Anlass für eine Bilanz der Aufarbeitung der SED-Diktatur
Von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB*
Der Volksaufstand im Juni 1953 in der ehemaligen DDR zählt zu den herausragenden Ereignissen der deutschen Geschichte. Nahezu 1 Million Menschen demonstrierten an über 700 Orten in der DDR gegen die kommunistische Diktatur, für bessere Lebensbedingungen, freie Wahlen und die Einheit Deutschlands. Für die Ostdeutschen endete dieser Aufstand mit einer bitteren Niederlage, die nicht wenige mit Haft, jahrelanger Drangsalierung, Diskriminierung und der Verweigerung von Lebenschancen bezahlten, einige der Beteiligten sogar mit ihrem Leben. In den Geschichtsbüchern der DDR wurde der damalige Widerstand bewusst ideologisch fehlinterpretiert und im Alltagsleben der Bevölkerung verdrängt oder totgeschwiegen. In der Bundesrepublik wurde der 17. Juni zum nationalen Feiertag.
Wie kaum ein anderes Ereignis in der jüngsten deutschen Vergangenheit gibt der 17. Juni jährlich auch Anlass, Bilanz zu ziehen, ob es uns nach der wiedergewonnenen staatlichen Einheit gelungen ist, die unsägliche Hinterlassenschaft der SED-Herrschaft aufzuarbeiten. Ich bin mir ganz sicher, dass die Freude und die Genugtuung über die Zerschlagung dieser Diktatur in Ost und West eindeutig überwiegen. Ich weiß aber auch, dass einige Opfer, die aus politischen Gründen berufliche Nachteile oder sogar Haft erleiden mussten, heute mit einiger Bitterkeit und Enttäuschung fragen, ob sich ihr Widerstand gelohnt hat und ihr persönlicher Einsatz ausreichend gewürdigt wird. Deshalb liegt es mir am Herzen aufzuzeigen, dass wir auf dem Weg der Aufarbeitung der SED-Diktatur ein gutes Stück des Weges erfolgreich zurückgelegt haben.
Die strafrechtliche Bewältigung des SED-Unrechtes ist – als eine wesentliche Komponente der Aufarbeitung – heute weitestgehend abgeschlossen. Hier bestand von Anfang an Einigkeit darüber, dass schwere Menschenrechtsverletzungen nicht ungesühnt bleiben dürfen. Dieser Weg der Vergangenheitsbewältigung war von großen Teilen der Bevölkerung der DDR gefordert worden und entsprach dem Selbstverständnis, dass man nicht die Idee der Menschenrechte zur Grundlage des Staatswesens machen und gleichzeitig Menschen, die sie mit Füßen getreten haben, straflos lassen kann. Die Erwartungen der Opfer waren entsprechend hoch. In den Strafverfahren ist ihnen öffentlich wahrnehmbare Individualität verliehen worden. Die Schuldigen sind in der Regel benannt und nach dem Maßstab ihrer individuellen Schuld bestraft worden, ganz gleich an welcher Stelle der Hierarchie in der DDR sie gestanden haben. Die alle Formen des Systemunrechts erfassende Strafverfolgung hat auch dazu beigetragen, dass wir heute eine fundierte und umfassende Vorstellung davon haben, wie das Regime funktionierte und in welchem Ausmaß den Menschen in der DDR Unrecht widerfahren ist. Die Strafverfahren haben deutlich gemacht, dass für dieses Unrecht nicht abstrakte Systeme und Apparate, sondern Menschen verantwortlich sind und dass es auch für die Mächtigen keinen straffreien Raum gibt. In diesem Sinne hat die Strafjustiz nach meiner Einschätzung die ihr zugedachte Bewältigung des SED-Unrechts gut erfüllt.
