Von Friedemann von  Saucken

Bonn, 17.05.2013 – In diversen Organisationen und Vereinen der Verfolgten- und Opferverbände, die sich vor oder nach dem Zusammenbruch der DDR oder deren Selbstaufgabe gegründet hatten, tobt ein bizarrer Streit. Bizarr, weil man nicht vermuten möchte, dass sich in erster Linie aus politischen Vorgaben heraus gegründete Vereine tatsächlich mit christlichen Inhalten befassen oder sich gar über die Auslegung von Bibel-Texten in  die Haare geraten.

Protagonisten auf der einen  Seite sind Rainer Wagner, seines Zeichens Prediger und eigens als Prädikant von der Kirche in  der Pfalz eingesetzter Leiter der Stadtmission Neustadt und Carl-Wolfgang Holzapfel, einstiges Kirchenvorstandsmitglied in einer bayerischen Gemeinde und bis zu seiner Pensionierung Mitarbeiter in einer Kirchenverwaltung. Wagner, den das Internet-Lexikon WIKIPEDIA als „biblizistischen Pietisten und Kreationisten“ beschreibt, der „mit dieser Position konservativen evangelikalen Gruppen nahe steht“ und die 2006 auf der Frankfurter Buchmesse eingeführte Bibelübersetzung „Bibel in gerechter Sprache“ als „gotteslästerlich“ und vom „Satan aufgebrachte Irrlehre“ bezeichnet, ist nebenberuflich seit 2007 auch Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). Holzapfel ist seit 2002 ehrenamtlicher Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953 in Berlin.

Was treibt nun Funktionäre derartiger Verbände, sich öffentlich über die Auslegung von Bibeltexten zu fetzen? Die Antwort ist für einen Außenstehenden nicht leicht. Zunächst einmal standen Äußerungen von Wagner im  Raum, die für sich betrachtet, vorsichtig ausgedrückt, grob missverständlich waren und sind und wohl darum  auch von dem streitbaren Holzapfel durchaus verständlich aufgegriffen wurden. Wagner schrieb bereits 2006 über den islamischen  Allah als einen  „heidnischen Götzen“ und davon, dass die Bibel zeige, wer nicht zu Jesus gehöre: „Namenschrist, Jude, Heide oder Atheist, ist ein  Knecht Satans.“ Holzapfel räumt freimütig ein, Wagner noch 2007 gegen Kritik und sogar Ausschlussbemühungen durch die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) vehement verteidigt zu haben. Warum aber dann 2012 erneut Attacken gegen Wagner wegen  dieser Äußerungen, diesmal aber durch Holzapfel selbst?

Holzapfel: Wiederholungstäter

Eigene Formulierungen mit Bibelstellen vernebelt?

Eigene Formulierungen mit Bibelstellen vernebelt?

Der engagierte Menschenrechtler sah und sieht sich durch Wagner getäuscht. Er habe ihm die seinerzeitige, wenn  auch eigenwillige Bibel-Exegese abgenommen. Und er sei auch davon ausgegangen, daß sich Wagner künftig von missverständlichen Äußerungen fernhalten würde. Im vorigen Jahr sei er, Holzapfel, auf einen Beitrag von  Wagner im  Stadtmissionsbrief von Neustadt (November 2011) gestoßen, der ihm die Sprache verschlagen habe und in dem er einen „Wiederholungstäter Wagner“ erkannt haben will. Der Stadtmissionsleiter hatte erneut provokativ formuliert, diesmal gegen Moslems, Buddhisten und Hindus: „Aber auch sonst ist unser Land von Aberglauben und Heidentum verseucht.“ Wagner schildert das „öffentlich erkennbare Erstarken des Heidentums auch in unserer Region“ und findet im benachbarten Ort Lambrecht „mittlerweile ein hinduistisches Heiligtum, in dem die indischen Dämonen – Götzen – verehrt werden.“ Auch die Buddhisten, „eine Religion, deren Merkmal Geisterkult ist“, kämen „in Rhodt und anderen Orten“ zusammen. Am Schlimmsten für Wagner: „In  Neustadt entsteht direkt am Ortseingang eine Moschee für den Götzen Allah und seinen falschen Propheten Mohammed.“

Holzapfel hielt und hält derartige Äußerungen für unvereinbar mit der selbstverständlichen Achtung anderer Glaubensüberzeugungen und Religionen, aber in erster Linie auch unvereinbar mit den Repräsentationspflichten des Chefs eines Dachverbandes der Opfer von Willkür und Verfolgung durch eine Diktatur. Er griff diese Äußerungen auf und an und stellte sie in einen Kontext mit den Äußerungen Rainer Wagners von 2006.

