Kommentar von Edith Fiedler
Berlin, 5.10.2013/ef – Bitte, bitte, kneife mich jemand! Wo war ich, wo waren acht- bis zehntausend Frauen aus politischen Gründen denn eigentlich eingesperrt? Kaum zu glauben, was in den beiden Beiträgen: „Orden für Wunsch-Kinder“ und „Glückwunsch, Frau Stötzer“ zu lesen war. Ich bekam in Hoheneck keine Erdbeeren, sondern „Janata’s Gallendiät“ für RFler (Republikflüchtige). Ellen Thiemann berichtet über diese „Diät“ auch in ihrem Buch „Die Toten von Hoheneck“. Wie sah die reale Versorgung aus?
Frühstück: 10 gr. Butter, Marmelade, 2 Scheiben saures Schwarzbrot. Von diesen knabberte ich die Rinde ab und gönnte mir noch zwei Stück Zwieback und strich darauf etwas Marmelade. Dazu holte ich mir mit einem Alutrinkbecher aus einem großen Thermobehälter eine dunkle Flüssigkeit, genannt „Muckefuck“, die sehr merkwürdig schmeckte, aber heiß und abgekocht war. Die Butter und die restliche Marmelade wurde von Mahlzeit zu Mahlzeit geschoben und gesammelt für die gemeinsame „Knasttorte“ am Sonntag.
Rezept: 4 Zwieback kurz in Muckefuck titschen und auf einen Teller legen. Darauf eine Schicht Marmelade, wieder und wieder schichtweise getitschten Zwieback und Marmelade. Im Alutrinkbecher etwas Schokolade und Butter, angeschrägt unter dem Heißwasserhahn haltend, schmelzen und gut verrühren. Die entstandene Creme rund um den Zwiebackturm mit einem kleinen Löffel mehrmals verstreichen. Fertig ist die „Knasttorte“.
Mittag: Wahlessen! Entweder nahm man es nicht an oder kippte es nach dem Probieren in den Abfallkübel. Der war immer sehr schnell voll und die Wachfrauen schimpften mit uns ob dieser „Vergeudung“. Einmal im Monat roch es zur Mittagszeit durch das ganze Haus nach „Hammel“. Die Einen schrieen: „Hii“ und die Anderen: „Hmm“. Ich gebe es zu, ich freute mich auf Hammelgulasch und zwei Portionen. Seither habe ich es nie wieder gegessen.
Abendbrot: 10 gr. Butter, 20 gr. fettige Leber- oder Mettwurst, auch Streich – oder Stinkerkäse, Brotrinde und 2 Scheiben Knäckebrot. Zwieback und Knäckebrot kaufte ich mir an der Kioskluke von den monatlich zugeteilten 15.00 M für Eigenbedarf.
Erinnerungen an SS und Gestapo
Im März 1977 bekam ich durch die erwähnte „Diät“ erhebliche gesundheitliche Probleme. Meine Gesichtsfarbe war gelblich und ich meldete mich zum Arztbesuch. 48 Stunden später wurde ich aus dem Arbeitsraum abgeführt und dem Assistenzarzt Hauptmann Dr. Lange vorgeführt. Da stand er da in seiner militärischen „Herrlichkeit“. Dunkle Uniform des Strafvollzuges, die gespreizten Beine in plustierischen Stiefelhosen und schwarzen, gewienerten Schaftstiefeln, schwarzer Gürtel und glänzendes Koppelschloss. Ängstliche Erinnerungen aus meinen Kindertagen krochen in mir hoch. Erinnerungen an SS und Gestapo, die immer wieder mal hinter meinen Eltern her waren. Eingeschüchtert von dem für mich abstoßenden Anblick bat ich höflich um Wurstaustausch. Er schaute mich verduzt an, stemmte seine Arme in die Seiten, lachte mich aus und fragte mich, ob ich glaubte, in einem FDGB-Heim zu sein und mir die Kost aussuchen zu können. Ich hatte doch nur an etwas Quark oder eine Scheibe Hartkäse gedacht und erntete nichts als Hohn und Beschimpfungen…
In die Haftakte trug er damals ein: „1 Reistag“ und zwischen zwei dick gekritzelten Balken: „Äußerst freches Benehmen, um Wurstaustausch zu erreichen. Wurde abgelehnt!“ Der verordnete Reistag ist nie bei mir angekommen.
So war das in Hoheneck im Jahr 1977.
