Berlin, 30.11./1.12.2012/cw – Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag hatte infolge der am 16.11. d.J. der Öffentlichkeit präsentierten Untersuchungsergebnisse zur Ausnutzung der Zwangsarbeit in der DDR durch das schwedische Möbelhaus IKEA zu einer Anhörung in den Bundestag (Paul-Löbe-Haus) eingeladen. Zahlreiche Vertreter der Verfolgten-Organisationen der SED-DDR-Diktatur waren aus der Ferne angereist, um dieser „längst überfälligen Anhörung“ (MdB Kurth) beizuwohnen.
Als Sachverständige waren eingeladen: Hugo Diederich, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS); Dr. Steffen Alisch, Forschungsverbund SED-Staat an der FU; Roland Jahn, Leiter der BStU; Dr. Anna Kaminsky, Bundesstiftung Aufarbeitung; Günter Saathoff, Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft; Dr. Karin Schmidt, Juristin aus Rostock und Dr. Christian Sachse, wiss. Mitarbeiter der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG).
Burkhardt Müller-Sönksen, Medienpoliti- scher Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, begrüßte die Teilnehmer und zeigte sich über das große Interesse sehr erfreut. Die FDP habe sich spontan zu dieser Anhörung entschlossen, nachdem IKEA immerhin als bisher einzige Firma eine Mitverantwortung für die Ausnutzung der Zwangsarbeit in den Zuchthäusern der DDR eingeräumt habe. Dies sei ein Anfang, aber noch lange kein Ende: „Die Täter haben einen Namen,“ betonte Müller-Sönksen und es sei an der Zeit, diese zu benennen.
FDP-MdB Patrick Kurth, Berichterstatter für die Aufarbeitung des SED-Unrechtes in der Bundestagsfraktion der Liberalen, erinnerte an die Anfrage des Abgeordneten Dr. Hennig von 1978 zur Zwangsarbeit. Der damaligen Bundesregierung sei die Antwort nur 28 Zeilen wert gewesen. Diese „frühe Anfrage“ zeige aber auch, daß das Thema „nicht erst heute“ aufgekommen sei. Gleichwohl sei die Zwangsarbeit in der DDR von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen oder verdrängt worden. Dem wolle die FDP aktiv entgegentreten.
VOS fordert direkte Wiedergutmachung
Hugo Diederich, als erster Redner der Sachverständigen und neben Roland Jahn als Sachverständiger einziger Betroffener des DDR-Unrechtes, sorgte zum Auftakt gewissermaßen für einen Paukenschlag, als er namens des größten Einzelverbandes der Verfolgten die Einrichtung eines „Zwangsarbeiterfonds“ forderte, aus dem die einst schamlos Ausgebeuteten finanzielle Wiedergutmachung erhalten sollten. Der VOS-Vorsitzende erinnerte daran, daß die VOS bereits 2005 an die seinerzeitige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in dieser Sache geschrieben habe und dabei von dem verstorbenen, von den Opfern unvergessenen Hermann Kreutzer unterstützt worden sei.
Steffen Alisch erinnerte an die anderen Großbetriebe, wie Quelle und Photo-Porst, die sich nachhaltig vor ihrer Verantwortung ggüb. der Zwangsarbeit durch die DDR gedrückt hätten. Zwar sei das Bekenntnis von IKEA ein Fortschritt, die vorgelegte Studie in ihrem öffentlich gemachten Teil „aber nichtssagend.“ Alisch unterstützte den VOS-Vorschlag ausdrücklich, weil es kaum möglich sei, eine individuelle Entschädigung nach dieser Zeit durchzusetzen.
BStU-Chef Roland Jahn merkte an, für ihn sei es schwierig, als „Experte“ aufzutreten, da das Thema noch zu wenig erforscht sei: „Uns fehlen die ausreichenden Kenntnisse.“ Die BStU habe IKEA rund 1.150 Seiten umfassende Akten zur Auswertung übergeben. Dennoch wären die vorgelegten Erkenntnisse nur ein „halber Schritt“. Jahn forderte IKEA auf, trotz der nachvollziehbaren Einschränkungen durch den Datenschutz der Öffentlichkeit den vollständigen Bericht vorzulegen: „Nur so sei eine Beurteilung möglich.“ Die Beteiligten ständen erst „am Anfang einer notwendigen Diskussion,“ betonte Jahn. Eine Pauschalisierung der Zwangsarbeit sei nicht möglich und nicht hilfreich.