Wagner: Biblische Grundlagen

Wagner wiederum wies in seiner Replik auf die biblischen Grundlagen seiner Äußerungen hin, die im Übrigen  durch die Religionsfreiheit gedeckt seien. Auch hätte die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe 2007 und 2012 bereits geprüft und hätte alle Verfahren eingestellt. Wagner hatte besonders seinen Text von 2006 mit Angaben von Bibelstellen untermauert, die ihm eine hohe Glaubwürdigkeit und Toleranz vermittelten oder – wenigstens –  vermitteln sollten.

Eine akribische Überprüfung, ein Vergleich der Wagnerschen Äußerungen mit den angegebenen Bibelstellen fällt allerdings eindeutig und zweifelsfrei zu Ungunsten des Prädikanten aus. Hier muß sich der UOKG-Vorsitzende tatsächlich vorhalten lassen, seine Äußerungen sehr freizügig selbst formuliert und die Bibelstellen offensichtlich als Nebelkerzen eingesetzt zu haben. Wohl im Vertrauen darauf, daß in  einem von „Aberglauben und Heidentum“ verseuchten Land (Wagner) niemand auf die Idee käme, Textvergleiche anzustellen und sich in die Bibel zu versenken. Bisher hatte Wagner damit offenbar Glück. Der Segen  seines Gottes  darf aber angesichts dieser Verfälschungen bezweifelt werden. Nachstehend sollen hier einige Texte Wagners und die von ihm angegebene Bibelstellen gegenübergestellt werden:

Wagner (Stadtmissionsbrief, November 2006): „ … Wer die Aussagen des Korans über Allah mit dem Gott der Bibel vergleicht erkennt, dass Allah nicht mit unserem Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, identisch ist. Allah ist ein (arabisch) heidnischer Götze. Götzen aber sind nicht real, sondern Phantasieprodukte. Es gibt den Allah des Islam nicht wirklich

(1.Kor 8,4).“

1. Kor. 8,4: So wissen wir nun von der Speise des Götzenopfers, daß ein Götze nichts in der Welt sei und daß kein andrer Gott sei als der eine.

Wagner (ebda.): „Allerdings stehen hinter diesem Phantasiegebilde die Mächte der Finsternis (1 Kor.10,20).“

1. Kor. 10,20:  Aber ich sage: Was die Heiden opfern, das opfern sie den Teufeln, und nicht Gott. Nun will ich nicht, daß ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt.

Wagner (ebda.): „Die Bibel zeigt, wer nicht zu Jesus gehört, Namenschrist, Jude, Heide oder Atheist, ist ein  Knecht Satans (Eph.2,2) und niemals heilig (2.Kor. 6,14).“

Eph. 2,2):in welchen ihr weiland gewandelt habt nach dem Lauf dieser Welt und nach dem Fürsten, der in der Luft herrscht, nämlich nach dem Geist, der zu dieser Zeit sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens, 

2. Kor. 6,14: Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen. Denn was hat die Gerechtigkeit zu schaffen mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis?

Besonders die von den Kritikern angegangenen Formulierungskünste des dem Deutschen Bibelbund führend zugehörigen Neustädter Stadtmissionsleiters über die Knechte Satans  lassen sich nicht mit den angeführten Texten  der Bibel untermauern. Die mir übermittelte aktuelle Stellungnahme, um die der amtierenden Pfarrer Michael K. zu den Wagnerschen  Äußerungen gebeten worden war, spricht da eine deutliche Sprache:

Religion kann zur Ideologie verkommen

„Religion – auch die christliche – kann … zur Ideologie verkommen; nämlich dann, wenn sie Theologie über das Leben stellt, wenn sie Absolutheit postuliert, Widersprüche leugnet und zu klaren Feindbildern tendiert. Dann ist Religion nicht länger heilsam und lebensfördernd; im Gegenteil. Herrn Wagners Umgang mit der Heiligen Schrift ist – sagen wir es vorsichtig – ziemlich problematisch. Mit wissenschaftlicher Theologie und seriöser Textarbeit hat das alles nicht zu tun.  Er reißt biblische Stellen aus ihren Kontext und historischen Zusammenhang heraus und sammelt sich, wie in einem Steinbruch, die Dinge zusammen, die ihm passen.