Wenn Gabriele Stötzer andere Erinnerungen an Hoheneck hat, an einen sogenannten erleichterten Strafvollzug, muß sie sich fragen lassen, womit sie die bevorzugte Behandlung verdient hatte. Vielleicht fallen ihre Schilderungen auch unter die Rubrik „schriftstellerische Freiheiten“, sind gar Träume oder Wünsche, das Buch ein Kunstwerk?
Während meines Aufenthaltes vom Okt. 1976 bis Nov. 1977 habe ich nichts von einem „erleichterten Strafvollzug“, gar von Zuwendungen paradiesischer Früchte gehört oder gesehen. Hoheneck war nach meinen Kenntnissen ein Frauenzuchthaus für Langstraferinnen, Gewaltverbrecherinnen und politischen Häftlingen des MfS. Für diese blieben die geschilderten stötzerschen Zustände allenfalls Träume an eine Zeit „danach“.
Meine Erinnerungen decken sich eher mit denen vieler leidgeprüfter Frauen, die unter unmenschlichen Bedingungen in Hoheneck gedemütigt und entehrt wurden.
V.i.S.d.P.: Edith Fiedler, Berlin – Redaktion Hoheneck
3 Kommentare
7. Oktober 2013 um 09:40
Weber
Entnommen aus: „ÜBERLEBENDE
Der Preis war hoch
Gabriele Stötzer (gesch. Kachold) hat es überlebt: die Einschüchterung, die Willkür, das Zuchthaus, den Verrat. Und sie war und ist eine der beeindruckendsten Ost-KünstlerInnen.“
Tagsüber die Arbeit am Fließband, im Dreischichtsystem, wie vor zehn, 20, 30 Jahren. Arbeiten für VEB „Esda“: pro Schicht 650 Strumpfhosen in Einheits-Weiß, pro Monat 40 Mark Knastgeld, eintauschbar für Kaffeemarken, Brausepulver, Florena-Creme. Das Rattern der Nähmaschinen durch den Traum oder die Nachtgeschichten der Frauen in den Betten neben ihr: über die, die mit einer Klobürste vergewaltigt wurde; über die, die sich mit dem Hammer einen Nagel ins Hirn schlug; über die Geliebte, die ins kochende Wasser gestellt wurde; über das Burgfräulein vom Hügel nebenan, das den Fürsten betrog, eingemauert wurde und nun als Geist durch Hoheneck wandelte; über die gehäutete Dichterin, der eine Welle die Haare wegriss und die verreckte, weil niemand den Erstehilfe-Kasten öffnete. Geschichten, die das Schlimmste aufriefen, um den eigenen Horror erträglicher zu machen. „Ein Skelett, eine Traube, ein Vieh“ – war das der Zustand?
http://www.emma.de/index.php?id=gabriele_stoetzer_2009_6
7. Oktober 2013 um 08:13
Weber
Gabriele Stötzer, Erfurt
Verdienstkreuz am Bande
Gabriele Stötzer macht als Schriftstellerin und Künstlerin mit ihrem Werk eindringlich erfahrbar, was staatliche Unterdrückung, Bespitzelung und Gewalt für den Einzelnen bedeuten. Wegen ihres Protests gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann kam sie 1976 in die Haftanstalt Hoheneck. Trotz schwerer Repressalien beugte sie sich nicht dem SED-Regime. Am 4. Dezember 1989 gehörte sie zu den Ersten in der DDR, die die Besetzung einer Stasi-Verwaltung angestoßen und organisiert haben. Nach dem Fall der Mauer war sie Mitglied im Erfurter Bürgerkomitee zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und in der Erfurter Gruppe Frauen für Veränderung. Bis heute berichtet Gabriele Stötzer immer wieder als Zeitzeugin über das SED-Unrecht.
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Berichte/DE/Joachim-Gauck/2013/10/131004-Verdienstorden-Tag-deutsche-Einheit.html
7. Oktober 2013 um 05:02
Stefan Köhler
Die Betroffenen sollten in den politischen Haftanstalten vorsätzlich neben unzähligen Schikane- und Foltermaßnahmen auch durch Mangelernährung zermürbt und zerstört werden. Es kam dabei auf ein paar mehr oder weniger Tote oder auch dauerhaft schwer geschädigte „Klassenfeinde“ nicht an. Mancher verbrachte nach diesen Misshandlungen sein weiteres Leben im Rollstuhl.
Dennoch öffnet uns C. F. v. Weizäcker mit seinem Buch „Der bedrohte Friede“ die Augen dafür, um zu erkennen, warum es heute eben so ist, wie es ist. Es wird sich deshalb auch für ehemalige politische Häftlinge nichts bessern.