Eine FDP-Troika leitete souverän die Anhörung (v.l.n.r.): Reiner Deutschmann, Patrick Kurth (Moderation), B. Müller-Sönksen
– Foto: LyrAg
Anna Kaminsky erinnerte an die besonders gravierende Fallhöhe für IKEA zwischen dem Image als familienfreundlicher, familienorientierter Konzern und dem Vorwurf, die Zwangsarbeit für den eigenen Profit ausgenutzt zu haben. Hier habe also zwingend Handlungsbedarf bestanden. IKEA habe immerhin in den achtziger Jahren bis zu zwanzig Prozent der Produktion in der DDR erstellen lassen. Hier stelle sich auch die Klärung der Frage, was die Politik wusste. Kaminsky schloss sich der Forderung von Steffen Alisch an, für die Betroffenen für den Bereich der Haftfolgeschäden die Beweislastumkehr einzuführen. Auch sei eine Erhöhung der derzeitigen monatlichen Entschädigung für erlittenen Haftzeiten unumgänglich.
Mangelhafte Begriffsklärung für Zwangsarbeit
Günter Saathoff machte die „mangelnde Zusammenarbeit linker und rechter Gehirnhälften“ für die notdürftige, weil mangelhafte Begriffsklärung für „Zwangsarbeit“ verantwortlich. Er erinnerte an die deutliche Diskrepanz zwischen der „tatsächlichen Zwangsarbeit“ im NS-Staat und der Arbeit in den Zuchthäusern der DDR, die „von Kriminellen gleichermaßen wie von politisch Verfolgten“ zu leisten gewesen sei. Saathoff mahnte eine wissenschaftlich zu erforschende Begriffsklärung an, ehe wir über „die hier vorgetragenen Inhalte“ sprechen könnten.
Karin Schmidt betonte, dass zweifelsfrei der wirtschaftliche Nutzen der Zwangsarbeit im Vordergrund stand und führte u.a. als Beweis das Fehlen einer leistungsgerechten Bezahlung für die erzwungene Arbeit an. Die Politik habe sich dieses Themas wohl auch deswegen entzogen, weil es „auf dem Papier“ keine Unterscheidungzwischen kriminellen und politischen Gefangenen gab.
Christian Sachse betonte seine Überzeugung, nach der „die gesamte Spitze von IKEA“ die Akten zur Zwangsarbeit gelesen habe. Er habe für die UOKG zwischen September und November des Jahres über eine Beteiligung des Möbel-Konzerns an einem Forschungsprojekt verhandelt und IKEA habe dies dankenswerterweise zugesagt. Erste Ergebnisse seien allerdings erst in etwa fünf Jahren zu erwarten, bis dahin müsse die Frage nach einer wie immer gearteten Entschädigung offen bleiben. Sachse erinnerte in seinen Ausführungen auch an die Veröffentlichung von Karl-Wilhelm Fricke im Jahr 1979 zur Zwangsarbeit. So habe auch die Reichsbahn von dieser Arbeitsform profitiert und es stelle sich die Frage, inwieweit die Deutsche Bahn als Rechtsnachfolger bereit sei, sich dieser Verantwortung zu stellen.
Auch Deutsche Bahn soll sich ihrer Verantwortung stellen
Eine Grauzone skizzierte Sachse nach Meinung von Beobachtern allerdings mit der detaillierten Anführung über Zwangsarbeiten von Jugendlichen. So seien von über vierzehnjährigen Jugendlichen Arbeiten bis zu 16 Stunden täglich erzwungen worden. Sachse ließ dabei außen vor, dass es diese Ausbeutung bis Ende der sechziger Jahre auch in der alten Bundesrepublik gegeben hatte, gewissermaßen ein gesamtdeutsches Vermächtnis. Der Sachverständige führte auch aus, dass es im Gegensatz zu späterer Praxis in den fünfziger Jahren sogar Tarife in den sogen. Jugendwerkhöfen gegeben habe. Anmerkung: Die gab es in der alten Bundesrepublik in vergleichbaren staatlichen oder kirchlichen Einrichtungen nie.

Sachverständig: Dr. Karin Schmidt, Rostock und Dr. Anna Kamisky, Stiftung SED-Unrecht (v.l.n.r.) –
Foto: LyrAg
In der anschließenden Diskussion, wegen der aktuellen Abstimmung im Bundestag zur Griechenland-Hilfe war die Anhörung kurzeitig unterbrochen, kamen auch übrige Teilnehmer zu Wort. So verwies Frau Rauschenbach vom Bundesarchiv über das Vorhandensein von rund zweihundert Akten zum Thema Arbeitseinsatz. Diese beträfen aber nur bestimmte Zeitschienen, seien also nicht vollständig.
UOKG: Entschädigungsforderungen – Was haben wir damit gewonnen?
Reiner Deutschmann, FDP/MdB, merkte an, die Politik sei nach dem Bewusstseinswandel bei IKEA zum Handeln gezwungen. Christian Sachse stellte kritisch die Forderungen nach Entschädigungen infrage: „Was haben wir damit gewonnen?“ und plädierte erneut für eine zunächst erforderliche ergebnisoffene Forschung, während Günter Saathoff appellierte, „Generalangriffe auf Einzelne“ zu vermeiden und sich für eine „kollektive Lösung“ aussprach, die auf freiwilliger Basis alle infrage kommenden Firmen einschließen sollte.