Mauern überspringen - kein leichtes Unterfangen Foto: LyrAg

Mauern überspringen – kein leichtes Unterfangen
Foto: LyrAg

Hochproblematisch wird diese Arbeitsweise dann, wenn er seine subjektiven Interpretationen und Zusammenstellungen benutzt, um andere Menschen abzuwerten und – wie er es hemmungslos tut – gar zu dämonisieren. Bibelinterpretationen müssen sich letztlich immer am Kern der Botschaft messen lassen. Herrn Wagners Interpretationen sind nicht nur extrem subjektiv und tendenziell ideologisch, sondern geraten in Widerspruch zu so elementaren biblischen Aussagen wie der Nächstenliebe, der Feindesliebe, dem Gebot kein falsch Zeugnis zu geben und der Mahnung Jesu, andere Menschen nicht zu diffamieren.

Selbst Jesus würde konsequenterweise in Wagners Konzeption aus Gottes Heil fallen. „Heilig heißt abgesondert vom Sündigen, Vergänglichen und Falschen.“ – so Wagner. Jesus hat aber gerade das Gegenteil dessen gepredigt und gelebt. Er hatte keine Kontaktängste gegenüber Aussätzigen, Zöllnern, Prostituierten, Menschen anderen Glaubens (Samariter). Was als unrein damals galt – z.B. blutflüssige Frauen – davon hat er sich berühren lassen.  In Herrn Wagners Interpretationen kommen Lieblosigkeit, Selbstgerechtigkeit  und Überheblichkeit zum Ausdruck.“

Pfarrer K. räumt ein, dass dies sehr hart klinge, er sei aber um eine ehrliche Stellungnahme, die seine persönliche Meinung sei, gebeten worden. Michael K. fährt fort:

„Es entsteht der Eindruck, dass hier begründet werden soll, dass Christen „etwas besseres“ sind als die Anderen. Der Glaube besteht dann nicht mehr darin, in der Nachfolge Jesu für das Heil der Welt zu wirken, sondern vor allem sich selbst das Heil (in Abgrenzung zu den „Verlorenen“) zu sichern.

Theologisch unseriös und politisch brisant

Nun zu seiner Position zum Islam. Grundsätzlich ist zu sagen, dass jede Religion in einer freien Gesellschaft sich gefallen lassen muss, kritisiert zu werden. Auch Christentum, auch Islam. Doch ebenso ist jede Religion, sofern sie die rechtlichen Rahmen einhält, in einer freien Gesellschaft geschützt. In der Bibel können sich keine direkten Aussagen zum Islam finden, da diese Religion erst deutlich später nach Abschluss des biblischen Kanons entstand. Der Begriff „Allah“ wird in der westlichen Welt als Eigenname des monotheistischen Gottes im Islam verstanden. Korrekt ist, dass Allah die arabische Bezeichnung für Gott ist. Dieser Begriff Allah wird seinerseits auch von arabisch sprechenden Juden und Christen verwendet und findet sich wohl auch in arabischen Bibelübersetzungen.

Unbestritten existieren gravierende Unterschiede zwischen dem muslimischen und christlichen Verständnis von Glauben, auch von den jeweiligen Ansichten über Gott. Deswegen der jeweils anderen Seite „Götzendienst“ vorzuwerfen, ist eine billige und durchschaubare Provokation, die, nebenbei gesagt, ein respektvolles Gespräch miteinander unmöglich macht.“

Pfarrer K. weist in seiner Stellungnahme dann  darauf hin, das „Gespräche miteinander in einer freien, offenen Gesellschaft“ die Vorraussetzung dafür sei, „um  konstruktiv miteinander zu leben.“ Deshalb habe die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in ihrer Verfassung die Förderung des christlich-jüdischen Gesprächs aufgenommen und erinnere „an die „Mitschuld der Kirche an Ausgrenzung und Vernichtung jüdischen Lebens“ (Art.8). Die Kirche setze sich deshalb „für die Versöhnung mit dem jüdischen Volk ein und tritt jeder Form des Antisemitismus und Antijudaismus entgegen.“ In  Artikel 9 beschreibt sie die Suche nach dem Dialog mit anderen Religionen, um  in  Artikel 10 die „Wahrung der Menschenwürde, die Achtung der Menschenrechte“ und „ein von Gleichberechtigung bestimmtes Zusammenleben der Menschen“ zu postulieren. Sie, die Kirche, „wendet sich gegen alle Formen von Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit.“