Zur erfolgreichen Bilanz gehört auch, dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber mit den Rehabilitierungsgesetzen nach der Wiedervereinigung zügig Regelungen getroffen hat, um die Opfer der SED-Diktatur zu würdigen, zu rehabilitieren und ihnen auch materiell bei der Linderung der oft schwerwiegenden Folgen des erlittenen Unrechts zu helfen. Dabei war die schwierige Frage zu lösen, ob und wie über Jahrzehnte begangenes Systemunrecht wieder gutgemacht werden kann. Die Einigungsvertragspartner hatten sich gegen eine Generalrevision aller Entscheidungen von DDR-Behörden und Gerichten entschieden. Staatliche Wiedergutmachung wird danach in erster Linie denjenigen Opfern gewährt, die unter dem DDR-Regime in besonderem Maße Unrecht erlitten haben. Auf der Grundlage von Artikel 17 des Einigungsvertrages stellen das Strafrechtliche, das Verwaltungsrechtliche und das Berufliche Rehabilitierungsgesetz sicher, dass alle Personen rehabilitiert werden können, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme oder einer sonstigen rechtsstaats- und verfassungswidrigen Entscheidung in der DDR bzw. zuvor in der SBZ waren. Die Betroffenen haben dadurch die Möglichkeit erhalten, sich vom Makel persönlicher Diffamierung zu befreien und über die damit verbundenen Entschädigungsregelungen soziale Ausgleichsleistungen zu erhalten. Mehr als 1,5 Milliarden Euro haben Bund und Länder dafür seit 1992 zur Verfügung gestellt. Die Rehabilitierungsgesetze sind damit ein wichtiger Baustein bei der rechtsstaatlichen Aufarbeitung des von der SED-Diktatur begangenen Unrechts. Dieser Komplex der Bewältigung der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur hat auch über die Jahre hinweg kontinuierlich eine Fortschreibung zugunsten der Opfer der SED-Diktatur erfahren. Die 1992 und 1994 in Kraft getretenen Rehabilitierungsgesetze wurden mehrfach bis in die jüngste Vergangenheit geändert, um ihre Situation zu verbessern. Dazu gehört u. a. auch, dass der Deutsche Bundestag anlässlich des 52. Jahrestages des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 mit den Stimmen aus allen Fraktionen ein Gesetz zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes verabschiedet hat, wonach die nächsten Angehörigen auch der Opfer des 17. Juni 1953, die ohne Gewahrsamnahme oder Verurteilung bei der gewaltsamen Niederschlagung des Volksaufstandes ihr Leben verloren haben, in den Kreis derjenigen aufgenommen wurden, die Unterstützungsleistungen von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge erhalten. Und nicht zuletzt wurde im August 2007 mit der Einführung der sogenannten Opferrente die wirtschaftliche Situation der politischen Häftlinge als der am schwersten von Verfolgung betroffenen Gruppe verbessert. Heute beziehen über 47.000 ehemalige Häftlinge diese besondere Zuwendung, für die Bund und Länder bislang rund 700 Millionen Euro bereitgestellt haben.
Der 60. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 ist ein besonderer Anlass, an die Frauen und Männer zu erinnern, die damals und später mit ihrem Widerstand maßgeblich dazu beigetragen haben, den Sturz des SED-Regimes herbeizuführen und die Wiedervereinigung zu ermöglichen. Wir dürfen in der Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht nachlassen, auch wenn dabei bereits Beachtliches geleistet worden ist.
* Die Autorin ist Bundesministerin der Justiz
Anmerkung: Vorstehender Artikel ist ein Beitrag für unsere Schrift zum 60. Jahrestag des Volksaufstandes von 1953. Da unser Antrag auf Förderung aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt worden ist, wird unsere Schrift erst im Laufe dieses Jahres, also verzögert erscheinen. Daher bringen wir einige wichtige Beiträge bis zum 17. Juni an dieser Stelle gewissermaßen im Vorabdruck.
