Berlin, 29.02.2012/cw – Der Titel untertreibt auf den ersten Blick, was tausende Frauen in diesem fürchterlichen Frauenzuchthaus der DDR durchlitten haben, findet dann aber im Vorwort seine Begründung: „Die Justizanstalt Bautzen ist bekannt. Doch dass es in der sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik auch ein Frauengefängnis mit ähnlich brutalen Zuständen gab, wissen – zumindest in den alten Bundesländern – die wenigsten.“
Dirk von Nayhauß (Fotos) und Maggie Riepl (Text) haben erstmals einen eindrucksvollen Band über Schicksale in diesen im Bewusstsein „dunklen Ort“ über der Großen Kreisstadt Stollberg im Erzgebirge vorgelegt. Die Autoren verzichten fast vollständig auf eigene Beurteilungen und lassen stattdessen 25 Frauen mit eigenen Aussagen, beeindruckenden Dokumenten aus der Haftzeit und in die tiefe gehenden Portrait-Fotos, vom exzellenten Profi Nayhauß abgelichtet, berichten. Bei tausenden Frauen, die diese Station im Stollberger Ortsteil Hoheneck zwangsweise durchlaufen und durchleben mussten, ein durchaus gewagtes Experiment. Der Besuch des Bundespräsidenten Christian Wulff am 13. Mai vergangenen Jahres hat die Protagonisten sicher beflügelt, auch die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die den Druck erst ermöglicht hat.
Zweifellos kam den Autoren die Zufälligkeit der Auswahl zugute, um sich möglicher Kritik über nicht erfasste Schicksale zu entziehen. Mit dem vorliegenden Band wird diese Klippe gut umschifft. Die Aufteilung in Zeitzonen, 1950 – 56; 1964 – 68; 1973 –79 und 1980 –89 berücksichtigt alle, im Einzelnen unterschiedlichen Perioden der politischen Verfolgung im Staat sozialistischer Beglückung durch eine, diesmal rote Partei.
Die Autoren beschränkten sich auf begleitende Texte, lassen überwiegend die Frauen selbst, das heißt mit eigenen Beiträgen zu Wort kommen. Zweifellos ein Gewinn, da auf diese Weise sehr lebendige, vor allem bewegende Einblicke in 25 Schicksale von Frauen vermittelt werden, die einen wichtigen Moment ihres Lebens von innen nach außen kehren, die Sicht auf durchaus intime Vorgänge zulassen.
Die Einführung verzichtet auf Überfrachtung durch die Aneinanderreihung historischer Fakten, beschränkt sich sensibel auf die Heranführung an die zugemutete Materie. Freilich geht das hin und wieder ärgerlich zu Lasten durchaus wichtiger Hinweise. So wird „eine Revolte 1953“ (Seite 11) mit anschließendem Hungerstreik ohne Verweis auf den Volksaufstand in diesem Jahr angeführt, der Freikauf von rund 35.000 politischen Gefangenen „für mehrere Milliarden D-Mark“ (Seite 14) hätte durchaus mit 3,1 Milliarden und dem Startjahr „ab 1963“ benannt werden dürfen. Doch ist diese Anmerkung eher dem geschichtsinteressierten Leser geschuldet, als wirklich ärgerlich.
Denn im Mittelpunkt stehen die Potraits. Hier ist dem Autorengespann ein beeindruckender Blick in eine verdrängte, von der Öffentlichkeit weithin ignorierte dunkle Wirklichkeit gelungen, die auch 23 Jahre nach dem Ende der Gewaltherrschaft denen lebendig ist, die diese nicht nur erdulden, sondern auch aufwühlend und lebensverändernd erleiden mussten.
Die grafische Trennung der Zeit-Kapitel unter großzügiger Seitenverwendung, einzig die Angabe des Zeitabschnittes (1950 – 56), lässt den Interessenten optisch innehalten, gestaltet die Brücke zum nachfolgenden Block zuweilen bedrückender weiterer Schicksale.
