Schwerin, 9.04.2013/cw – Am Rande einer Podiumsdiskussion in Schwerin kann es zu einer denkwürdigen Begegnung Hohenecker Frauen mit Nobelpreisträger Günter Grass. Die ehemaligen Hoheneckerinnen, einst Insassinnen des berüchtigten DDR-Frauenzuchthauses in Stollberg/Erzgebirge, waren in die Mecklenburgische Landeshauptstadt gereist, um anlässlich der Ausstellungseröffnung über die Frauen von Hoheneck die Veranstaltung der BStU-Außenstelle zu besuchen. Überraschend kamen trotz der parallel stattfindenden Lesung mit Günter Grass im benachbarten Staatstheater so viele Interessenten, dass zusätzliche Stühle in den überfüllten Veranstaltungssaal im Schweriner „Schleswig-Holstein-Haus“ herbeigeschafft werden mussten.
Vor Beginn der angesetzten Podiumsdiskussion nutzten vier ehemalige Frauen von Hoheneck die Gelegenheit, sich dem im Haus anwesenden Schriftsteller vorzustellen und an ihr Schicksal zu erinnern. Grass zeigte sich tief bewegt, hörte den Ausführungen aufmerksam zu und wünschte den Frauen für die Zukunft alles Gute.
In der anschließenden fast zweistündigen Podiumsdiskussion berichteten zwei Frauen dem atemlos zuhörenden Publikum über die erlittene DDR-Haft. Regina Labahn war von 1984 – 1986 inhaftiert. Man hatte den Eltern zuvor ihre drei Kinder weggenommen und diese in Heimen untergebracht. Labahn erzählte von den Qualen, die Eltern und Kinder zusätzlich durch die Zwangstrennung durchleiden mussten. Erst nach dem Mauerfall gelang es, die Familie wieder zusammenzuführen. Die bewegten

Noch heute Schikanen alter Kader beim Kampf um ihr Grundstück auf Usedom ausgesetzt: Das Ehepaar Labahn nutzte die Gelegenheit, ihr Anliegen im Ministerium vorzutragen. – Foto: LyrAg
Schilderungen wurden trotz der Dramatik durch den unverkennbaren norddeutschen Dialekt der aus Usedom stammenden Frau und ihrem auch heute noch unüberhörbaren Humor für die Zuhörer erträglich vermittelt.
Tatjana Sterneberg, von 1974 – 1976 in Hoheneck, sprach von ihren vergeblichen Bemühungen, zu ihrem Verlobten Antonio nach Westberlin zu ziehen. Sie hatte den bei Kempinski arbeitenden Italiener während ihrer Tätigkeit im Hotel Stadt Berlin (heute ParkInn am Alexanderplatz) kennengelernt und sich in ihn verliebt. Als ihre Ausreiseanträge abgelehnt wurden, sann sie auf Flucht, wurde von einem Kollegen verraten und schließlich ebenso wie Antonio verhaftet. Auf fast vier Jahre Haft für sie und fünf Jahre für Antonio lautete das folgende Urteil. Antonio starb 2006 an den mittelbaren Folgen der Haft. Sterneberg engagiert sich seither in der Beratung von Verfolgten und Forschungsprojekten in der Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Dagmar Hovestädt, Pressesprecherin der BStU Berlin, verstand es geschickt, das Gespräch durch eine sachorientierte und sehr menschliche Moderation durch die naheliegenden emotionalen Klippen zu steuern.

Auf dem Podium in Schwerin: Regina Labahn, Dagmar Hovestädt u. Tatjana Sterneberg (von li.). – Foto: LyrAg
Unter den Zuhörern waren neben Mitgliedern der örtlichen Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) und dem Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen auch die UOKG vertreten.
Die von Dirk von Nayhauss (Fotos) und Maggie Riepl (Texte) gestaltete Ausstellung der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin „Das Frauengefängnis Hoheneck – 25 Portraits ehemaliger politischer Häftlinge“ ist bis einschließlich 27. Mai in der BStU-Außenstelle in Görslow bei Schwerin während der üblichen Öffnungszeiten und an den Wochenenden zu sehen.

Auch Pfarrer und Bürgerrechtler Heiko Lietz, hier im Gespräch mit T. Sterneberg, war unter den interessierten Zuhörern. – Foto: LyrAg
V.i.S.d.P.:Redaktion „Hohenecker Bote“, Tel.: 030-30207785
5 Kommentare
19. April 2013 um 23:19
Stefan Köhler
„“Die Aussagen “gute Stasi, gute Nazis” gibt es nicht.““
Das stimmt zwar verbal, aber es offenbart eine Schwarz-Weiß-Sicht? Kollektivschuld? Alle Deutschen sind schuldig, selbst jene die sich widersetzt haben?
Welches Prädikat erhält denn dann der Hitlerattentäter Stauffenberg? Er war in der NSDAP. Günther Grass war Jungendlicher.
Die „Schwenkhähne“ der letzten deutschen Diktatur reklamieren für sich das Recht auf Anpassung. In die politischen Zuchthäuser der SBZ/DDR hat es keiner dieser Schwenkhähne jemals geschafft. Darüber sollte tief nachgedacht werden.
19. April 2013 um 12:37
Bruni Grabow
Hallo Admin,
zu 1. Es stimmt, die Hoheneckerinnen haben nicht eingeladen, hier hatte ich mich geiirt. Für mich bleibt es trotzdem dasselbe, ob man LINKE oder Rechte einlädt oder zufällig trifft und sich damit abgibt, hat für mich so ein Geschmäckle.
zu 2. ich habe nichts bezeichnend behauptet, was Admin wiedergibt. Jeder kann sich seine Meinung selber bilden, schaut man sich die gesamte Vita an.
15. April 2013 um 10:12
Stefan Köhler
Was gesagt werden muss!? Hoffen wir, dass nun gesagt werden wird, was hierzulande seit 1990 niemand mehr hören möchte, es ist höchste Zeit dafür. Die Opfer der Diktatur nach 1945 bekommen möglicherweise so eine nicht überhörbare Stimme.
18. April 2013 um 10:34
Bruni Grabow
Ausgerechnet Günter Grass vom „Verein der Hoheneckerinnen“ einzuladen hat so ein ein „Geschmäckle“. Ich bin darüber zutiefst enttäuscht. Was von SED-Opfern gegen die LINKEN gilt, gilt erstrecht gegen die RECHTEN. Die Aussagen „gute Stasi, gute Nazis“ gibt es nicht. Anscheinend glauben viele immer nur das, was sie gerne glauben möchten.
18. April 2013 um 19:31
Vereinigung (AK) 17juni1953 e.V.
1.Hier irrt Bruni Grabow. Günter Grass ist n i c h t vom „Verein der (ehem.) Hoheneckerinnen“ eingeladen worden. Vier anwesende ehemalige Hoheneckerinnen nutzten die Gelegenheit, den Nobelpreisträger auf das Schicksal der Frauen von Hoheneck aufmerksam zu machen.
2. Grass als „Rechten“ zu bezeichnen, erscheint zumindest gewagt. Wer seine Vita kennt, kennt auch sein Blechtrommeln für die SPD aus den vergangenen Jahrzehnten. Im Übrigen scheint diese „Diskussion“ (der Einstufung von Grass) ebenso verquer, wie weiland die Schlagzeilen der britischen Presse nach der Wahl von Ratzinger zum Pabst: „Hitlerjunge Ratzinger auf dem Stuhl Petri.“ Dümmer gings nimmer.
Admin.