosten der Opfer reich zu werden.
Solche Geschichten kann bestimmt hier jeder berichten.
Die Verbände sind zerstritten und in zwanzig Jahren sind wir auch alle nicht mehr da.
Dann kann man sich die DDR für die Geschichtsbücher zurecht lügen.
Ich persönlich habe nach den langen Jahren der Hoffnung resigniert.
Man schaue nur diesen Link an, da weiß man wohin der Zug fährt.:
http://www.ebay.de/itm/151111297326
24. Oktober 2013 um 20:53
Bruni Grabow
Hallo Kalinka,
Allein die Tatsache, dass rehabilitierte Verfolgte des SED-Unrechtsstaates ihre verbrieften Entschädigungsrechte sehr oft einklagen müssen, sie quasi in Klagen gedrängt werden und dadurch sich ihr gesundheitliches Befinden enorm verschlechtern kann, ist ein politischer Skandal.
Es ist auch nicht hinzunehmen, dass mit schwerem Geschütz gegen Hr.Lahrmann als SED-Verfolgter und aus den eigenen Reihen weitergeklagt werden soll, obwohl die Sachlage es nicht erfortdert und andererseits SED-Opfer sich Anwälte suchen müssen. Diese Praxis muß aufhören und sie muß den neuen Politikern künftig bewusst klar gemacht werden.
Bruni Grabow
http://www.sed-opfer-hilfe.de
28. Oktober 2013 um 18:40
Klaus Beyer
Liebe Angelika,
Deinen traurigen Zeilen kann man nur zustimmen. Nur vielleicht schaut auch mal HIER rein, hier kommt man noch mehr ins Nachdenken:
http://www.buchredaktion.de – DDR pur!
Klaus
22. Oktober 2013 um 09:57
Gustav
Liebe Kameraden,
danke für das Interview, bei dem ich manchmal grinsen mußte, obwohl der
Gegenstand eine ernste Angelegenheit ist…
„Niemand ist zuständig…“ – genauso ist es, und um 15:00, 16:00 ist Feierabend bei dieser Art Aufarbeitern…
So ungefähr ist es auch bei der VOS und anderswo.
So bestellte ich bei der VOS zwei Bücher zum Wiederverkauf und rief eben an.Da nimmt einer den Hörer ab:
„Hugo Diederich ist auf Reisen, und ich weiß nicht, wo die Bücher sich befinden, wie ich an sie herankomme.“
„Det is ja wie inne Ostzone, wo ick mal inne Märkische Öl- und Majarinewerke Wittenberje injesetzt war und een Buch ausleihen wollte. De Kollejin, die dafür zuständich war, war akrankt oda in Urlaub und nischt lief. Da konnta ick ma nach Feiaabend inne Baracke de Wand ankieken…“.
Das ist typisch deutsch!
gustav-rust@t-online.de
21. Oktober 2013 um 10:04
Klaus Dörfert
Liebe KameradenINNEN
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Demokratie von diesem verfaultem EX-DDR-System total unterwandert ist. Es ist nicht mehr die Rede davon, was haben die deutschen Patrioten in der deutschen EX-DDR (Diktatur) für die friedliche Revolution getan, sondern wie viel DDR passt in die Bundesrepublik, mit ihren Strukturen und politischen Kadern.
Mit kameradschaftlichem Gruß
Klaus Dörfert
21. Oktober 2013 um 07:40
M. Sachse
Bereits der 2007 im Kontext von Recherchen zum Demokratischen Aufbruch (in dem Frau Dr. Merkel Pressesprecherin war) ungeklärt verstorbene Rudolf R. Schröder kritisierte zu Recht den Umgang der Bundesrepublik und auch der Stiftung zur Aufarbeitung mit politisch Verfolgten der DDR und sprach von einer „biologischen Lösung“. Dieser Zynismus besteht bis heute. Eine wirkliche Aufarbeitung hat nie stattgefunden und wird von der Aufarbeitungsindustrie mit aller Macht verhindert. Den Optimismus von Herrn Lahrmann, dass sich hoffentlich mehr junge Leute für das Thema interessieren, kann man unterstützen – ich sehe dafür aber keine Anzeichen. Für mich ist der Umgange mit Verfolgten der DDR und ihre Verhöhnung gepaart mit einer perfiden Nicht-Aufarbeitung eine große Schande. Nur eine Sammelklage gegen die Bundesrepublik und ihre Nichtaufarbeitungsinstitutionen und damit verbundene schwere Menschenrechtsverletzungen könnte hier ein Zeichen setzen. Wo aber sind die vielen Anwälte, die jedem Wirtschaftsflüchtling zur Seite stehen, die sich um diesen Job reißen?!
21. Oktober 2013 um 16:18
Dirk Lahrmann
Hallo Martin, danke für Dein Interesse.
Wie der seit 20 Jahren perfekt durchorganisierten Aufarbeitungs-Industrie beikommen?
Dein Vorschlag einer Sammelklage ist nicht durchführbar. In Deutschland und in der EU sind Sammelklagen nicht zulässig. Diese gibt es nur in den USA. Und vielleicht hat jemand eine Idee wie man die Bundesrepublik dort verklagen kann.
Aber auch die von den Opfern des DDR-Terrorregimes eingebrachten Petitionen scheitern regelmäßig. Denn der Bundestag verlässt sich ausschließlich auf die Experten-Gutachten aus der Aufarbeitungs-Industrie. Und die attestieren sich selbst, prima gearbeitet zu haben.
Wir werden weiterhin von den SED- und Stasi-Seilschaften zersetzt, so als ob es nie eine Wende gegeben hätte. Diesmal allerdings mit freundlicher Unterstützung vom BfV, BND und wohl noch anderen dienstbaren Diensten.
21. Oktober 2013 um 20:26
Bruni Grabow
SED-Opfer gegen internationale Anwaltssozietät?
Haben wir uns so geirrt? Hier muß ich ganz tief Luft holen, ein Skandal und eklatanter Widerspruch, der nicht ungehört bleiben darf. Eigentlich ist es eher peinlich, aus den eigenen Reihen diese Situation erleben zu müssen. Entgegen des Inhalts eines Gesetzes (DatenschutzG) zu versuchen, von Seiten der Stiftung-Aufarbeitung, Stärke aufzubauen, ist schon zu einem politischen Faktum geworden. Sofern die Bundesregierung sich gefunden hat, wird es hoffentlich von vielen Seiten aus den Opferverbänden Protest hageln. Sollte das nicht der Fall werden, ist der Widerspruch im Sinne unserer aller ehrenamtlichen Arbeit für SED-Opfer umso größer, und wir alle haben dann ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Bruni Grabow http://www.sed-opfer-hilfe.de
ehrenamtliche Beraterin für SED-Opfer
22. Oktober 2013 um 07:38
Dirk Lahrmann
Hallo Frau Grabow. Leider sind die meisten Opferverbände nur an unserer „Vertröstung“ interessiert, als an einer wirksamen Interessenvertretung. Im vorauseilenden Gehorsam folgen auch sie den Wünschen der Politik. Und diese wünscht den „sozialen“ Frieden, zu Lasten und auf Kosten der DDR-Diktatur-Opfer. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.