Anneliese Gabel (Seite 30), Jahrgang 1927, eröffnet mit ihrem Lebenslauf als eine der ältesten der noch lebenden Zeitzeuginnen den Schicksalskreis. Als SMT-Verurteilte (SMT – Sowjetisches Militär-Tribunal) steht sie auch nach dem Selbstverständnis des Frauenkreise der ehemaligen Hoheneckerinnen zu Recht an erster Stelle der personellen Dokumentation. Denn der Frauenkreis wurde zunächst von den SMT-Verurteilten gegründet. Dirk von Nayhauß hat diskret mit ihrem vordergründigen Lächeln gleichzeitig eine hintergründige Traurigkeit Gabels eingefangen, die nicht zu fassen scheint, was ihr angetan wurde.
Anita Goßler (Seite 38), Jahrgang 1933, schaut beklemmend am Leser vorbei und scheint sich in der Suche nach unwiederbringlichen Jahren in eine Leere hinterlassende Vergangenheit zu verlieren. Anita Goßler mußte, schlimm genug, ihre Tochter in der Haft entbinden, ehe ihr das Kind entrissen und an fremde Eltern ausgeliefert wurde. Erst nach dem Mauerfall kam es zu einer Begegnung, doch Mutter und Tochter hatten sich durch die Machenschaften eines unmenschlichen Systems entfremdet.
Anita Kutschkau (Seite 48), Jahrgang 1944, blickt eher trotzig-selbstbewusst in die Nayhauß-Linse, obwohl ihre Augen die Wahrheit über verdrängte Jahre vermitteln. Auch Anita Kutschkau verlor ihre Tochter durch den SED-Staat. Zwar durfte sie bis zur Entbindung in ihrer Wohnung verbleiben, musste danach allerdings ihr Baby abgeben und die Haft (wegen Republikflucht) antreten. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist seither belastet, die Tochter selbst hat durch das gemeinsam getrennt ertragende Schicksal schwere Schäden erlitten.
Tatjana Sterneberg (Seite 66), Jahrgang 1952. Das Portrait zeigt vordergründig eine moderne, auf den Betrachter direkt zugehende Frau. Die Augen blicken fragend, eher zögerlich, deuten aber die Bereitschaft an, sich auf einen Diskurs einzulassen. Tatjana Sterneberg war wegen ihrer Liebe zu einem Italiener aus West-Berlin zu fast vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Schon bei ihrem Ausreiseantrag hatte sie unangenehme Fragen gestellt, in der Haft bewusst Widerstand mit den Folgen von Arrest geleistet. Auch bei Sterneberg kann man im Gesicht manche verborgene Träne über die einer jungen Frau geraubten Jahre erkennen. Die Finanzbuchhalterin und Vorsitzende des Fördervereins Begegnungs- und Gedenkstätte Hoheneck, engagiert sich nach wie vor, hat sich nicht zerbrechen lassen.
Uta Franke (Seite 88), Jahrgang 1955. Den Interessenten blickt eine Frau an, die sich ihrer Leistungen bewusst ist und dennoch skeptisch zu fragen scheint, ob ihr Gegenüber der oder die ist, als die sie sich vorstellen. Auch Uta Franke hat ihre Enttäuschungen hinter sich, nachdem sie im September 1979 gezwungen wurde, in ein Auto der Stasi zu steigen. Wegen Verbreitung staatsfeindlicher Hetze (sie hatte mit Freunden in Leipzig Flugblätter gefertigt und verteilt) wird sie ausgerechnet am 17. Juni (1980) zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, im August 1981 freigekauft. Auch Uta Franke muss viele Jahre durch staatlichen Zwang auf ihre Tochter verzichten. Sie lebt heute als freiberufliche Publizistin in Berlin und verspürt „noch heute die Folgen ihrer Gefängnishaft“.