V.i.S.d.P. – © 2013: Die Autorin und Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785
5 Kommentare
14. Juni 2013 um 05:58
Stefan Köhler
MH bekommt natürlich auch die vererbbare NS-Opferrente von EH weiterhin. Würden aber SBZ/DDR-Opfer so konsequent für ihre Rechte kämpfen wie beispielsweise sexuelle Schattierungen, dann wäre bereits höchstrichterlich festgestellt worden, dass den Opfern und Widerständlern zusteht, was die „Antifaschisten“ mit Selbstverständlichkeit weiterhin und unantastbar bekommen.
Wir werden in unserem Lande eher erleben, dass Pädophile samt deren Straftaten und jene, die sich an Tieren vergreifen, als sexuelle Schattierung anerkannt werden, als dass Opfern der SBZ/DDR mehr als nur Diskriminierung zugestanden wird. Wir durchleiden rechtsstaatlich gesichertes Unrecht und rechtsstaatlich gesicherte Ungleichbehandlung, Willkür im Namen von Justitia. Das Grundgesetz wird dabei als ein Kochbuch mit Empfehlungen missbraucht, die man einhalten kann oder auch nicht, weil es auch andere Rezepte als in diesem Kochbuch gibt.
Man denke dabei an aktuelle haarstäubende Fälle und an jenen Fall, in dem man den Menschenfresser Meiwes wegen bürokratischer Unfäigkeit und mangelhafter Rechtsvorschriften nicht hinreichend bestrafen konnte. Deutschland macht sich mit solchen Fällen weltweit lächerlich und ist auf dem Wege zur Vollendung seiner Bananenrepublik.
13. Juni 2013 um 15:01
Jens Thiemke
Ein Witz, weder DDR-Symbole sind verboten noch wurden die Täter bestraft. Margot Honecker sitzt heute noch in Chile und ist sich ihrer Schuld nicht bewusst, obendrein kassiert sie eine fette Pension und darf ungestraft weiter gegen Deutschland hetzen. Und auch vergessen ist nicht, was Guido Westerwelle versprach vor der Wahl, einst zu lesen unter der Domain stasi-opfer-rente.de (die heute nicht mehr Exestiert). Er versprach eine jährliche Prüfung um Erhöhung der Opferrente für uns geqäulte des DDR-Regimes. Nichts habe ich vernommen in den letzten vier Jahren. Die werden schön abwarten bis wieder tausende verstorben sind. In 30 oder 50 Jahren wird dann eine Erhöhung kommen und auch die westlichen Firmen werden dann ein Fond bereitstellen für die Zwangsarbeiter. Dann ist es mal wieder schön billig, frei nach dem Motto „Geiz ist Geil“. Verlogenes Pack !
13. Juni 2013 um 11:30
Frank Auer
Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger behauptet, dass das Unrecht der damaligen SED-Diktatur weitgehend erfolgreich durch die Bundesregierung in Deutschlands aufgearbeitet worden ist. Betrachten wir diese These einmal genauer.
Hier sind zu einem die Gedenktage, die uns an die zweite dt. Diktatur erinnern. An Tagen wie der 17. Juni, 13. August, 03. Oktober oder den
09. November werden die einstigen Opfer durch die Medien zitiert, sind bei Kranzniederlegungen und Zeitzeugengesprächen anzutreffen oder im TV zu sehen. Aber im Rest des Jahres: Hin und wieder eine Einladung zu einem Zeitzeugengespräch oder ähnliches.
Der damalige Bundespräsident Wulff hat das bekannteste Frauenzuchthaus Hoheneck besucht. Hierdurch und durch div. Filme kamen diese schrecklichen Schicksale an die Öffentlichkeit. Aber: Ein nachhaltiges Gedenken, z. B. Gedenktag an alle Frauen und Männer, die in Zuchthäusern wie Hoheneck, Hohenschönhausen oder Bautzen zu unrecht eingesperrt und gequält worden sind, gibt es noch immer nicht.