Burkhardt Müller-Sönksen merkte in seinem Schlusswort für die FDP-Fraktion an, nach der Erforschung der und entsprechenden Erkenntnissen über die Zwangsarbeit sei erst im zweiten oder dritten Schritt eine Entschädigung, möglicherweise über eine Stiftung zu erwarten.
Patrick Kurth dankte als souveräner Moderator für das „überraschend große Interesse“ an dieser Anhörung und versprach, „zeitnah eine Folgeveranstaltung“ durchzuführen, auf der auch die direkt Betroffenen zu Wort kommen sollten.
Am Rande der Veranstaltung war aus als zuverlässig geltender Quelle zu erfahren, dass seitens IKEAS für die geplante Erforschung der Zwangsarbeit Beträge in „Millionenhöhe im Raume“ ständen.
V.i.S.d.P.: Vereinigung (AK) 17. Juni 1953 e.V., Berlin, Tel.: 030-30207785
Siehe auch LINK (DIE WELT):
FDP:
981-Kurth-Mueller-Soenksen-DDR-Zwangsarbeit.pdf
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7 Kommentare
2. August 2017 um 15:17
gusru
Kamerad Jens Thiemke,
Dank für Deine Sätze, denen ich mich in vollem Umfang anschließe!
Unser Elend ist das Brot dieser Leute von der UOKG sowie der in ihren Diensten stehenden Historiker…
Kameradschaftliche Grüße, http://www.gustav-rust-berlin.de
31. Juli 2017 um 17:23
anhorung-im-bundestag-vos-fordert-zwangsarbeiterfonds/ | Titel der Website
[…] https://17juni1953.wordpress.com/2012/12/01/anhorung-im-bundestag-vos-fordert-zwangsarbeiterfonds/ […]
16. Dezember 2012 um 20:53
Paul Lobemöller
Auch in der Haftanstalt Brandenburg wurden politische Häftlinge
im „RAW“ der Reichsbahn zwangsbeschäftigt,zwischenzeitlich mußte das Gelände von Umweltgiften entsorgt werden.Es wird kaum darüber berichtet.
Die Deutsche Bahn AG als Nachfolger schweigt emsig.
7. Dezember 2012 um 15:02
AB:s kulturskribent om svenska företag i DDR och vad jag läser ut av tysk debatt om fångproduktion | Tankar om IB
[…] ett forskningsprojekt som ska drivas av offerföreningen UOKG. UOKG:s ordförande Christian Sachse uttalade sig på hearingen i förbundsdagen (den som AB refererar till) och konstaterar att frågan om ekonomiska […]
4. Dezember 2012 um 15:59
sabine drewitz
mit diesen herren möchte ich gern eine zeitreise unternehmen – mal sehen, wie es ihnen gefällt – zu schuften, unterdrückt und ausgebeutet zu werden
UND ICH REDE AUS ERFAHRUNG !!!!!
1. Dezember 2012 um 19:20
Thiemke,Jens
Aha, jetzt ist die Katze aus dem Sack. Die UOKG hat sich Millionen Euro von IKEA gesichert und wie man liest ist die UOKG seit September 2012 mit IKEA in Verhandlung gewesen. Und es ist jetzt auch ganz normal, das der Herr Sachse verhindern will, das es zu einer Entschädigung kommt. Und dann heisst es auch nicht mehr in 1 bis 2 Jahren sondern in 5 Jahren könnte es eine Entschädigung geben. Wieviele Opfer in 5 Jahren sterben, ist einem Herrn Sachse und einem Herrn Wagner von der UOKG ja völlig egal. Hauptsache diese Herren haben sich die Taschen gefüllt. So ein verlogenes Pack lässt die Opfer völlig im Stich um sich an den Opfern zu bereichern.
Wie sagte Sachse: Entschädigungsforderung „Was haben wir damit gewonnen“ ? ………….. ich glaube, die haben den Schuss nicht gehört von der UOKG. So eine Dreistigkeit, das ist Hochverrat an den Opfern, hier sind ganz viele schwer kriminelle Menschen unterwegs die über Leichen gehen 😦
Jens Thiemke
1. Dezember 2012 um 16:53
Bernd Stichler
„…UOKG: Entschädigungsforderungen – Was haben wir damit gewonnen? …“
Mich verwundert es absolut nicht, daß solche Töne gerade von der Wagner-UOKG kommen. Will sich die heutige UOKG nun ebenfalls an diesem schmutzigen Hinarbeiten auf die biologische Lösung beteiligen ?
Es leben noch soviel betroffene Zeitzeugen, daß ein vernünftiger Grund für langwierige “ Forschungen “ nicht erkennbar ist.
Weiterhin sollte man sich im vereinten Deutschland nun nicht mehr allein auf westliche Firmen wie IKEA u.s.w kozentrieren, sondern die Zwangsarbeit in ihrer Gesamtheit behandeln.