Petra Koch (Seite 92), Jahrgang 1960. Eine sportlich und leger wirkende Frau blickt den Betrachter an, doch eine Leichtigkeit des Seins lässt sich aus ihrem ernsten Gesicht nicht ablesen. Die damals zweiundzwanzigjährige Frau, die schon immer ihre Meinung frei artikulierte, wird 1982 in Tschechien bei einem Fluchtversuch verhaftet und, zurück in der DDR, zu zwei Jahren Haft verurteilt. Nach ihrem Freikauf 1983 kehrt sie erstmals 1990 nach Hoheneck zurück, gerät angesichts des Tores zur Haftanstalt in Panik. Trotz oder wegen ihrer Sensibilität gegenüber der eigenen bitteren Erfahrung hat sie sich ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte von Menschen in Ausnahmesituationen bewahrt. Sie arbeitet heute als freiberufliche Publizistin in der Schillerstadt Marbach.
Inge Naumann (Seite 104), Jahrgang 1953. Der scharfsinnige Beobachter Nayhauß hat mit der jetzigen Vorsitzenden des Frauenkreises einen Realismus portraitiert, der beeindruckend wie auch erschreckend ist. Was hat dieses Regime aus diesen ausgelieferten Menschen gemacht? Inge Naumann versucht tapfer zu lächeln, sich hinter einer modischen Frisur mit ihrer kaum verborgenen Lebensenttäuschung zu verstecken, allein die Sprache der Augen vermittelt einen tief verletzten, sich ausgeliefert fühlenden Menschen. Schon seit 1966 wird ihre Familie nach der Flucht ihres Bruders observiert. Ihr zweiter Bruder, der nach versuchter Republikflucht zu fünf Jahren Haft verurteilt wird, stirbt 1977 im unerreichbaren Westen, die Schwester darf nicht ans Totenbett. In den Jahren 1980 bis 1982 stellt sie mit ihrem zwischenzeitlich verheirateten Ehemann 29 Ausreiseanträge, wird schließlich 1983 mit diesem verhaftet. Erst 1987, nach drei Jahren Haft, wird die Familie in die BRD abgeschoben. Heute lebt Inge Naumann mit ihrem Mann bei Dresden.
Jede der in dem vorliegenden, ab 1. März zu erwerbenden Buch portraitierten Frauen hätte auch in dieser Rezension eine eigene Würdigung verdient: Lucie Fischer (Seite 34); Helga Müller (44); Dr. Renate Werwigk-Schneider (52); Brigitte Ballnow (58); Ellen Thiemann (62), langjährige Ressortleiterin des Kölner Express und bekannte Buch-Autorin; Eva Aust (70); Catharina Mäge (74); Konstanze Helber (78); Dr. Ute Steinhäuser (82); Rosel Werl (96); Monika Schneider (100); Ina Jaekel (108); Hannelore Höfelmayr (112); Sieglinde Quade (116), Heidrun Breuer (120); Regina Labahn (124); Ute Bonstedt (128); Birgit Schlicke (132). So bleibt dem Rezensenten nur der Hinweis auf ein lesenswertes Buch mit bestechenden fotografischen Seelenspiegeln, in dem „ein dunkler Ort“ sensibel und zu einem wichtigen Teil ausgeleuchtet wurde.
In der März-Ausgabe des evangelischen Magazins chrismon plus (4,50 €) werden drei Frauen aus dem Buch vorgestellt, die Leser auf den vorgelegten Band neugierig gemacht. Leider ist dieser wichtige redaktionelle Beitrag in der chrismon-Beilage für diverse Tages- und Wochenzeitungen nicht enthalten. Eine ärgerlich anmutende Ignoranz der notwendigen Beschreibung dieser bislang im Wahrnehmungs-Nebel liegenden Hohenecker Schicksale.
Carl-Wolfgang Holzapfel
Dirk von Nayhauß / Maggie Riepl: „DER DUNKLE ORT“, 25 Schicksale aus dem DDR- Frauen- gefängnis Hoheneck, 144 Seiten, ca. 120 Abb., PB, VK 19,95 €. ISBN 978-3-937233-99-4, be.bra-verlag GmbH. – www.bebraverlag.de , März 2012
Hinweise:
Die Heinrich-Böll-Stiftung Berlin eröffnet am 1. März eine Ausstellung: „Das Frauengefängnis Hoheneck – 25 Portraits ehemaliger politischer Häftlinge“ mit den Portraitfotos von Dirk von Nayhauß, Texte: Maggie Riepl, die bis 4. April während der Öffnungszeiten zu sehen ist. Ort: 10117 Berlin, Schumannstr.8, Beginn: 18:00 Uhr. Bei der Stiftung können die Exponate für nachfolgende Ausstellungen angefordert werden.
