17. Juni: Schmerzliche Lehrstunde für Alt-Genossen in Strausberg
18.02.2009/cw – Für das Thema erstaunlich gut gefüllt war der „Links Treff am Tor“ in Strausberg. Am Dienstag hatte als Veranstalter die Rosa-Luxemburg-Stiftung und ein nicht näher verifizierbarer Verein „für alternatives Denken“ zu einer Podiumsdiskussion „Der 17. Juni in Strausberg“ eingeladen. Gut 50 Bürger waren zur geschichtlichen Reminiszenz erschienen. Das ist immerhin beachtenswert, wird Strausberg doch von einer satten linken Mehrheit mit Hang zur ausgeprägten DDR-Nostalgie regiert. Allein vierzehn Stadtverordneten der LINKEN stehen gleichviel Fraktionen und Gruppierungen einschließlich der SPD gegenüber; da machen sich vier „überzählige“ Sitze für die CDU nicht mehr sonderlich bemerkbar.
Nun hatte vermutlich ja auch nicht die LINKE das fragliche Thema entdeckt, sondern sich vielmehr der von einem ehemaligen Streikführer angestoßenen aktuellen Diskussion gestellt, was aus den bereits angeführten Gründen schon beachtlich ist.
Heinz Grünhagen ist in Strausberg das letzte überlebende Mitglied der einstigen Streikführung. Einst selbst wegen seiner Teilnahme zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, fühlt sich Grünhagen seinen Kameraden aus den 53er Juni-Tagen besonders verpflichtet und kämpft seither unermüdlich gegen das „gewollte Vergessen“ an. Ein Gedenkstein mit den nachträglich erstrittenen Namen der Beteiligten erinnert seither an den Streik in Strausberg. Doch dem schwer kranken 17er reicht das nicht aus. Jüngst forderte er die Fraktionen im Stadtrat auf, zumindest einen Teil der Hennickendorfer Chaussee in „Straße des 17. Juni“ umzubenennen. Begründung: In dieser Straße waren seinerzeit Schützenpanzer der Roten Armee aufgefahren, um die Streikenden zum Rückzug zu bewegen.
Soweit zum Hintergrund der eilends angesetzten Podiumsdiskussion, die allerdings weniger auf einem Podium denn in wenig einladenden Sesseln einer Ecke des Links-Treffs stattfand. Vielleicht war deswegen die Neigung, sich allzu genau mit den historischen Tatsachen zu befassen, nicht sehr ausgeprägt. Der Historiker Dr. Rolf Barthel gab in seinem einleitenden Statement wenig Neues von sich, nach dem er zuvor davor gewarnt hatte, hier „eine Diskussion um Straßenbenennungen“ vom Zaun zu brechen. Man wolle sich über den 17. Juni in Strausberg unterhalten und das „nicht ausweiten“. So war dann nach seinen Worten das Ereignis in „unserer Stadt“ eher von marginaler Bedeutung. Ohnehin hätte ja der amerikanische Sender RIAS die Mär vom Aufstand propagandistisch verbreitet, sonst wäre „auch hier vermutlich gar nichts passiert.“
Prof. Dr. Siegfried Prokop von der RL-Stiftung bemühte sich präziser um historische Details und brillierte stellenweise mit Interna aus Stalins Umgebung, die zumindest für Uneingeweihte sehr neu klangen. Letztlich verstieg er sich zu der doch etwas gewagten, weil historisch bisher noch nicht vernommenen These, Stalin habe in seinen letzten Tagen „quasi die Entstalinisierung selbst eingeleitet.“ Sattsam bekannt wurde Stalins Deutschland-Papier von 1952 gelobt, Adenauers „starre Haltung“ gegeißelt. Letztlich habe die UdSSR den 17. Juni selbst eingeleitet, um die DDR für zehn Milliarden an den Westen verkaufen zu können. Das erinnerte denn doch sehr an den Verräter-Vorwurf gegen Michael Gorbatschow.
Tapfer versuchte der dritte Mit-Diskutant, Dr. Reiner Schwarze von der SPD-Fraktion, Kontraste zu setzen und zitierte dabei mehrfach aus seiner interessanten Schrift zum 17. Juni in Strausberg. So widersprach er der Behauptung, lediglich Arbeiter der Bau-Union hätten sich dem Streik angeschlossen und verlas eine ganze Liste seinerzeit am Ausstand beteiligter Betriebe (was Prof. Prokop seinerseits veranlasste, eine Liste nicht beteiligter Betriebe zu verlesen). Allerdings entschuldigte sich Schwarze eher für seine „abweichende Meinung“ als dass er sie als berechtigte Korrektur einer „behaupteten Historie“ vortragen wollte.
Erst durch die anschließend folgende Diskussion mit einzelnen Besuchern traten bemerkenswerte Unterschiede in der Beurteilung des 17. Juni zutage, die anwesenden Alt-Kadern und DDR-Nostalgikern sicherlich Schmerzen bereiteten. Nachdem sich neben Anderen auch der anwesende Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni zu Wort gemeldet und gefragt hatte, ob „hier nicht nur Teilwahrheiten zur Kenntnis gegeben worden seien um nach alter Gewohnheit unangenehme Wahrheiten umschiffen zu können,“ wurde die einschläfernd wirkende Verabreichung angeblich historischer Begebenheiten durch interessante Statements belebt. Endlich waren sich die Diskutanten darin einig, dass es sich nicht, wie von der SED immer wieder „fälschlich behauptet“ um einen „faschistischen Putsch“ gehandelt habe sondern damals vielmehr die „Arbeiter ihr in der Verfassung verankertes Recht auf Streik“ wahrgenommen hätten. Schließlich wäre die Normenerhöhung für die Arbeiter-Klasse eine „unerhörte Zumutung“ gewesen, auch wenn die Partei-Führung in Moskau „absichtlich die rechtzeitige Verbreitung von der Rücknahme der Normen-Erhöhung sabotiert hätte“ (Prokop).
Man konnte von dieser Runde sicherlich nicht eine Bewertung des 17. Juni 1953 als „Volksaufstand“ oder gar einen kritischen Blick auf die zweifellose historische Bedeutung für die folgenden Revolutionen in Ungarn, der CSSR und Polen erwarten (immerhin wurden diese Vorgänge erwähnt). Aber der Abschied der sich nach wie vor als DDR-Sozialisten verstehenden Historiker von dem wohl übelsten Propaganda-Vorwurf, es habe sich um einen „faschistischen Putsch“ gehandelt, war unter diesen Umständen ein bemerkenswerter Schritt. Zumal schließlich auch Prokop auf eine Frage einräumte, die Urteile gegen die Strausberger Streikführung wären unrechtmäßig gewesen.
© Carl-Wolfgang Holzapfel, Tel.: 030-30207785, holzapfellyrag@aol.com
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