Zahlreiche zu Unrecht Inhaftierte klären nach wie vor auf und veröffent- lichen Bücher. Obwohl sie dadurch immer wieder an die eigenen schrecklichen Erlebnisse erinnert werden. Hier ist u. a. Frau Ellen Thiemann zu nennen. Diese hat als eine der ersten Frauen überhaupt über die schrecklichen Schicksale und eigenen Erlebnisse berichtet. Mittlerweile hat diese Dame bereits drei Bücher („Stell dich mit den Schergen gut“; „Der Feind an meiner Seite“ und „Wo sind die Toten von Hoheneck“, 2013) veröffentlicht. Regelmäßig tritt sie als Zeitzeugin auf. Eigentlich muss so ein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz od. ähnlichen gewürdigt werden – aber bisher: Fehlanzeige!
V
Ein weiterer Aspekt – die strafrechtliche Bewältigung: Viele die im Auftrag der STASI gearbeitet haben, sitzen heute in hohen Positionen. Zahlreiche Linkspolitiker sind als IM`S enttarnt. Ein Arzt, der in den 70-ern u. a. für die Verabreichung von Psychopharmaka in Hoheneck verantwortlich gewesen ist (Janata) arbeitet auch heute noch als Allgemeinmediziner, obwohl er das Leben zahlreicher Frauen durch diese Verabreichung auf`s Spiel gesetzt hat. In Chemnitz praktiziert auch heute noch eine Naturheilpraktikerin, die als Psychologin unter dem Namen Major Gisela Glück, verh- Vorberg, in Hoheneck als IM („Franziska“) für die Verabreichung von Psychopharmaka, zuständig gewesen ist. Dies sind mit Sicherheit keine Einzelfälle!
Dann: Die Entschädigungen an ehemalige SED-Opfer sind bei weitem nicht so hoch, wie im Bericht dargestellt. Dagegen beziehen die Täter in ihrem Ruhestand eine schöne dicke Rente vom Staat und genießen das Leben.
Das Tragen von Symbolen, sowie das Verkaufen von Utensilien, die an das SED-Regime erinnern, ist weder verboten noch wird es unter Strafe gestellt.
Die o. g. Thesen lassen folgendes Fazit zu: Es ist kaum etwas unternommen worden, um an das Leid und Schicksal unzähliger Frauen und Männer zu erinnern oder dieses zu würdigen. Dagegen hat man viele einstige Täter längst rehabilitiert. Dies ist sehr bedauerlich. Hier muss noch viel für die Opfer getan werden!
13. Juni 2013 um 09:42
Bernd Stichler
„die strafrechtliche Bewältigung des SED-Unrechtes – als eine wesentliche Komponente der Aufarbeitung – heute weitestgehend abgeschlossen ist.“
Hier stellt sich mir nur die Frage, worauf …. diese Aussage beruht. … Kamerad Lahrmann hat es treffend formuliert …
13. Juni 2013 um 07:51
Stefan Köhler
Ich habe bisher nicht vernommen, dass ein einziger Giftmischer dieses Regimes angeklagt oder gar verurteilt worden ist, obwohl vielen inhaftierten Andersdenkenden die Giftgemische der Psychopharmaka heimlich ins Essen gemengt worden sind. Möglicherweise werden diese Giftmischer heute noch dringender benötig als damals. Sie sind noch tätig oder ruhen sich zufrieden in dicken Pensionen aus, gut versorgt durch unseren Rechtsstaat. Das ist auch gut so?
In einigen Rehabilitierungsverfahren wurden sogar Richter tätig, die schon in der DDR gegen Betroffene Recht beugten. Wenn es auch lange dauert, sie werden dafür zur Verantwortung gezogen werden, unverhofft, wenn sie sich ganz sicher fühlen. Die Gedächtnisse ihrer Opfer funktionieren noch bestens. Auch der korrupteste Zeitgeist kann sie nicht vor ihrer Strafe bewahren. „Quitt“ und die „Macht des Schicksals“ ereilen sie mit absoluter Sicherheit!