Ferner wird am Rande der Leipziger Buchmesse am 16. März im Stasi-Museum „Runde Ecke“ in Leipzig das Buch von Dirk von Nayhauß und Maggie Riepl vorgestellt. Ort: 04109 Leipzig, Dittriching 24, ehem. Stasi-Kinosaal, Beginn: 18:00 ( – 19:30) Uhr
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2 Kommentare
2. März 2012 um 02:03
Gustav Rust
… Ich will Dich nicht beleidigen, dazu hat niemand von uns das Recht. … Es geht einzig und allein darum, daß das eigene Volk noch immer für den „großen Lümmel“ gehalten wird. Ihr „Knechte“ von Iwans und Amis (mit und ohne Striche), daß Du mich richtig verstehst. Mit und ohne Talar… Du kannst wenn Du willst, Du möchtest samt Tatjana vielleicht auch, aber IHR wollt nicht. Ich meine nicht die Masse der Kameraden sondern EURE Auftraggeber, an deren Strippen Ihr erstklassig „zappelt“! Endschuldige das Ausrufungszeichen, der Jähzorn liegt bei uns in der Familie was ich Dir wohl schon letztens erklärte.
…Denkt bitte (auch) beim Frühstück an das Vermächtnis unserer vom Bolschewismus ermordeten Kameraden:
„Vergeßt uns nicht !“, Gedicht von Siegfried Ihle, Torgau 1958
(da zog ich über Prenzlau und Strelitz-Alt in die Rote Hölle“ von Bützow-Dreibergen ein).
Prost, und kameradschaftliche Grüße,
Gustav
1. März 2012 um 05:56
Gustav Rust
…
1995 hatte ich in Rummelsburg („Rummeline“) einen Fototermin für den Einband meiner Biographie. Alle sechs (Keller-)“Tigerkäfige“ waren erhalten und Pappschilder für die Bauarbeiter: „Vergitterung Denkmalschutz“. Ich machte Aufnahmen (www.gustav-rust.de, über Inhaltsverzeichnis: „DDR-Strafvollzug“) … erreichte auch die Untere Denkmalschutzbehörde Treptow-Köpenick. Jedenfalls wurde der Schneidbrenner angesetzt und die Spuren des bolschewistischen Terrors beseitigt. …
Meine Absicht war, dort eine Kellerbuchhandlung einzurichten. Ein Mann/Frau bzw. Paar hätte dort NUR mit Häftlings-Literatur handeln können. Wasseranschluß für kleine Toilette vorhanden, große, handelsübliche Kaffeemaschine (3 Stück, wegen der britischen Teetrinker) … o.ä… Dort wäre auch Platz für meine russische Feldküche – die steht nun jahrelang in Radeland (Baruth/Mark) bei einem Kumpel …
Die Buchhandlung hätte aufgenommen werden können in eine Stadrundfahrt: Aussteigen, Beine vertreten, gucken, fotografieren, …. Die Stiftung hätte Miete getragen für die Kellerräume, an den Wänden Fotos, Dokumente ohne Schwärzungen, weil es sich fließender lesen läßt u.s.w.
Die „Rummelsburger Bucht“-Gruppe versprach damals, eine einzige Zelle zur Ansicht bereitzustellen – AUCH das ist nicht geschehen! UND DAS IST GEWOLLT, nicht „nur“ gewollt, sondern PLANMÄSSIG passiert. Alles sind nur Beruhigungspillen für uns!
Im Gästebuch der Hoheneckerinnen regte ich mich schon auf. Es ist eine einzige Sippschaft, egal wie der Verein heißt.
Guten Morgen, und kameradschaftliche Grüße,
Gustav Rust