Die neue Botschaft: Begegnung statt Ausgrenzung - Foto: LyrAg

Die neue Botschaft: Begegnung statt Ausgrenzung –
Foto: LyrAg

„Herrn Wagners Thesen sind natürlich seine Privatsache und von der Meinungsfreiheit unserer Verfassung geschützt,“ schreibt Pfarrer K. weiter, aber: „Sie sind theologisch unseriös und politisch durchaus brisant.“ Der Theologe begründet seine Meinung:
“Der Terror Stalins, Maos und Pol Pots hat auch Menschen getroffen, die sich zu ihrer Religion bekannt haben. Opfer des Terrors waren nicht allein Christen, sondern ebenso Juden, Buddhisten, Muslime, Schamanen. Und noch viele Angehörige anderer Religionen. Ob jemand, der Angehörige von Stalins Opfergruppen abwertet, geeignet ist, eine zentrale Rolle in der Gedenkkultur zu spielen, ist eine offene Frage.“ Verbandsintern ginge ihn das natürlich auch nichts an, weil das „die entsprechende Organisation für sich selbst klären“ müsse. Der an einer Kirche in  Sachsen tätige Pfarrer betont, daß die Religionsfreiheit ein  „sehr, sehr hohes Gut“ sei: „Ich darf mich zu einer Religion bekennen, diese Religion leben, wie es meinem Gewissen entspricht. Ich darf aber ebenso auch keiner Religion angehören. Und ich darf wegen meines Glaubens nicht abgewertet und diskriminiert werden. Das war jedenfalls eines meiner Ziele, die ich innerhalb der Menschenrechtsbewegung der DDR verfolgt habe. Und dieses Engagement in der Opposition war für mich auch immer mit und durch meinen christlichen Glauben geprägt.“

Wagner hat selbst formuliert

Eine klare und offene Sprache im Geiste Luthers (und nur auf diese Offenheit, nicht auf Luthers Antisemitismus wird hier Bezug genommen) möchte man konstatieren. Im Ergebnis bleibt die Frage im  Raum, wie der Stadtmissionsleiter und vor allem der hier geforderte Vorsitzende der UOKG nach dem Vergleich mit den von ihm selbst angeführten Bibelstellen seine eigentümliche um nicht zu sagen  skandalöse Interpretation, nach denen – als ein  Beispiel – auch die Juden Knechte Satans seien, der Öffentlichkeit erklären will. Die Bibel jedenfalls gibt diese drastische Formulierung nicht her. Auch die Thesen über die „Erfindung“ Allahs und dessen „falschen Propheten“ lassen sich nicht biblisch belegen, zumal, wie Pfarrer K. denn auch richtig schreibt, der Islam nach der Formulierung der Heiligen Schrift entstand.

Mir scheint, Rainer Wagner hat hier ein  echtes Problem. Und mit ihm der Verein, dem er vorsteht. Aber auch die Öffentlichkeit, die sich bisher wohl eher auf die Ehrlichkeit der angeführten Bibelstellen verlassen hat, statt diese nachzulesen und ihm deshalb, wohl eher im vorauseilenden Gehorsam, Absolution erteilt hat. Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. hatte in seiner berühmten Islam-Rede in der Universität Regensburg aus einem Text zitiert und war darüber im Übermaß kritisiert worden. Wagner hat noch nicht einmal zitiert, er hat selbst formuliert und zur Verklärung biblische Stellen als Untermauerung angeführt, die einer Überprüfung nicht standhalten.

Holzapfel, konfrontiert mit den Ergebnissen der Auftragsarbeit, räumt denn auch zerknirscht ein, sich auf die von Wagner angegebenen Bibelstellen blauäugig verlassen und diese nicht hinterfragt geschweige denn verglichen zu haben. Bei aller Kritik habe er dem Gegenüber einfach nicht unterstellen wollen, dieser habe seinen eigenen Formulierungen mit Bibelstellen einen den Urheber verschleiernden Anstrich gegeben.

Das scheint nun keine Unterstellung mehr zu sein, sondern Fakt.

____________________________________________________________________

*) Der Autor lebt im Raum Bonn, ist Historiker und engagierter Kirchenmann im  Ruhestand.

V.i.S.d.P.: Friedemann von Saucken, > Redaktion Hohenecker Bote, Tel.: 030-30207785